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Wie die AfD gezielt Lügen verbreitet

 

In wenigen Wochen wird die Alternative für Deutschland (AfD) wahrscheinlich erstmals in den Bundestag einziehen. Ein Beispiel zeigt nun, wie die Partei heute schon Fakten fälscht. Die ZEIT hatte berichtet, wie sich gewählte Abgeordnete der AfD in den vergangenen Jahren als Teilnehmer an Pseudo-Wahlbeobachtungen für die Außenpolitik von Putins Russland einspannen lassen. Organisiert werden die Reisen in Gebiete der ehemaligen Sowjetunion auch vom Deutschen Zentrum für Eurasische Studien e.V. Der Verein, der sich selbst als Think Tank sieht, wurde erst 2016 gegründet. Unter den sieben Gründern war auch Mateusz Piskorski, ein polnischer Politiker.

Nur wenige Tage nach der Gründung des Vereins wurde Piskorski in Warschau festgenommen. Polnische Ermittler werfen ihm vor, er sei ein russischer Agent. Demnach gehe es um die Anstachlung eines ethnischen Konflikts in der West-Ukraine, Spionage für den russischen Geheimdienst FSB und um Geldzahlungen aus Russland. Über eine Tarnfirma soll Piskorski über seinen polnischen Wahlbeobachtungsverein mindestens 21.000 Euro russisches Schwarzgeld erhalten haben. Auch deutsche Behörden halten Piskorski nach Informationen der ZEIT für einen zentralen Akteur bei Russlands Versuchen, seine Nachbarstaaten zu destabilisieren.

Dieser Mann mit engen Kontakten zum Kreml gründet also vergangenes Jahr einen Verein in Deutschland, um deutsche und österreichische Politiker rechtspopulistischer Parteien wie der FPÖ und der AfD für Wahlbeobachtungen in osteuropäischen Staaten, im Einflussbereich Russlands anzuwerben. Am Abend der Vereinsgründung im Restaurant Britzer Mühle, unweit des Parks Britzer Garten in Berlin-Neukölln, waren nicht nur der Chefredakteur des rechtsextremen Magazins Zuerst! anwesend, sondern auch zwei hochrangige AfD-Funktionäre: Markus Frohnmaier und Thomas Rudy. Laut Protokoll der Sitzung leitete der Thüringer Landtagsabgeordnete Rudy sogar das Treffen als Wahlleiter. Frohnmaier ist Bundestagskandidat der AfD, Vorsitzender der Nachwuchsorganisation Junge Alternative und Sprecher von AfD-Bundestagsspitzenkandidatin Alice Weidel.

Darum hatten vor zwei Wochen zuerst die ZEIT und wenig später auch andere Medien über die Nähe der AfD zu einem mutmaßlichen russischen Spion berichtet. Einen Tag später wies der Pressesprecher der AfD, Christian Lüth, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP die Vorwürfe zurück, Politiker der Partei hätten Verbindungen zu einem mutmaßlichen russischen Spion: „Diese Meldungen entbehren jeglicher Grundlage.“ Diese Behauptung nahmen einige Medien wie die FAZ, Tagesspiegel, n-tv aber auch ZEIT ONLINE auf.

Das Statement des Pressesprechers widersprach den Fakten komplett. Denn der ZEIT lag nicht nur das Gründungsprotokoll des Vereins vor, aus dem schwarz auf weiß hervorgeht, dass Mateusz Piskorski mindestens am 1. April 2016 bei der Vereinsgründung eine Verbindung zu zwei AfD-Politikern gehabt hat. Selbstverständlich waren wir im Vorfeld der Veröffentlichung auch zu den betroffenen AfD-Funktionären gefahren und hatten mit ihnen über diese Verbindung gesprochen.

Thomas Rudy trafen wir im Landtag in Erfurt für ein langes Gespräch. Mit Markus Frohnmaier stehen wir seit Monaten in Kontakt zu dem Thema, ein Kollege hatte ihn für die Recherche im April sogar auf einer Reise bis nach Serbien begleitet. Beide Männer bestätigten uns persönlich ihre Verbindung zu Piskorski. Frohnmaier ist heute offenbar noch immer stolz auf seinen Kontakt zu dem angeblichen Spion: Auf seiner Website zeigt er das Foto eines Treffens mit Piskorski im April 2016 – kurz vor dessen Festnahme. Ein Justiziar prüfte unseren Text vorab und gab ihn juristisch frei. Außerdem gaben wir der AfD vor unserer Veröffentlichung viele Tage lang die Möglichkeit für eine Stellungnahme, die sie jedoch ungenutzt ließ. Spitzenkandidatin Alice Weidel wollte sich nicht zu den Aktivitäten eines ihrer engsten Mitarbeiter äußern. Nach der Veröffentlichung unseres Artikels jedoch äußerte sich auf einmal Pressesprecher Lüth und streut plötzlich Zweifel an den Ergebnissen unserer Recherche.

