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Als Nomade im Bible Belt

 

Die Prohibition funktioniert. Allen, die anders sind, wird mit Feindschaft begegnet. Wie überlebt man in den Südstaaten der USA, wo der Geist weißer Kleinbürger regiert?

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© Ann Cotten

Sowohl Kansas City als auch Detroit besitzen Statuen ihrer Geister aus den 50er Jahren. Detroits berühmter spirit hält in der einen Hand Gott, in der anderen die Familie und bekommt anlassbezogen die Dressen der heimischen Mannschaften angezogen. Die Bronzestatue in Kansas City ist im Internet kaum präsent; es handelt sich um eine nackte Fischerin, die ihr Netz wie eine Boa gedankenverloren hinter sich schleifen lässt, während die Fische entweichen. Möglicherweise ist diese Figur, so wie das berühmtere gleichnamige Bild von Norman Rockwell, eine Referenz auf die Flutkatastrophe 1951.

© Ann Cotten
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Die Prärie ist ja bereits eine Art von Wüste. Blaubeeren wachsen hier nicht. Man dealt auf Parkplätzen mit Eiern, überschüttet einander mit Quilts und fachsimpelt mit viel Humor über Möbelbau, Motoren, Schweißnahten. Der Himmel ist riesig und erzeugt Euphorien, von einer Seite des Horizonts zur anderen.

 

© Ann Cotten
© Ann Cotten

Wer unbedingt Alkohol kaufen will, schleicht in der Dämmerung zum Liquor Store. Sofern es einen gibt – viele Ortschaften sind stolz auf ihre effektive Prohibition, wobei manchmal puritanische Sekten, manchmal das Wohl der Ureinwohner, die den Alkohol so schlecht vertragen, als Grund für die strengen Regeln gelten. Es gibt genug andere Verführungen. Soda und billige Fleischprodukte, Puffzeug mit Zucker und Berge von schmelzendem Karamell. Gesundes Essen ist teurer und man muss eventuell die Rohstoffe beim Namen kennen und kleinhacken (obwohl der Supermarkt auch viel Vorgeschnittenes anbietet); für viele Menschen stellen die deutlich billigeren Produkte auf Zucker- und Fettbasis eine lebensgefährliche Überlebensmethode dar. Wir befinden uns in Bible Belt. Und ich gehe schon wieder in die Kirche. Dort sind sie locker und hyperkonservativ angezogen und superfreundlich – ich bin weiß, höflich und verwandt. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass, sobald ich außer Hörweite bin, eine andere Art von Gespräch losgeht. Eine unausgesprochene, da unaussprechbare Feindschaft gegen alles Andere liegt in der Luft, an der meine Versuche, sensibel zu sein, ohnmächtig abprallen. So fühlt es sich also an, wenn Meinungen über einen herrschen, an denen man unbeteiligt ist.

„Ich weiß, dass ihr uns für primitiv und asozial haltet, aber es ist überhaupt nicht so wie ihr denkt. Und im Übrigen muss uns ja nicht kümmern, was ihr denkt“, platzt es irgendwann heraus. Sie ist ein analytisches Genie, arbeitet als Strategin für relativ böse Großfirmen, lebt am Rand einer neu erbauten Siedlung mit zwei kleinen Pudeln, die in quiekenden Kussorgien über den Teppich tollen. Alles (bis auf das) ist in ihrem Haushalt vernünftig gestaltet. Aber wie durch den Trick eines Illusionisten hat auch der Katholizismus in ihrer Rationalität einen Platz. Sie zuckt zusammen und weist mich zurecht, als ich die Transsubstantiation „irgendwie tribal“ nenne. „Tribal is used for heathens,“ erklärt sie mir. Ich will es nicht begreifen, dass eine moderne Frau, deren professionelles Denken als Firmenstrategin meine Vorstellungskraft mühelos hinter sich lässt, tatsächlich in dieser Tiefe abergläubisch ist.

