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Das Stehen in Nummer vier dauert drei Stunden

 

Kontoeröffnung klappt nicht. Internetanschluss gibt es nur mit Konto. Unsere Autorin lebt seit drei Tagen in Oxford und verzweifelt an den Tücken des Ankommens.

Ich sage zu meinem Kind: „Nachbarn sind nicht nur die Leute neben dir, sondern auch die um dich herum“, als wir über die Straße gehen. Wir haben das Paket für einen Nachbarn entgegengenommen. „Erst rechts schauen, dann links“, sage ich zu meinem Kind. Ich will es nicht umbringen, indem ich ihm die Regel falsch erkläre, denke also selbst rasch noch einmal nach. Stimmt: Die kommen von rechts. Weil sie links fahren. Der Nachbar gegenüber wohnt im Keller. Nummer B. A liegt darüber, Eingang auf Straßenhöhe. Wir tappen über die Straße zurück. Die Schilder sind klein, sagen 40. Das Busschild haben wir lange Zeit gar nicht erst gesehen. Lange Zeit: Seit drei Tagen sind wir da.

Es ist eine Binsenweisheit, dass man seine Nachbarn erst kennt, wenn man eine Zeit lang bei ihnen lebt. Binsenwahrheit: a truth in the bin? „Bin“ heißt Abfalleimer, das stimmt also doch. Zwischendurch lesen wir Rico, Oscar und das Diebstahlsgestöhne. Es tut uns gut, mit den beiden in Berlin zu sein. Hier ist es 13 Grad kälter. Wir frieren. Wir sind Deutsch. Unsere Nachbarn lachen. So lernen wir uns kennen. Der Nachbar mit dem Päckchen ist weiterhin nicht da.

„Erst rechts, dann links“, sagt mein Kind und schwingt sich aufs Rad. Auf dem Bürgersteig. Ich laufe. Ab in die Stadtmitte. Die Stadtmitte ist voller Wunder. Wir stehen in der Empfangshalle einer Bank. Draußen: die Automatenreihe. Exakt drei Stück. Eine Geldmaschine trägt ein Maestrozeichen, aber meine Karte nimmt sie nicht. Innen: eine Frau, die mir etwas von appointments erklärt. Man kann nicht einfach in eine englische Bank hineinwackeln, mit Kind, und erwarten, nun ein Konto eröffnen zu dürfen. Ich bekomme ein Appointment für eine eventuelle Kontoeröffnung in zehn Tagen. Bis dahin? Warten. Cash. Ob ich das Konto eröffnen darf, wird meine Überprüfung zeigen. Ich habe einen europäischen Pass und darf hier sein. Das wenigstens weiß ich sicher und halte mich daran fest. Die Angestellte der Bank sagt: macht nichts. Never mind. Um ein Bankkonto zu bedienen, braucht man eine Onlineverbindung. Für die Onlineverbindung braucht man ein Bankkonto. Um nachzusehen, was man mitbringen muss, um für kreditwürdig und kontofähig befunden zu werden, muss man online gehen. Das Geld liegt hier nicht auf der Straße, sage ich zu dem Kind, egal, ob man erst rechts schaut oder erst links. Der Kurs steht 1 Pfund gegen 1,50 Euro. Die Preise sind gleich, zumindest in Kaffee-, Milch- und Brotwährung. Alles andere, Busse, Bücher, Banken, Binsen, ist teurer. Rasch biegen wir in die Fußgängerzone ein.

© Justin Tallis/AFP/Getty Images
© Justin Tallis/AFP/Getty Images

Die Fußgängerzone besteht aus To-go-Restaurants und Telefonläden. „Wir sind eben auf einer Insel“, sage ich zu dem Kind. Im ersten Telefonladen sagt man mir inselklipp und klar: Unsere Deals sind die besten, aber ohne Konto geht nichts. Kommen sie einfach mit Konto wieder, dann dauert es nur noch drei Wochen, und wir sehen nach, wie das mit der Verbindbarkeit so steht in ihrem angemieteten Haus. Denn eigentlich braucht die Bank, damit sie mir ein Konto eröffnen darf, einen Nachweis über die Energiekosten des Hauses, das ich bewohne (utility bill, aha) und eine Kreditauskunft. Wir brauchen zudem ihre Kontonummer und ihre Kontokarte (aha), um einen Vertrag über Telefon und Internet mit ihnen zu schließen. Aha.

Telefonladen Nummer vier. Das Kind hat Geduld, denn in jedem Telefonladen stehen viele Handys, sind an und voller Spiel. Das Stehen in Nummer vier dauert drei Stunden. Ich werde äußerst zuvorkommend von einem Jungen bedient. Sagen wir, er heißt Frank. Frank kommt aus Bristol und ist Shop Manager. Er verspricht, erklärt, glass fibre, speed, collaps no. Ich sage „ja“, werde weggeschickt, weil meine Daten überprüft werden. Ja, ich habe keinen Account, no. „No“, sagt das Kind, „ich will kein drittes Eis“. „Ja“, sagt Frank, „es geht, aber erst später.“ Immerhin darf ich eine Pay-as-you-go-SIM kaufen, englische Nummer, die ich behalten kann, falls der Vertrag, den wir halb geschlossen haben, durch mich als überprüfte Kontoinhaberin, britisch, bestätigt wird. Wann auch immer das sein wird. Dann muss ein Techniker vorbeikommen und das Glasfaserkabel ans Haus legen, wofür ich den Landlord um Erlaubnis bitten muss, was ich am besten tue, indem ich die englische SIM ins Handy schiebe und „mobilisiere“.

Die Mobilisierung der Telefontruppen funktioniert nicht. Der Shop Manager hilft mir, da die Frau am Servicetelefon mein Passwort bei jedem Buchstaben falsch versteht. Als das Telefon, englisch, endlich geht, sagt der Landlord „nein, so geht das nicht“, rechts, wie links, er kommt an dem Tag selbst vorbei. Noch im Laden wird der Tag verschoben. Alle sagen: „Entspannen Sie sich.“

Das Kind sagt: „Ich schaue rechts, ich schaue links, Bauchweh hab ich auch.“ In dem gemieteten Haus, in dem in jedem Zimmer noch gebaut wird, also irgendetwas nicht geht, fehlt oder zusammenbricht, kaum benutzt man es, liegt ein Zettel: ich muss mich beim County Council anmelden. Das geht online oder mit einer Hotline per Telefon, die, als ich zu Dienstzeiten anrufe, außer Dienst ist. Während wir weg waren, kam eines der aufgegebenen deutschen Gepäckstücke an und wurde wieder weggefahren. Es wiegt, ich erinnere mich bestens, 21,8 Kilo, ich darf es an einer Auslieferungsstelle, 1,5 Meilen entfernt, abholen, aber kann auch eine zweite Zustellung beantragen, online.

Ich kollapse auf einen Stuhl.

So kommen wir an.

Nachts stehe ich aus dem Bett noch einmal auf. Ja, da liegt mein Pass. Wir sind legal hier. Haben Bargeld. Können die Sprache sprechen, reisten gefahrlos an.

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