Hatten wir etwas übersehen? Haben wir ein Papier falsch interpretiert? Waren wir gar auf unseriöse Quellen hereingefallen? Das konnten wir kaum glauben. Denn für die Recherche der Russlandconnection der AfD hatten sich drei ZEIT-Reporter vier Monate immer wieder Zeit genommen und aufwändig im In- und Ausland nachgeforscht. Wir haben mit über 60 Personen gesprochen, einige von ihnen reden sonst nie mit Medien wie der ZEIT. Wir haben interne AfD-Mails ausgewertet, Gerichtsakten durchgearbeitet, für jede Information gab es gute Belege und mehrere unabhängige Quellen.

Darum baten wir AfD-Sprecher Lüth, uns Beweise vorzulegen, für seine Kritik an unserer Recherche. Nach vier Tagen, mehreren Mails und mehrfachen Versuchs der telefonischen Kontaktaufnahme, sandte er uns einen schmalen Satz: „An der Sachlage hat sich nichts geändert.“
Mit Kälte und Unverfrorenheit beharrt die AfD auf ihrer Behauptung, sie leugnet die Fakten.

Unterdessen versuchten auch die russischen Staatsmedien in Deutschland unsere Berichterstattung als unseriös zu brandmarken. Sputnik News fragte, ob deutsche Medien eine „Anti-AfD-Hetzkampagne“ führen würden und beschimpfte uns als „antirussische Propagandisten“. Einer der Vorwürfe aus den Texten, mit dem Markus Frohnmaier von der AfD zitiert wird: Unsere Berichterstattung habe eine politische Motivation. „Weil die Veröffentlichung der Geschichte einen politisch koordinierten Eindruck machte, aufgrund zeitgleicher Publikationen in verschiedenen Medien.“ Damit bewegt sich der Vorsitzende der AfD-Jugend im Fahrwasser von Verschwörungstheorien, die unterstellen, Zeitungen und Fernsehsender in Deutschland seien in irgendeiner Form zentral gesteuert.

Richtig ist: Nachdem die ZEIT ihre Recherche veröffentlicht hatte, berichtete kurz darauf auch t-online.de ausführlich über dasselbe Thema. Am Abend erschien zudem eine ähnliche Veröffentlichung des Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Am nächsten Tag legte das Portal Thüringen24.de noch einmal nach. All diese Berichte waren offensichtlich langwierig und aufwändig recherchiert – aber vor allem absolut unabhängig von unserer Arbeit entstanden.

Dass wir Journalisten nicht zusammengearbeitet haben, erkennt man leicht an den unterschiedlichen Schwerpunkten und Gesprächspartnern in den verschiedenen Texten. Das massive Interesse an diesem Thema hatte uns als ZEIT selbst überrascht. Wir wussten nichts Konkretes von den Recherchen der Kollegen. Hätten wir es gewusst, wäre unser Bericht schon viel eher erschienen – aus Angst, dass uns die Kollegen mit ihrem Artikel zuvorkommen könnten. Denn wer eine Information zuerst veröffentlicht, das ist für viele Journalisten eine relevante Währung.

Außerdem erscheinen all die Medien, die über die Verbindung zwischen Piskorski, AfD und den Wahlbeobachtermissionen berichtet hatten, in unterschiedlichen Verlagen: Süddeutscher Verlag, Funke Mediengruppe, Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, Ströer Digital Publishing – oder werden von den Zuschauern der öffentlich-rechtlichen Sender mit dem Rundfunkbeitrag finanziert.

Wie unabhängig voneinander die einzelnen Medien sind, hätte Markus Frohnmaier schon einen Tag nach unserer Veröffentlichung sehen können: Nachdem die ZEIT die Recherche veröffentlicht hatte, berichtete ZEIT ONLINE gleich zwei Mal über das bis heute unbegründete AfD-Dementi.

121 Kommentare

  1.   Klaus Viktor

    Ich frage mich, wer diskutabler ist, irgendwelche AFD Zeitgenossen oder unser Rosnet-Gerd

  2.   Kotenok

    Och nö.

    Hört doch mal auf mit dem „Russland-Bashing“ und jeden Kontakt Richtung Russland zu kriminalisieren („Russlandconnection“).

    „Auch deutsche Behörden halten Piskorski nach Informationen der ZEIT für einen zentralen Akteur bei Russlands Versuchen, seine Nachbarstaaten zu destabilisieren.“

    Jeder Akteur, der irgendwie in „Kreml-Nähe“ ist, will natürlich destabilisieren – auch wenn es sich evtl. nur um versuchte Einflussnahme handelt? Wie es jedes Land macht?

