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ZEIT ONLINE macht Lokaljournalismus: Warum wir „Überland“ starten

 

Die sieben "Überland"-Reporter (im Uhrzeigersinn): Sophie Rohrmeier, Christian Parth, Doreen Reinhard, Gabriel Kords, Benjamin Piel, Daniel Gräber, Martin Debes
Die sieben „Überland“-Reporter (im Uhrzeigersinn): Sophie Rohrmeier, Christian Parth, Doreen Reinhard, Gabriel Kords, Benjamin Piel, Daniel Gräber, Martin Debes

Die meisten Deutschen leben nicht in Millionenstädten, sondern in kleinen und mittelgroßen Städten wie Unna, Wismar, Bretten. Dort nehmen sie die Informationen auf, die ihre Sicht auf die Dinge beeinflussen, dort diskutieren sie mit Freunden oder Kollegen. Die vielen kleinen Orte machen Deutschland zu dem, was es ist.

„Wir haben gelernt, dass Journalisten das Gefühl für die Hälfte eines ganzen Landes verlieren können“, schrieb Chefredakteur Jochen Wegner, als wir vor einigen Wochen unser neues Sonder-Ressort #D17 gegründet haben, das vor der Wahl „Deutschland Deutschland erklären“ will. Das Land ist nicht so gespalten zwischen den Metropolen und der Peripherie wie etwa die USA, Frankreich oder Großbritannien. Und doch haben wir uns gefragt: Haben wir etwas übersehen? Wissen wir genug darüber, was in den Regionen geschieht? Viele Projekte von #D17 suchen nach einer Antwort darauf, etwa die Serie Heimatreporter, in deren Rahmen ZEIT- und ZEIT-ONLINE-Redakteure in ihre Heimat fahren und von dort berichten.

Eine weitere Antwort ist unser #D17-Projekt „Überland“, das heute beginnt: Wir haben sieben erfahrene Lokalreporter gebeten, viele von ihnen preisgekrönt, für ZEIT ONLINE in diesem Jahr aus ihrer Region zu berichten. Sie sollen regelmäßig darüber schreiben, was die Menschen in ihrer Umgebung bewegt, egal ob diese Themen schon deutschlandweit diskutiert werden. Und bitte so erzählt, dass sie auch die Menschen in anderen Regionen und in Berlin, Köln oder München interessieren, weil die Geschichten erstaunlich sind oder weil sie für etwas Größeres stehen. Wie ändert ein geplanter Nationalpark in Bayern den Alltag der Menschen? Was bedeutet es, wenn in einem Ort eine Sparkassenfiliale schließt? Was geschieht, wenn die Politik versucht, das Teilstück eines Flusses zu privatisieren?

Überland startet heute ganz leise: Mit dem Porträt eines Mannes, der in einem Dorf in Sachsen nach der Liebe sucht. Er steht für viele Männer in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands, die damit umgehen müssen, dass junge Frauen in die Großstädte ziehen. Aufgeschrieben hat die Geschichte Doreen Reinhard, die für uns in den kommenden Monaten aus Sachsen berichten wird.

Die weiteren Reporter von „Überland“ sind: Sophie Rohrmeier, die zuvor Korrespondentin für die Deutsche Presse-Agentur in Franken war und nun für ZEIT ONLINE aus Bayern schreibt. Gabriel Kords, der als Reporter für den Nordkurier und die ZEIT im Osten in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet und in den kommenden Monaten ein Teil von „Überland“ wird. Benjamin Piel, der als Chefredakteur die Elbe-Jeetzel-Zeitung in Lüchow-Dannenberg leitet und kürzlich den Theodor-Wolff-Preis gewann. Daniel Gräber, der viele Jahre als Reporter der Badischen Zeitung den Süden Deutschlands bereist hat und Träger des Axel-Springer-Preises ist. Christian Parth, der lange in der Lokalredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers gearbeitet hat und für uns fortan aus Nordrhein-Westfalen berichten wird. Und Martin Debes, der seit Jahren als Chefreporter der Thüringer Allgemeinen in Erfurt die Landespolitik verfolgt. Ein- bis zweimal im Monat meldet sich ab sofort jeder der sieben „Überland“-Reporter aus seiner Region.

Natürlich werden wir so nie alle wichtigen Geschichten erzählen können. Vieles spricht dafür, dennoch anzufangen: Die ersten Anzeichen vieler politischer Strömungen finden sich abseits der großen Städte, zunächst unbemerkt von überregionalen Medien. Als man in Berlin noch Sparpolitiker für ihren Mut lobte, wussten viele auf dem Land schon, welche Konsequenzen der Abbau von Polizeistellen haben wird. Dass die offenen EU-Grenzen nicht nur etwas zum Feiern waren, sondern auch Diebesbanden die Arbeit erleichterten, das sah man dort früher als in Berlin. Und die Truppenstationierung der Nato in den baltischen Staaten nimmt man vielleicht in Hamburg anders wahr als in Bremerhaven oder Frankfurt (Oder), wo man lange Güterzüge mit US-Panzern Richtung Osten fahren sieht.

Wir wollen sicher sein, dass wir diese Geschichten nicht verpassen – und uns irgendwann wundern, warum wir das Gefühl für einen Teil des Landes verloren haben.

Hier geht es zur ersten „Überland“-Geschichte.

30 Kommentare


  1. […] gibt es die „taz“ und „Zeit Online“, die entdeckt haben, wie interessant der gute alte Lokaljournalismus sein kann. Und hey, man könnte die ganz normale Welt entdecken und daraus eine Menge ableiten. Weil zwar alle […]

  2.   K_domig

    …eine gute Idee!


