Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Meine Ohrwürmer (3): Morrissey – „Margaret on the Guillotine“

 

Unser Autor hat einen neuen Ohrwurm. Warum erinnert er sich ausgerechnet jetzt an Morrissey und dessen Hass auf Margaret Thatcher?

Beschreibung: Der letzte und mutmaßlich schwächste Song von Morrisseys Solo-Album Viva Hate aus dem Jahr 1988. Der Gitarrist schrummelt uninspiriert vor sich hin, Lagerfeueratmosphäre um halb fünf Uhr morgens: Die meisten Jugendlichen haben sich schon zum Schlafen oder Knutschen in ihre Zelte zurückgezogen, nur Morrissey sitzt noch herum und wünscht Margaret Thatcher den Tod an den Hals. „The kind people have a wonderful dream: / Margaret on the guillotine / Cause people like you make me feel so tired / When will you die?

Vorkommen: Erst ein einziges Mal: gestern Morgen unter der Dusche.

© Dean Freeman
Steven Patrick Morrissey in jüngeren Jahren (© Dean Freeman)

Bedeutung: Unklar. Warum singt mir mein Ohrwurm ein Lied vor, das nicht besonders eingängig ist, das ich seit geschätzten zwanzig Jahren nicht mehr gehört habe, und dessen Gewalt verherrlichenden Text ich gleichermaßen platt und problematisch finde?
Beim Anziehen fällt es mir siedendheiß ein: Ich habe in der vorangegangenen Nacht geträumt, dass ich unsere Bundeskanzlerin ermordet hätte. Nicht mit der Guillotine, wie Morrissey sich das für die britische Premierministerin erträumte, sondern mit einer kleinkalibrigen Pistole. Die Kanzlerin ahnt nichts, offenbar bin ich einer ihrer Personenschützer. Ich nehme die Waffe aus meiner Jackentasche, sage etwas pathetisch „Entschuldigung“ und schieße zweimal. Ich fange den leblosen Körper im Fallen auf und bette ihn behutsam auf den Boden, dann fliehe ich mit dem Fahrrad. Beim folgenden Staatstrauerakt bin ich wieder dabei, Merkel liegt aufgebahrt, ich sitze wie ein Hund zu ihren Füßen, meine Tränen sind bitter und echt. Warum träume ich solchen Unfug?

Als ich meiner tiefenpsychologisch versierten Frau beim Frühstück von dem Traum erzähle, behauptet sie sofort, es gehe darin gar nicht um Angela Merkel, manifester Trauminhalt sei nicht gleich latenter Trauminhalt etc. pp., wie laute noch mal der Spitz- und Kosename für unsere Kanzlerin, ein Wort mit M., na? naa?, okay, wenn ich nicht selbst darauf komme, müsse sie es mir wohl sagen: In Wirklichkeit gehe es in dem Traum um meine Mutter.

Aha. Ich nicke, hege aber einen anderen, schlimmen Verdacht, den ich meiner Frau gegenüber lieber verschweige. Unter uns: Dass dieses wirklich sehr, sehr langweilige Lied mehr als zwei Jahrzehnte in meinem Unbewussten überwintert haben soll, nur um urplötzlich wieder an die Bewusstseinsoberfläche hochgespült zu werden, ist doch sehr unwahrscheinlich. Ich vermute vielmehr: Der Ohrwurm − und mit ihm der Auftrag zur Ermordung der Kanzlerin − wurde mir heimlich von den Agenten einer finsteren Macht implantiert. Bloß von wem? Kommt der böse Wurm womöglich aus Merkels eigenen Reihen? Schließlich hat die Union mit Frauen in Führungspositionen ein heftiges Problem. Aber sollte die CDU/CSU im Streit um die Geschlechterquote tatsächlich zu solch drastischen Mitteln … Genug geredet. Ich. Muss. Töten.

P.S. Womit die Agenten der finsteren Macht nicht gerechnet haben: Seit wenigen Minuten habe ich einen Konter-Ohrwurm, gegen den der staatsgefährdende Morrissey-Ohrwurm auf Dauer keine Chance haben dürfte: Angie von den Rolling Stones. Keine Ahnung, wer mir den implantiert hat.