Textilkunst einmal anders: Die „Extractions“ von Meredyth Sparks domestizieren die Moderne.
Die New Yorker Künstlerin Meredyth Sparks war bisher bekannt für kühle, geometrische Collagen. Ihre neue Ausstellung Striped Bare bei VeneKlasen Werner beinhaltet plötzlich Textilkunst und viele großformatige Bilder von Heizkörpern. Hat sich Sparks auf einmal der „Frauenkunst“ gewidmet? Warum sie Textilien als Werkstoff für ihre eigenwilligen Werke entdeckt hat – und vor allem, welche Rolle der Frau in den Arbeiten zukommt, erzählte Sparks dem Filter im Interview.
ZEIT ONLINE: Frau Sparks, was hat es mit den Heizkörpern auf sich?
Meredyth Sparks: Der Heizkörper ist ein wiederkehrendes Motiv für mich. Ich habe beispielsweise eine Tonarbeit gemacht zu einem rumorenden Heizkörper. Oft taucht er auch im Hintergrund meiner bildbasierten Arbeiten auf. Für mich ist der Heizkörper ein industrielles und häusliches Objekt zugleich. Er gehört in jeden modernen Haushalt, trotzdem versuchen die Leute ihn zu dekorieren oder zu kaschieren. Er funktioniert wie ein Organ, pumpt Wasser durch sein Inneres, stößt Dampf aus. In David Lynchs Eraserhead lebt eine Frau im Heizkörper und für Lynch ist er wie ein Geschlechtsorgan, weil die Frau durch die Heizung mit dem Protagonisten kommuniziert. Es gibt nicht so viele Informationen über Heizungen, aber die finde ich interessant.
ZEIT ONLINE: Und warum arbeiten Sie plötzlich mit Textil, einem sehr weiblich konnotierten Werkstoff.
Sparks: Ich hinterfrage genau diesen Bezug. Denn ich habe überlegt, warum es auch mir weiblich erschien, damit zu arbeiten. Die Näherei neben meinem Atelier in Brooklyn verkleinerte sich vor ein paar Jahren und ich durfte mir Stoffproben aussuchen. Als ich die jetzt wieder herausgeholt habe, schaute ich mir die Formen genauer an. Dann beschäftigte ich mich mit Kasimir Malewitsch, aber vor allem mit den Frauen im Suprematismus, wie Ljubow Popowa und ihren Textildesigns. Diese Recherche ist in der Arbeit enthalten. Ich nähe in einer nicht-dekorativen, utilitaristischen Weise, es ist nur Mittel zum Zweck.
ZEIT ONLINE: Dennoch wirken die aufwendigen Stoffe und die pastellenen Töne ziemlich „dekorativ“.
Sparks: Ja, die verschiedenen Textilien sind schick. Aber die Konzentration liegt weniger auf dem Material, als vielmehr auf der Idee, dass ich das gleiche Bild nehme und nur den Stoff darum austausche. Wie auch in meinem vorausgehenden Werkkomplex will ich den Betrachter überfrachten und ihm den Fokus verwehren. Mich interessiert dieser psychologische Raum, wenn es nichts gibt, woran sich der Betrachter festhalten kann. Diese Arbeiten hier haben für mich eine surreale Qualität in der Art, wie sich der Raum verhält. Statt eines Objektes und eines Interieurs stehen sich verschiedene Muster gegenüber – wegen der Streifen der Heizkörper.
ZEIT ONLINE: Apropos Heizkörper, für Ihre letzten Arbeiten montierten sie noch Ikonen der siebziger Jahre zu kühlen, geometrischen Collagen. Was bringt sie von Porträtfotografien zu Interieurs, vom Relief zum Bild und von Vinyl, Glitzer und Aluminium zum Stoff?
Sparks: Das ist natürlich eine große Veränderung. Bei meinen vorherigen Arbeiten ging ich von sehr vertrauten Bildern aus, zu denen der Betrachter vielleicht sogar einen emotionalen Bezug hat. Die habe ich dann formal ausgelotet, ihnen den Konstruktivismus gegenübergestellt. Aber nach wie vor sind meine Arbeiten Collagen, in denen zwei Ideologien aufeinander treffen. Außerdem deuten die Muster der Textilien eine Unendlichkeit an, während die den Digitalprints zugrunde liegenden Fotografien immer beschnitten sind. Ich kombiniere auch diese beiden Aspekte, aber verknüpfe sie nur lose. Sie versuchen zueinander zu finden, aber die Spannung zieht sie auseinander, Rahmen und Wand kommen als zusätzliche Informationen hinter dem Gemälde zum Vorschein.
ZEIT ONLINE: Also sind es für Sie Gemälde?
