Der Bildhauer Manfred Pernice verwandelt den Kunstraum MD 72 in eine Ausstellungsinstallation.
Weil Kitty Kraus beim Ausstellungsbesuch in der Galerie Neu gerade nicht unter Strom stand, war es viel spannender den Mitarbeitern beim Auftürmen der Sockel von Manfred Pernice zuzuschauen. Die Objekte aus oft in ausgewaschenen Farben bemaltem Holz sieht man derzeit ziemlich häufig in Ausstellungen und auf Messen. Interessant daran ist, wie sie im Werk des Berliner Bildhauers funktionieren, etwa wenn sie eine tragende Rolle spielen. So zu sehen bei MD 72 in der Einzelausstellung Liquidation 2.2; Pernice hat den repräsentativen Altbau in eine Mischung aus Heimatmuseum und Trödelladen verwandelt.
Im Grunde ist die Ausstellung eine einzige Installation. Basierend auf geographischen und historischen Koordinaten hat Pernice die Exponate in ein Netz aus wilden Assoziationen verstrickt. Auf seinen Skulpturen – sie funktionieren mal als Podest, mal als Tisch – drängt sich eine wirre Mischung an Geschirr, darunter viel plumpe Keramik aus der ehemaligen DDR und hässliches Kristallglas aus Lothringen. Collagen neben den Sockel-Tischen informieren dabei wie Schautafeln über den Ursprung der Artefakte und in den umgebenden Wandvitrinen präsentiert Pernice neben weiteren Fundstücken vermeintliches Dokumentationsmaterial. Gruppiert sind die Skulpturen, Collagen und Reliefs nach den Herkunftsorten der Keramik. Die Teller, Vasen, Gläser, Aschenbecher und dergleichen mehr stammen nämlich allesamt aus Badonviller, Baccarat, Weimar sowie Strehla.
Lässt man sich auf die trashige Heimatkunde ein, offenbart die pseudodokumentarische Ausstellung ihr subversives Gesicht. Denn unter den historischen Zeugnissen befinden sich hanebüchene Touristenführer, Aufkleber oder Postkarten mit Einladungsverabredungen; Kataloge lehnen neben der Vogue. Zwischen dem zum kulturellen Erbe stilisierten Geschirr stehen leere Aufsteller, alte Honiggläser und Einkaufstüten. Wann immer der Blick durch den Raum streift, stoppt ihn irgendeine Unstimmigkeit. Bei Ohne Titel (Weimar) (2010) drapiert Pernice das Service liebevoll auf Auslegeware, ein weiteres Stück davon platziert er auf dem Boden daneben. Abscheuliche Teppichfliesen auf dem Parkett, Autoreifen und eine Stehlampe runden eine Komposition ab, die die vertraute Ausstellungssituation in all ihren Komponenten unterläuft.
Dass Pernices ironischer Gestus bei MD72 eher geschwätzig wirkt – der Bildhauer nennt das „Erzähl-Qualität mit AusBREItungspotential“ –, liegt am fehlenden Rahmen von Liquidation 2.2. Produziert hatte Pernice die Arbeiten speziell für seine Ausstellung in Straßburg, die liquidation-tischwelten 2 am CEAAC. Als er sie Anfang des Jahres im Zusammenhang seiner sculpturama Ausstellung zeigte – funktionierten sie als Teil eines größeren und raumbezogeneren Ganzen. (Hier die Frieze-Kritik).
Reizvoll bleibt der Kontrast dennoch aus der architektonischen Qualität der skulpturalen Kompositionen einerseits und der eigenwilligen Systematisierung durch narrative Referenzen und Materialbezüge andererseits. Aber der Besuch der Pernice-Ausstellung lohnt sich erst richtig, wenn man Zeit zum Nachvollziehen der Unsinnszusammenhänge mitbringt und die geschichtlichen Zusammenhänge entdeckt.
noch bis 18. Juni 2011 | MD72 | Mehringdamm 72 | Berlin Kreuzberg