Ich muss meine Narrativen zurechtschütteln, um mich daran zu erinnern, dass aus Sicht der US-amerikanischen Verwandten meine Kleinfamilie die Emigranten sind, die die USA verließen, um im exotischen Europa ihr Leben fortzuführen. So habe ich das noch nie betrachtet – aber sie sind deutlich in der Mehrzahl. Ich komme alle paar Jahre vorbei und besuche die Verwandten in ihren schmucken Häuschen wie Tiere im Zoo, es ist mir schon peinlich. Für mich sind die USA aber gar kein richtiges Land, sondern eine problematische, dünne Schicht Historie und Verwickeltheit auf einem Kontinent, das eigentlich nach einer ganz anderen Melodie tanzen sollte. Eine Art stub, wie es in William Gibsons Roman Peripheral heißt: ein alternativer historischer Strang, in dem die Geschichte der Menschen wie der Technik eine andere Entwicklung genommen hat als in der richtigen Welt. Etwas gespenstisch das alles. Ich kann meinen Verwandten ja nicht ernsthaft erzählen, dass sie in einer Art virtuellen Realität leben. Aus der Perspektive heraus, dass ich mir selbst, je mehr ich von der Welt erfahre, umso weniger Identität zusammen addiere, wird das mit der Virtualität allerdings schon wieder etwas plausibler.

Man könnte aber umgekehrt auch diagnostizieren, dass genau diese vermeintliche Identitätslosigkeit (von außen betrachtet ist man natürlich immer ein Typus) wiederum etwas Amerikanisches ist. Das Angebot, ja die Verführung bestand, sich selbst zu erfinden, der Identität als ererbtem Fluch zu entkommen. Man ist vielleicht handlungsorientierter, handlungsfähiger. Dafür trifft einen der Fluch der Ignoranz. Ich verliebe mich in eine Kellnerin im Sportlokal, deren Körper unter dem Footballtrikot trapezförmig geshaped ist und die mir mit geradezu steroidischer Liebenswürdigkeit die Angebote der Happy Hour erklärt, während ringsum die corn-fed youth und gegerbten oder traurig-fetten Männer in ihren Margaritas versinken.

Ich durchquere zu Fuß an einem surreal warmen Tag die Kleinstadt Newton, Kansas – ein Dorf, müsste man sagen, aber es fehlt mir hier alles Dörfliche. Die Vielzahl an Kirchen verschiedenster Sorten macht einen geradezu urbanen Eindruck. Die katholische bekommt gerade die Simse gestrichen von zwei Handwerkern mit Hardrockbeschallung. Gegenüber ist ein kleines süßes Haus, zum Verlieben, hübsch aber unkitschig, blau, efeubewachsen, mit einer Feuerstelle mitten in idyllischem Gestrüpp, wo eine Frau in einem blauen Holzfällerhemd zugange ist. Sie ist eine der ersten Personen, die ich draußen in ihrem Garten gesehen habe, meist sieht man höchstens Kinder draußen spielen. Das Haus macht den Eindruck einer schönen Alternative. Dann lese ich das Trump-Schild. Überrascht und zu müde, um ein Gespräch zu führen gehe ich vorbei, ohne sie anzusprechen.

Öfters sehe ich noch Trump-Schilder in Settings, die ich insgesamt als betulich beschreiben würde, hier hat sich jemand was gedacht – um eine blinde Ecke herum vielleicht, irgendwie? Was für Leute zieht er an, warum? Es fehlt mir immer noch die logische Verbindung zwischen Idylle und Politik. Bestimmt würde sich dieser Effekt in einem Gespräch auflösen. Gespräche liefern die logischen Herleitungen für die eigentlich irrationalen, affektiven Bewertungen, die hinter Aktivismen, Inaktivitäten und sonstigen haus-, betriebs- und seelenwirtschaftlichen Tätigkeiten stecken. Main Street entlang, feeling corn-fed, cruisend wie ein Studebaker Convertible, an der Videothek vorbei, mehreren verschiedenen Drive-in-Burgerbuden, Tankstellen, Organic Food, Bücherei, Gericht, Donutladen, Matratzenhändler mit Ausverkauf. Immerhin fühlt sich Newton realer an als Vienna, Virginia, der netten reichen Vorstadt von Washington D.C., obwohl die Logik der wie eine Perlenschnur entlang der Hauptstraße aufgereihten kleinen Gebäude mit ihren Parkplätzen ähnlich ist. Bis auf die Zielgruppe. Es heißt, Newton wolle mehr Leute mit Geld anlocken, indem man nette Restaurants eröffnet, die aber können, bevor die netten Leute mit Geld kommen, nicht überleben, es bleibt also, wie es ist und geht ein wenig bergab. Vor mir geht ein Mann mit zwei Kampfhunden, der mich höflich überholen lässt.