Sparks: Das fotografische Quellmaterial wurde mit Photoshop bearbeitet. Auch wenn es in Photoshop geschieht, ist es für mich malen – vielleicht in Referenz zum Minimalismus.
ZEIT ONLINE: Dennoch arbeiten Sie nicht einfach mit einer Leinwand, sondern setzen die Bilder aus bedruckten Leinwand-Fragmenten zusammen.
Sparks: Das passiert ganz spielerisch in meinem Atelier. Ich starte mit einer Idee und probiere alle sich daraus ergebenden Möglichkeiten aus. Jede Arbeit hat für mich daher eine andere Logik, wurde anders gemacht. Hier zum Beispiel hatte ich das Bild, aber wollte das Motiv weiterführen. Also musste ich eine Partie hinzufügen. Und darauf kommt es mir an: das Nähen, den Farbübergang vom Photo zur gemalten Fläche.
ZEIT ONLINE: Nicolas Bourriaud schreibt über Ihre Arbeit, dass die spezifische Geste im Ausschneiden besteht, sei es des Materials, der verwendeten Fotovorlage oder des Ausstellungsraumes. Aber was liegt den schwarz-weißen Arbeiten zugrunde, die sie nur aus bedruckten Leinwänden zusammengesetzt haben? Woraus schneiden Sie hier aus?
Sparks: Hier kommt das Feuer der Triangle Shirtwaist Factory ins Spiel. Denn bei diesen Arbeiten handelt es sich um Textbilder, die wiederum auf Scans eines Buches über besagte Brandkatastrophe basieren. Daher das Piktogramm. Ich habe den Text der Seiten gelöscht und mich auf das Design des Buches konzentriert. Eigentlich habe ich ihn nicht wirklich gelöscht, sondern in Photoshop überstempelt mit einem weißen Bereich auf der jeweiligen Seite. Im Grunde ist also alles noch vorhanden. Die Pixel in den dunklen Flächen rühren daher, dass ich keinen schwarzen Bereich hatte, aus dem der Stempel hätte schöpfen können. Ich habe die Idee des Palimpsests aufgegriffen und die Seiten als Notizzettel für etwas Anderes genutzt. Die ganze Information aus dem Buch ist in den Werken enthalten. Und dieses Prinzip habe ich wiederum auf die Textilbilder angewandt. Die Nähte der Textbilder und der Textilbilder sind identisch.
ZEIT ONLINE: Demnach funktionieren die Textarbeiten wiederum wie Bild-Notizen, auf denen die Textilarbeiten basieren. Ein Grund mehr noch einmal auf das Feuer in der Textilfabrik zurückzukommen. Wie spielt das Unglück in die Ausstellung Striped Bare?
Sparks: Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute den politischen Bezug überhaupt sehen können. Der funktioniert eher implizit: Aber diesen März jährte sich das verheerende Brandunglück in der Triangle Shirtwaist Factory im Jahr 1911. Das Feuer war damals eine große Sensation. Das Gebäude befand sich am Washington Square Park. An besagtem Samstagnachmittag spazierten die Leute umher, als plötzlich diese im Gebäude eingeschlossenen Näherinnen aus den Fenstern sprangen, weil die Leitern der Feuerwehr die oberen Etagen nicht erreichten. Das war ein einschneidender Moment. Der Vorfall schärfte das Bewusstsein für Arbeitnehmerrechte aber vor allem die Situation von Frauen. Die hatten gerade begonnen, den Arbeitsmarkt zu betreten und führten ein öffentliches Leben.
ZEIT ONLINE: Demnach setzt sich Ihr Werkkomplex also nicht nur formal mit den Zehner Jahren auseinander.
Sparks: Genau. Damals hatte nicht nur Modernismus begonnen, auch wenn die Leute noch nicht wussten, was daraus entwickeln würde. Vielmehr fallen die Zehner auch mit dem Erscheinen der modernen Frau zusammen. Die Eisskulptur im Vorderraum ist übrigens der Dada-Poetin und Bildhauerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhove gewidmet.
ZEIT ONLINE: Eine letzte Frage, inwiefern spielt der Ausstellungstitel Striped Bare auf Duchamps sogenanntes Großes Glas an?
Sparks: Der Titel bezieht sich zwar auf die Arbeit The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even. (1915-1923) Aber eigentlich hat er mehr mit dem Entblößen als mit Duchamp zu tun. Schließlich mache ich die Materialität der Arbeiten sichtbar, lege den Rahmen der Leinwand frei und die Wand der Galerie. Hinzu kommt das gestreifte Textil.
noch bis zum 18. Juni 2011 | VeneKlasen Werner | Rudi-Dutschke-Straße 26 | Berlin Mitte