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Deutschland und die Erinnerungskultur

Tilda Swinton fuhr 1988 mit dem Rad die Westseite der Berliner Mauer ab. Sie singt “The wall, the wall – the wall must fall”. Das Gorki Theater zeigt die Aufnahmen, die damals entstanden. © Sandro Kopp/Filmgalerie 451
Tilda Swinton fuhr 1988 mit dem Rad die Westseite der Berliner Mauer ab. Sie singt “The wall, the wall – the wall must fall”. Das Gorki Theater zeigt die Aufnahmen, die damals entstanden. © Sandro Kopp/Filmgalerie 451

Das Maxim Gorki Theater beleuchtet die historische Dimension des 9. Novembers

Der 3. Oktober mag Nationalfeiertag sein. Der Schlüsseltag deutscher Geschichte ist jedoch der 9. November: Novemberrevolution (1918), Hitlerputsch (1923), Pogromnacht (1938) und Mauerfall (1989) sind gleichermaßen mit dem Datum verbunden. Das Maxim Gorki Theater nimmt ihn zum Anlass für ein „Nachdenken über das Gedenken“.

Die heutigen Veranstaltungen beleuchten nicht nur die Facetten dieses schicksalhaften Tages. Sondern sie hinterfragen auch unseren Umgang mit den jeweiligen Geschehnissen, als Gemeinschaft und als Individuum. Zur Debatte steht der schmale Grat zwischen Gedenken und Erinnern, Auslassen und Verdrängen.

Statt Belehrung setzt das Gorki auf ausgefallene Formate, die das Publikum fordern. Auf dem Programm stehen eine historische Entdeckungstour, ein politischer Salon sowie zwei Filme.

Tagsüber führt Im Raume hören wir die Zeit. Ein Spaziergang mit Kopfhörern II die Teilnehmer an geschichtsträchtige Orte. Eine MP3-Aufnahme lotst sie an unsichtbare Denkmäler im öffentlichen Raum rund um das Theater.

Den Abend eröffnet ein Film über den Hitlerattentäter Maurice Bavaud. Es ist kalt in Brandenburg (Hitler Töten) (1980) erzählt die Geschichte des jungen Schweizers, der am 9. November 1938 auf der Ehrentribüne steht. Die Nationalsozialisten gedenken des Putschversuchs von 1923. Bavaud hat beschlossen Hitler zu töten – und scheitert. Der Führer gerät nicht in Schussweite, Bavaud wird gestellt und stirbt drei Jahre später unter dem Fallbeil. Die Schweizer Villi Hermann, Niklaus Meienberg und Hans Stürm vollziehen Bavauds Weg in den Tod nach. Entstanden ist keine gewöhnliche Dokumentation, sondern ein „sehr trauriger, resignativer Film“ urteilt der Spiegel.

Anschließend steht der Freitag Salon unter dem Motto Was fällt uns ein? Die Deutschen und die Erinnerung als Kult und Kultur. Seit September lädt der Freitag monatlich wechselnde Politiker, Redakteure und Kulturschaffende ins Maxim Gorki Theater. Dort besprechen sie „Glück und Unglück der Gegenwart“. Diesmal geht es um das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte. Gemeinsam diskutieren der ehemalige DDR-Außenminister Markus Meckel, Lea Rosh vom Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Historiker Wolfgang Wippermann. Der freitag-Verleger Jakob Augstein moderiert das Gespräch.

Cycling the frame (1989)/ The invisible frame (2009) von Cynthia Beatt beschließt den Abend: Zwischen den beiden Filmprojekten liegen 21 Jahre. 1988 fährt Tilda Swinton erstmals mit dem Rad die Westseite der Berliner Mauer ab. Sie singt „The wall, the wall – The wall must fall“. 2009 wiederholt die mittlerweile sehr berühmte Schauspielerin ihre buchstäbliche Grenzerfahrung. Diesmal führt sie die Fahrradtour durch vergessene Orte entlang der langsam verschwindenden Mauerlinie.

Ein Tag in Deutschland am Maxim Gorki Theater – sehr ereignisreich und sehr empfehlenswert!

ab 12 Uhr | 18 Uhr | 20.30 Uhr | 22 Uhr | 9. November 2010 | Maxim Gorki Theater | Am Festungsgraben 2 | Berlin Mitte

 

Perspektivenwechsel

© ALFILM

ALFILM präsentiert arabische Filme in Berliner Kinos.

Produktionen aus und über die arabische Region schaffen es noch immer selten in das Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit. Dabei hat sich gerade in den letzten Jahren viel getan.

Das arabische Filmfestival zeigt seit dem 3. November Spiel und Dokumentarfilme. Neben dem Hauptprogramm läuft die Sektion FOKUS 10 mit arabischen Arbeiten zum Thema Migration.

Das Babylon führt heute beispielsweise eine Dokumentation des Regisseurs Ghassan Salhab vor. 1958 (2009) folgt einer Mutter, die ihr Kind in Senegal zur Welt bringt. Währenddessen kündigt sich in ihrer libanesischen Heimat der Bürgerkrieg an. Danach läuft die ägyptische Produktion El Medina − Die Stadt (1999) von Yousry Nasrallah. Der Spielfilm erzählt die Geschichte vom Marktarbeiter Ali, der sein Existenz in Kairo aufgibt und sein Glück in Paris sucht.