  3. […] Text gehört zu unserer Reportageserie Überland.Sieben Lokalreporter berichten für ZEIT ONLINE aus ihrer Region. Die Serie ist Teil […]


  4. […] Text gehört zu unserer neuen ReportageserieÜberland. Sieben Lokalreporter berichten für ZEIT ONLINE in den kommenden Monaten aus ihrer […]


  5. […] Text gehört zu unserer neuen ReportageserieÜberland. Sieben Lokalreporter berichten für ZEIT ONLINE in den kommenden Monaten aus ihrer […]

  6.   Cutter Slayde

    Hallo liebe Zeit,

    ganz ehrlich, das finde ich richtig gut von euch und es ist vor allem wichtig und notwendig.

    Als Brandenburger/Lausitzer, der zwar mittlerweile in einer Süddeutschen Großstadt lebt, aber regelmäßig, alle paar Wochen seine Familie, Eltern, Großeltern, Freunde besucht, ist es mir ein wirkliches Bedürfnis, das mehr über die Regionen fernab der Ballungszentren berichtet wird.

    Wenn ich daheim die Regionalzeitung aufschlage, zeichnet sich folgendes Bild. Im Schnitt wird seit gut einem Jahr alle zwei Wochen mindestens ein Bankautomat in der Region gesprengt. Die Täter hat man bis heute nicht. Im selben Turnus werden ganze Viehherden oder Landmaschinen (Traktoren, Erntemaschinen) entwendet, meistens über die Grenze. Von aufgebrochenen Kleingärten oder Garagen liest man wenn überhaupt nur noch im Lokalteil.

    Das sind Themen, die in Berlin, Hamburg, München oder Köln verständlicherweise nicht auf der Tagesordnung stehen (können). Mancher aus der Region spottet sogar, dass dem nicht mal in Potsdam so wäre.

    Wenn solche Probleme lange keine Beachtung oder Lösung finden, regt das die Leute natürlich massiv auf. Nicht zuletzt, weil bei „uns“ jeder einen über drei Ecken kennt, dem soetwas widerfahren ist. Von dort ist es dann nicht mehr weit zu Diskussionen, wofür in Deutschland angeblich Geld vorhanden ist und wofür (vermeintlich) nicht.

    Nur wenn die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse auch der Menschen aufgenommen werden, die nicht dort leben, wo die großen Zeitungen sind und die große Politik gemacht wird, kann man verhindern, dass sich diese Menschen abwenden, in die innere Migration oder radikale Opposition begeben.

    Dafür, dass dies in den letzten Jahren zu wenig geschah, gibt es deutliche Zeichen.

    Von daher, gute Idee, auf die Umsetzung bin ich sehr gespannt.

  7.   Cutter Slayde

    Hallo liebe Zeit,

    ganz ehrlich, das finde ich wirklich richtig gut und vor allem auch sehr wichtig.

    Als Brandenburger/Lausitzer, obwohl ich in einer süddeutschen Großstadt wohne, ist es mir ein wirkliches Bedürfnis das mehr aus den Regionen berichtet wird.

    Wenn ich regelmäßig, alle paar Wochen meine Famile, Eltern, Großeltern daheim besuche zeichnet sich einem folgendes Bild. Alle zwei Wochen wird ein Bankautomat in der Region gesprengt. Die Täter hat man seit über einem Jahr noch nicht und sie sind meist schnell wieder weg. Im vergleichabren Turnus werden ganze Viehherden oder Landmaschinen (Traktoren, Erntemaschinen) gestohlen, meist über die Grenze. Aufgebrochene Garagen und Kleingärten sind wenn überhaupt nur noch für den Lokalteil interessant.

    Das sind Dinge die in Berlin, Hamburg, München oder Köln nicht auf der Agenda stehen und wie mancher aus der Region spöttisch vermutet, nicht mal in Potsdam.

    Wenn in solchen Fällen lange nichts geschieht, regt das die Leute natürlich massiv auf. Auch weil im Endefeekt bei „uns“ jeder einen über drei Ecken kennt, dem sowas persönlich widerfahren ist. Von dort ist es nicht mehr weit zu Diskussionen, wofür in Deutschland Geld vorhanden ist und wofür (vermeintlich) nicht.

    Es ist wichtig die Bedürfnisse, Sorgen und Nöte der Menschen aufzunehmen und zu thematisieren, die nicht da wohnen, wo die großen Zeitungen oder die große Politik beheimat sind. Damit diese Leute sich nicht vollends abwenden, in die innere Migration oder die radiakle Opposition gehen.

    Von daher gute Idee, auf die Umsetzung bin ich gespannt.

  8.   Pityipalko

    @Farmhouse

    „gute Idee eine solche Serie zu starten, wobei ich nicht verstehe wieso so vielen Journalisten die Kenntnis abgeht, dass es noch andere Lebenswelten als Prenzlauer Berg, Eppendorf oder Bogenhausen gibt“

    Das ist ganz einfach. Weil die moderne Grossstädte vollversorgt sind. Die Einwohner können sich mit alles innerhalb der Stadtgrenze versorgen, viele haben gar keine Beziehungen mehr zum Umland und von weiter entfernte ländliche Regionen ganz zu Schweigen. In Länder die hoch zentralisiert sind, schlägt sich dass darin ab, dass die Hauptstadteinwohner meinen, dass das ganze Land aus dem Hauptstadt besteht und sons gibt es nichts da draussen.


  9. […] Source : https://blog.zeit.de/fragen/2017/03/08/zeit-online-macht-lokaljournalismus-warum-wir-ueberla… Auteur : ZEIT ONLINE: Gesellschaft – Christian Bangel, Philip Faigle Date de parution : 8 March 2017 | 10:55 am […]

 

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