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Hier bin ich Gott, hier darf ich sein

 

Nun also wieder Bayreuth: Während sich Upperclass und Musik-Jetset um den Perlwein versammeln, entdeckt unsere Autorin das Sexuelle an Richard Wagner.

© Reuter/Michaela Rehle
Wagner-Puppen auf dem Grünen Hügel (© Reuters/Michaela Rehle)

Der Fernbus entlässt mich mit 40 Minuten Verspätung vor einer verschlafenen Bäckerei. Ein Spaziergang durch die Nebenstraßen macht es nicht besser: In Bayreuth dämmert nichts, schon gar nicht dämmern die Götter, hier döst alles so vor sich hin. Lieblos aneinander geschobene Nachkriegsbauten, Kleinstadtstraßen, flackernde Dönerbudenschilder, musikalisch unterlegt von Verkehrsrauschen und dem Surren der Ampel.

Und dann, wenn man den Hügel ein Stück hinaufgeht, ist alles anders. Der Park ist so sauber, dass man sich nicht traut, eine Zigarette auch nur anzuzünden, Sängerstimmen klingen aus der Ferne, Taxis fahren im Konvoi an mir vorbei. Die Jeunesse dorrée spaziert gut gepudert über die Wege. „Ist dein Leben auch so aufregend wie meines?“ – „I doubt it.“ Damen in Roben vom Typ Abi-Ball für Fortgeschrittene strömen auf das Festspielhaus zu, begleitet von Herren im Anzug mit Einstecktuch und vollendet kennerhaftem Blick. Das ist die Parallelwelt für Wagnerianer, für den internationalen Musik-Jetset und die kulturbeflissene Upperclass. Über Namen spricht man hier nicht, einen Namen hat man.

Die Prominenz reist heute an. Um 16 Uhr werden die Festspiele mit der Premiere von Tristan und Isolde eröffnet, inszeniert von der Urenkelin Katharina Wagner, dirigiert von Christian Thielemann. Im Anschluss der Staatsempfang, auf dem Horst Seehofer als Gastgeber eine mutmaßlich harmlose Rede halten wird und später, nach einigen Gläsern Perlwein und umgeben von einer Gesellschaft, die sich noch einmal selbst und in sich das Bürgertum feiert, über seine prima Idee zur Flüchtlingsabschreckung nachdenkt: Minimalversorgung! Damit sie’s gleich wissen, bei uns ist nichts zu holen. Und Prost!

„In Bayreuth, das zeigt die Geschichte der Festspiele mit allem nur denkbaren Nachdruck, ging es nie nur um Kunst“, schrieb Udo Bermbach am vergangenen Wochenende in der NZZ, von Anfang an „politisch infiziert“ seien sie gewesen. Vom Kaiser über den Führer bis zur Kanzlerin, alle sind sie gern hergekommen, haben Wagners Musik geliebt und gefördert und sei es auch nur durch ihre strahlende Präsenz bei den Festspielen. In Hitlers Fall ist man da heute nicht mehr ganz so stolz drauf, seine letzte glühende Anhängerin im Clan, Wagners Schwiegertochter Winifred, starb 1980, nicht ohne fünf Jahre zuvor noch einmal öffentlich auf die „herausragende Persönlichkeit“ des Führers hinzuweisen. Den Enkeln wurde die unliebsame Aufgabe zuteil, nicht nur eine Person, sondern ein ganzes Ereignis entnazifizieren zu lassen. Ein Persilschein für ein Gesamtkunstwerk. Dass die Festspiele nicht nur gesellschaftsfähig sind, sondern geradezu der Inbegriff des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland, darüber möchte man sich eigentlich jedes Jahr von Neuem wundern.

Besucher suchen den Zauber auf Postkarten (© Getty Images)
Besucher suchen den Zauber auf Postkarten (© Getty Images)

Nur über den Klatsch darf man schreiben

Bevor der Vorhang sich hebt, werden noch hektisch Hustenpastillen aus den Taschen gekramt, die Profis unter den Festspielbesuchern haben Kissen dabei, um die prunklos harten Lehnen über vier Stunden zu ertragen. „Verzeihung, Sie haben ein Tier auf dem Rücken.“ Der Mann vor mir dreht sich um, mit meiner Eintrittskarte wedele ich den riesigen Käfer von seinem Hemd. „Na, vielleicht wollt’s auch mal gute Musik hören“, meint er.

Frank Castorf inszeniert, Kirill Petrenko dirigiert, aber über den Besuch der Generalprobe der Götterdämmerung darf bis zur Aufführung öffentlich nichts geschrieben werden. Über den Klatsch allerdings schon, der ja keinen unwesentlichen Teil im Medienecho der Festspiele ausmacht. Jüngster Skandal: Thielemann bekommt auf Katharina Wagners Wunsch die Rolle des Musikdirektors, den es bislang in Bayreuth überhaupt nicht gab. Petrenko wiederum geht nach Berlin, wo er die Philharmoniker dirigieren wird, und zwei stilistisch höchst unsensible Journalisten springen gleich kopfüber ins Fettnäpfchen. Der jüdische Petrenko wird mit dem Gnom Alberich verglichen, jener Figur aus dem Ring, an dem Wagner seinen Antisemitismus besonders anschaulich ausließ. Das ist hochgradig peinlich, politisch jenseits von jeglichem Bewusstsein, aber doch hätte es dieser Fauxpas nicht so prominent in die Presse geschafft, wenn nicht das Schlagwort Bayreuth darüber gestanden hätte. Das Erfolgsrezept der Festspiele basiert ja nicht nur auf Wagners monomanischem Werk, sondern auch auf dem Soap-Anteil, den die Festspiel-Familie traditionsverpflichtet pflegt. Die Verzankungen zwischen den Halbschwestern Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner etwa sind Familientratsch auf Staatsniveau. Wer wann und aus welchem Grund Hausverbot bekommt, wer sich mit wem verbündet, ist fast so sensationell wie die Intrigen von Hagen von Tronje.

Aber eben doch nur fast. Man nehme das Universum, verdoppele es und quetsche es in eine Partitur. Heraus könnte mit etwas Glück die Götterdämmerung kommen. Wagner ist zu viel und die Götterdämmerung obendrein zu viel Wagner. Sie überfordert, sie berauscht, sie dringt mit einer Wucht in uns ein, dass unsere geschundenen Sinnesorgane wie verkümmerte Kanäle wirken, nicht weit genug, um alles in uns einzulassen. Ist Wagner Sex? Wenn ja, dann ein holistischer Gangbang.

Mögen die Spiele beginnen.

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