Das Festival dauert noch bis Mittwoch.

18 Uhr und 22 Uhr | 8. November 2010 | Kino Babylon | Rosa-Luxemburg-Str. 30 | Berlin Mitte

 

Spaß statt Hochkultur – die Kunstnacht Neukölln

© Nacht und Nebel

Die Kunstnacht Nacht und Nebel zeigt Neukölln von seiner besten Seite.

Chauffiert Neukölln erkunden klingt dekadent und nach Elendstourismus. Es geht aber um Kunst.

Die Taxis haben die Kultuschaffenden des Viertels gechartert. Sie wollen zeigen, was Neukölln zu bieten hat, nämlich Kunst, Theater und Filme an den verschiedensten Orten.

Die Angebote reichen vom privaten Atelierbesuch bis zur wilden Party. Alle teilnehmenden Orte lassen sich bequem mit den ausgezeichneten Taxis erreichen. Für neugierige Entdecker könnte es ein durchaus spannender Abend werden. Und die Aktion verdient Unterstützung, gerade weil die Neuköllner Kulturszene gemessen am Angebot Kreuzbergs noch Entwicklungsgebiet ist.

19 Uhr | 6. November 2010 | Neukölln

 

Gedenken 3000

Die Berliner Volksbühne gedenkt Christoph Schlingensiefs.

Das Motto der Veranstaltung Gedenken 3000 für Christoph Schlingensief klingt platt und ist doch konsequent – oder dem Anlass angemessen. Immerhin wird hier eine ganze Stadt eingeladen zu einem öffentlichen Trauerfest. Im großen Stile zelebriert die Volksbühne den Abschied von einem sehr lauten, sehr öffentlichen und sehr visionären Menschen. Mit ihrem Festakt erweist sie Christoph Schlingensief eine letzte wilde Ehre und feiert sein Vermächtnis.

Der Abend spiegelt die Bandbreite seines Ouevres: Die Volksbühne zeigt neben Filmen auch Installationen und im ganzen Haus finden Gespräche und Darbietungen statt. Zudem widmet der rbb Schlingensief eine lange Filmnacht und überträgt sie ab 23.15 Uhr in die Volksbühne. Währenddessen wird an einer großen Tafel gemeinsam getrunken und gegessen, was die Anwesenden mitgebracht haben.

Wer teilnehmen möchte, sollte sich anmelden unter: +49 (0)30 240 65 777 oder ticket@volksbuehne-berlin.de.

20 Uhr | 6. November 2010 | Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Linienstr. 227 | Berlin Mitte

Nebenan startet das Kino Babylon die Christoph Schlingensief Retrospektive mit Die 120 Tage von Bottrop – Der letzte neue deutsche Film.

23 Uhr | 6. November 2010 | Kino Babylon | Rosa-Luxemburg-Str. 30 | Berlin Mitte

 

Politisches Kunst-Kino

© bankleer

Das Arsenal zeigt die Programmreihe Der Standpunkt der Aufnahme.

Jeden Mittwoch geht es im Arsenal um die Frage, wie sich politischer Film heute darstellt. Die neun Sessions präsentieren Filme und Videos, deren Kontext mal künstlerisch mal aktivistisch ist. Zunächst stellen ihre Macher jeweils sich und ihre Arbeiten vor. Anschließend präsentieren die Eingeladenen Filme, die wiederum ihre eigenen Arbeiten geprägt haben.

Heute Abend steht ein Politgrusel-Abend auf dem Programm. Der Kurator Tobias Hering hat das Künstlerduo bankleer eingeladen. bankleer besteht seit 1999 aus Karin Kasböck und Christoph Leitner. Ihre Videos kombinieren Videoaktivismus und Kunstaktion, Dokumentation und Fiktion. bankleer filmen ihre Performances. bankleer zeigen im Arsenal erst drei eigene Videos. Zombies und andere untote Randfiguren der Gesellschaften brechen darin in die Realität ein. Dann folgt auf den Dokumentarfilm Les Maitres fous (1955) von Jean Rouch der Film Terror 2000 (1992) von Christoph Schlingensief.

Die Gäste der nächsten nächsten Mittwochs-Sessions sind Brigitta Kuster (10.11.), Raphaël Cuomo und Maria Iorio (17.11.) sowie Bärbel Schönafinger (kanalB) (24.11.).

19.30 Uhr | 3. November 2010 |Arsenal- Institut für Film und Videokunst e.V.| Potsdamer Straße 2 | Berlin – Mitte

 

Gegen das Herbstgrau

Alison S.M. Kobayashi, Dan Carter © Direktorenhaus

Das Direktorenhaus zeigt jetzt wöchentlich experimentelles Kino.

Ein Mini-Kino, zwei Kuratoren und Arbeiten von internationalen Filmemachern, Trickzeichnern und Multimedia-Künstlern; die Produzentin und Kunstjournalistin Pamela Cohn und der Filmkritiker Andrew Grant kuratieren die neue Kino Satellite-Reihe am Direktorenhaus. Los geht’s mit Kurzfilmen der Performance Künstlerin Alison S.M. Kobayahsi sowie von Christopher Allen.

Das Programm hört sich, tja, experimentell an. Aber die Bar öffnet eine Stunde vor Einlass!

20. 30 Uhr | 02. November 2010 | Direktorenhaus | Am Krögel 2 | Berlin Mitte