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Wie ich den Bachmannpreis gewann

 

Unsere Autorin würde nur ungern beim Wettbewerb in Klagenfurt vorlesen. Jetzt hat sie aber als Figur in einem Text den Preis gewonnen. Oder doch als Gottesteilchen?

Wie ich den Bachmannpreis gewann * Freitext
Die Gewinnerin des Bachmannpreises 2015, Nora Gomringer (© ORF)

Schon ihre Mutter hatte der Bossong einst prophezeit: Irgendwann, mein Kind, gewinnst du mal den Bachmannpreis. Demnächst, hat ihr ein Juror vor nicht allzu langer Zeit gesagt, wirst du Bachmannpreisträgerin sein. Erst einmal, meine herzallerliebsten Menschen, gab die Bossong zurück, gehe ich duschen, es ist nämlich zum Verrücktwerden heiß.

Es gibt bekanntlich zwei Arten, den Bachmannpreis zu gewinnen: Als Autor und als Figur. Seitdem die Bossong vom Klagenfurter Wettschwimmen auf Gummidelfinen weiß, bei dem die eigentlichen Kämpfe um den Bachmannpreis ausgefochten werden, wollte sie dort nicht mehr so gern als Autorin anwesend sein. Respekt, denkt sich die Bossong, ist ein wichtiges Gut und der könnte ihr zwischen zu viel Getier womöglich verloren gehen. Und hat sie etwa dafür mit dem Schreiben begonnen, um Bauch, Beine, Po von Kritikern kennenzulernen? Oder ihre Gummidelfine? Die Bossong hätte sich überhaupt nur von einem Juror nach Klagenfurt einladen lassen, der keine aufblasbaren Tiere besitzt.

Als Figur wiederum möchte sie ausschließlich in Siegertexten vorkommen. Also lässt sie Nora Gomringer zum Bossong-Topos arbeiten. Während die Bossong unter der Dusche steht, tritt in Klagenfurt die echte Nora Gomringer als die falsche Nora Bossong auf. Oder ist es nicht doch genau umgekehrt? Steht da nicht vielleicht die Gomringer unter der Dusche, während die echte Bossong als falsche Nora einen Text vorliest? Wie sieht die echte Bossong eigentlich aus? Sie soll knapp über dreißig sein, sie sieht aus wie knapp über zwölf, versichert eine junge Frau im Text Recherche. Darauf lässt sich beim besten Willen kein Steckbrief gründen. Der Grazer Schriftsteller Clemens Setz behauptet, Bossong einmal tatsächlich getroffen zu haben, aber wissen wir denn, ob er da nicht einer medialen Inszenierung auf den Leim gegangen ist?

Echtheit, was soll’s, bin ich Schriftstellerin oder Kriegsreporterin?, fragt sich die Bossong und drückt jetzt mal ordentlich auf die Tube Cremedusche Milch und Honig. Bin ich Figur oder Faktotum, bin ich Fiktion oder Fatalität, Produkt oder Productplacement? Wo überhaupt fängt das eine an und wo hört das andere auf? Hat womöglich Foucault das gewusst oder wissen es die Juroren in Klagenfurt?

Unter der Dusche denkt die Bossong an den Nachmittag im Jahr 1969, Saal 6 des Collège de France, in dem um 16.45 Uhr Jean Wahl eine Sitzung eröffnet (die Bossong hasst wie jeder vernünftige Mensch Sitzungen, sie hasst insbesondere das Warten auf Sitzungen). Was ist ein Autor?, fragt ein Mann ohne Kopfhaar. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat man begonnen, nicht mehr das Leben von Helden zu erzählen, sondern das von Autoren, doziert der Vortragende, der Michel Foucault heißt, aber vielleicht nicht der echte Foucault ist. Das Werk, das die Aufgabe hatte, unsterblich zu machen, hat das Recht erhalten, zu töten, seinen Autor umzubringen, sagt der haarlose Mann und ich, denkt die Bossong, möchte doch lieber duschen als getötet werden.

Was ist eine Bossong, fragt sich derweil der Schweizer Juror Juri Steiner und hat den luziden Verdacht, Bossong könne so etwas wie ein Gottesteilchen sein, Higgs-Boson, das man im Schweizer Cern bislang vergeblich sucht. Bossong selbst hegt diesen Verdacht schon lange, sie hat aber auch schon mal geglaubt, sie könnte eine Stange Toblerone sein und lag damit entsetzlich falsch.

Ist Ich vielleicht ein Anderer?, fragt sich die Bossong und dreht das Wasser noch ein wenig kälter. Oder ist Ich eine Autorfunktion? Ein Autorname? Ein Autor-Effekt? Bin ich eigentlich Heilige oder Hure in diesem Quatschladen?, stellt die Bossong jetzt mal zur Diskussion. Oder doch nur eine heilige Kuh? Bin ich das, was einmal eine aufgeschnittene Stirn war? Bin ich das Blut von Rainald Goetz oder doch eher Nora Gomringers Wein? Und brauchen wir heute eigentlich noch die Transsubstantiation?

Die Bossong stellt das Wasser ab und tritt aus der Dusche, denn jetzt muss sie dringend etwas notieren, läuft tropfend durch die Wohnung und findet wieder einmal ihren Bleistift nicht in ihrer viel zu großen Handtasche. Aber bitte!, sie muss doch jetzt einen Gedanken festhalten! Denn ja, da ist sie sich sicher, die Transsubstantiation braucht es noch. Die Bossong mag nämlich nicht nur den Gott der kleinen, sondern auch den der großen, pompösen, katholischen Dinge, gern auf Latein und mit viel Lametta, das sagt sie nur nicht, das würde sie niemals zu einem literarischen Thema ausbauen oder gar in ein Interview einflechten, das ist ihre private Seite, eine, die sie niemandem, oder sagen wir: nur wenigen zeigt. Öffentlichkeit ist wie ein Vampir, der die tatsächliche Identität aussaugt und blutleer zurücklässt. Das weiß die Bossong und darum ist sie vorsichtig. Sie ist ungefähr der diskreteste Mensch der Welt, wenn man sie fragt. Vielleicht kennt sie einfach nicht viele andere Menschen, wer weiß. Setz würde sich sicherlich nicht zu der Aussage versteigen, sie wirklich zu kennen, mit all den Konsequenzen, die das für sie beide hat.

Die Bossong kehrt ins Badezimmer zurück, nimmt ein Frotteehandtuch vom Haken und denkt: Verdammt, sollte ich nicht eigentlich recherchieren, also mich um andere Menschen drehen anstatt um mich selbst? Denn eines weiß die Bossong genau: Karl Ove Knausgård ist sie nicht. Aus ihrem Leben lässt sich nur etwas rausholen, wenn man ihren Untersuchungsgegenstand, der unbedingt dramatischer sein sollte als sie selbst, mit in Rechnung stellt. Literatur ist das Zusammentreffen von Voyeurismus und Narzissmus, denkt die in ein Handtuch gewickelte Bossong, von Anteilnahme und Ausbeutung, von Gottesteilchen und der Einsicht, dass Gottesteilchen in Wahrheit sehr kleine Tobleronestücke sind.

Und herzlichen Glückwunsch, liebe Nora Gomringer.