Die ärgst aussehenden Leute brechen in sonniges Verhalten aus, sobald man sie anspricht. Im Radio predigt ein Priester: „We all really want to spend time with people and have a conversation. We just think we don’t. So just say hi and see what happens.“ Zeitweilig wirken die USA wie eine riesige Selbsthilfegruppe in Kommunikationstherapie, denen jemand gesagt hat, dass man ein Gespräch mit „Hi! How are you today?“ beginnt. Danach bröckelt es schnell ab oder verliert sich in Smalltalk-Schleifen nach dem Modell der Schnellstraßen von L.A. Es macht nichts (you’re weirding me out). Solange man die Grenzen einhält, sind alle darin einig, so zu tun, als wäre alles paletti. Wenn ich aber in irgendeinen Konflikt geraten würde – etwa mich auf das Grundstück eines guten Bürgers verirrte oder eben den Katholizismus tribal nenne – wäre der Spaß vorbei.

Die Freiheit und der Wunsch nach einem liberalen Alltag, etwa in diesen guten Gegenden, wo man sich wegen Kriminalität keine Sorgen machen muss und offene Türen pflegt, verlangt Paranoia und Überwachung der Nachbarn und eine strenge Ausgrenzung von allem, was zu viele Autoteile im Vorgarten hat. Die Ausgrenzung nimmt oft die Form an, dass man nicht weiß, was man miteinander reden soll. It feels awkward, wenn man negative Gedanken über jemanden hat oder ihn nicht versteht, und dieses Gefühl, verunsichernd, ja zersetzend, ist zu vermeiden, weil es die Aufgabe, ein guter Amerikaner zu sein, tatsächlich sehr erschwert. Vor diesem Hintergrund leuchtet mir ein, wieso so viele US-amerikanische Arthouse-Filme von verstockten Leuten handeln; wieso das Stocken und das verlegene Herausplatzen von scheinbar grundaufrichtigen, pathetischen Statements zum guten Ton für US-amerikanische Intellektuelle erhöht worden sind.

Während des Zweiten Weltkriegs, erzählt mir meine Tante, gab es sogenannte party-lines, also Telefonanschlüsse mit mehreren Apparaten, die sich ein paar Nachbarn teilen. Man konnte abheben und den Gesprächen der anderen lauschen – die hörten ein leises Klicken. Im Mittleren Westen waren viele deutschsprachige Einwanderer, die auf einmal nicht mehr wagten, miteinander deutsch zu sprechen, da sie für Spione gehalten werden konnten. An der Westküste verhafteten Freiwillige vorsorglich alle Asiaten, da viele von ihnen Japaner nicht von Chinesen oder Vietnamesen unterscheiden konnten; sie wurden in Lager gebracht. Der Nordteil Newtons wurde bis in die letzten Jahrzehnte von den mildtätigen, karitativ hochaktiven Mennoniten als ethnisch geschlossene Gegend gehalten, keinem mit anderer Hautfarbe oder Religion wurde ein Haus verkauft, bis einzelne sich mit Gerichtsprozessen gegen die illegale Diskrimination durchsetzten – wie es in Mount Pleasant in Washington in den 50er Jahren geschehen war.

Bis heute werden aber die Häuser in North Newton schlicht so teuer verkauft, dass eine effektive Segregation weiter funktioniert. Es dominieren aber Leute wie meine Verwandten, ebenso wie in Österreich und in Deutschland – man weiß nicht, was sie wählen, und ihre Ansichten schweben wohl in der Luft, aber im Grunde, wenn man sie kennt, sind sie lieb, hilfsbereit, verständnisvoll, auch wenn sie auf ihr Geld und ihr wirtschaftliches Fortkommen schauen, wie selbstverständlich und aus irrationalen Gründen die eigene Familie vor anderen Leuten immer bevorzugen. Hier vermute ich wieder eine der monetären Wasserscheiden der Welt, denn es ist eben nicht selbstverständlich, dieses Clan-Denken. Wer es nicht macht, oder wem die Familie zerbröselt und zerbricht, hat es schwerer. So weitet sich die Schere zwischen „gute“ und „schlechte“ Familien, der treibende Schatten der berühmten Schere zwischen arm und reich, die zu schließen die soziale Gerechtigkeit einst erfunden worden war.