    Was ging dann – zum Vergleich – erst auf dem „Maidan“ ab, wo sich insbesondere Mitglieder der US-Administration quasi die Klinke in die Hand gaben? Und gar ein Mitglied der Administration (Victoria Nuland) vor dem Janukowitsch-Putsch (oder wie man immer es nennen will) bestimmte, wer denn nun dort „danach“ in welches Amt kommt („Jaz is our guy“).

  3.   Henry Jones

    Danke Herr Fuchs, ich stimme Ihnen zu, daß der politische Diskurs schwer gelitten hat. Aber Ihre Zunft hat durch die Berichterstattung in den letzten Jahren auch erheblich an Glaubwürdigkeit verloren.
    Einen neuerlichen Schlag hat mir zum Beispiel die Wahlsendung auf Sat1 vor 2 Tagen gegeben, als eine Dame mit Parteimitgliedschaft der Linken und freigestellte Verdi-Funktionärin als „wahlunentschlossene Krankenschwester“ präsentiert wurde, nur um dann Katja Kipping und Die Linke zu loben. Und das von einem Journalisten, der im nächsten Kandidatenduell auch wieder dabei ist. Im Gegensatz zu anderen Medien habe ich darüber auf ZON noch nichts gelesen.

  4.   Claustrum

    Hmm,

    es wird nichts nutzen auf die Unabhängigkeit euer Recherchen, auf Fakten und co. hinzuweisen…
    Alsbald wird der Mop der Geschichtsklitterer und co. hier die Kommentare füllen; dann wird wieder widerlich Wahrheit gegen vermeintliche Leitkultur gestellt und Lügenpresse gebrüllt…und es wird jeder Zehnte sein, der diesen lupenreinen Lumpen seine Stimme in 3 Wochen hinterher wirft…
    Deutschland ist wirklich arm an Kultur geworden.

  5.   The real M X

    Zeitgleich recherchieren mehrere Medien aufwendig zum selben Theme und veröffentlichen ebenfalls fast gleichzeitig. Das Thema stand vorher nicht In der Öffentlichkeit.

    Wer hier eine Koordination vermutet, der ist dann aber ein Verschwörungstheoretiker :) Netter Versuch.

    Eine ähnliche Untersuchung in die andere Richtung hat übrigens der Medienwissenschaftler Uwe Krüger durchgeführt:https://www.amazon.de/Meinungsmacht-Alpha­-Journalisten-Netzwerkanalyse-Journalismus-Kommunikationsforschung-ebook/dp/B01ATO2WC0/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1504285681&sr=8-1&keywords=uwe+krüger+meinungsmacht

    Auch als Vortrag auf Youtube: https://m.youtube.com/watch?v=0FRLUKr4dJY

    Sehr zu empfehlen.

  6.   Hamlet54

    Bei solchen Institutionen wäre es fatal sich auf die Mündigkeit der Wähler zu verlassen, die offenbar betrogen werden. Hier ist der Rechtsstaat gefordert einzuschreiten. Und zwar so bald als möglich. Die Beweise sind offensichtlich.

  7.   Siria El Khatib

    Zwei Tatsachen:
    Herr Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, war Büroleiter beim Fraktionsvorstand der Grünen im Deutschen Bundestag.
    Die Zeit hat keinen einzigen Bericht über die AfD lanciert, der nicht negativ war.
    Unabhängiger Journalismus geht anders.

    Aber das wird hier sowieso geblockt, alles im Sinne des Guten

  8.   tassentee

    Danke für die Mühe für die Recherche. Für mich war das wenig überraschend, und die Reaktion der russischen Staatsmedien lässt die Geschichte für mich noch plausibler erscheinen. Wie nennen die AFD-Fans das eigentlich, ist die AFD jetzt auch als „Volksfahrräder“ einzustufen? Aber ich bin sicher, hier schlagen gleich jede Menge nützliche Idioten, bewaffnet mit Argumenten aus der Putinpresse, in den Kommentaren auf und erklären das Gegenteil. „Putin hilf!“

  9.   Weisste Bescheid

    Will man nun auf die schnelle noch politische Propaganda zu Gunsten oder Ungunsten bestimmter Partei verbreiten? Das ist schlechter Still und ist schnell durchschaut.

  10.   zutzev

    „Einer der Vorwürfe aus den Texten, mit dem Markus Frohnmaier von der AfD zitiert wird: Unsere Berichterstattung habe eine politische Motivation.“
    natürlich hat es das – warum sonst sollte man soviel Aufwand für eine nichtmal im Bundestagspartei verwenden?
    Früher standen die Mächtigen im Fokus der Presse – heute sind es die Machtlosen.

 

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