 

© Ann Cotten
© Ann Cotten

Als wir uns mit einem Bier an den Fluss setzen, ist es schwer, die Illegalität dieser Handlung zu vergessen, obwohl der Vogelgesang und der geteerte Holzsteg der Eisenbahn in der Wintersonne einen veritablen locus amoenus konstruieren. Illegal ist einerseits das Bier in der Öffentlichkeit, andererseits das Betreten eines Grundstücks, von dem ich nicht genau weiß, wem es gehört. Die USA hat hier den Missstand Englands perpetuiert, wo es generell verboten ist, Land zu betreten, anstatt eine allgemeine Wegefreiheit oder ein Betretungsrecht nach schottischem, skandinavischem oder mitteleuropäischem Vorbild einzurichten. Anstatt dass wie in Österreich oder Schottland jeder unbebautes Land durchqueren kann, aber verpflichtet ist, keinen Schaden anzurichten, ist der Privateigentümer hier im Prinzip berechtigt, jeden Trespasser zu erschießen. Oft muss man lange nach einer touristischen Infrastruktur suchen, mit Trailhead, Picknickbänken, asphaltierten Wegen, um einen schlichten Spaziergang zu machen, obwohl ringsum die herrlichste Natur lockt. An den Highways entlang verlaufen filigrane Zäune.

Ich bin ja nur ein europäischer Tourist, aber wie muss es wehtun, einem nomadischen Volk anzugehören und plötzlich mit diesem Trespassing-Rechtssystem konfrontiert zu sein? Plötzlich kommen Horden von Kleingärtnern und bauen ihren Zirkus mit Zäunen und Pancakes auf und verachten alle größer gedachten Lebensformen mit pathologischem Hass. Es ist nicht nur der Genozid und die jahrhundertelangen sadistischen Umerziehungspraktiken, es ist der ganze bürgerliche Terror, den die englische Cottagementalität aufbringt, der das weite freie Land wie mit der Egge verunstaltet. Ein biografisches Buch über den Maler und Bildhauer Blackbear Bosin macht mich nachdenklich, als seine Ehe geschildert wird, und wie er manchmal die Umgebung mit seiner Lebensart provozierte. Und er war immerhin sicher in seinem eigenen Protokoll künstlerischen Handelns. Wie, wenn man gar kein gestandener Individualist ist, wie überlebt man mit seinem Selbstbewusstsein in einer so massiv von weißen Kleinbürgern diktierten Umgebung?

Manchmal wirkt es wie eine Zeitreise in vergangene Jahrhunderte, wenn die Leute reden – weil die Distanzen so weit sind und die meisten Leute nie andere Sitten kennenlernen. Dabei, denke ich leise, sind sie doch mitten unter ihnen. Aber sie schrecken sich, was passieren würde, wenn sie sich auch nur betränken. Die schönen Seelen wiederum, sagen wir mal, die Künstler und die Native Americans, fürchten sich wiederum vielleicht zu wenig vor dem Rausch, der ihnen mehr geistigen Raum zugesteht als die herrschende nationale Atmosphäre. Er baut die Hemmungen ab, die Angst, das Gehege von Verboten, die die puritanischen Kleinbürger umgeistern. Ich vergesse gerne und haltlos nach dem ersten Schluck Wein, dass diese freundlichen Leute tückisch und falsch sind mit ihrem Sirup von Freundlichkeit, den sie in Schlaufen um mich legen. Morgen sind die Fesseln zu Plastik erstarrt, das ich auf den Boden abschüttle wie ein Exoskelett.

 

© Ann Cotten
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Detroit hingegen steht kathedralisch, unterirdisch, voll eingebauter Ahnungen. Geistig gesund scheinen sie in ihrer Kaputtheit mit genug Raum zu leben. Immerhin haben sie diese Vergangenheit als Paris der Vereinigten Staaten, die Relikte utopischen Art Décos im Aztekenstil, die opulenten Materialien setzen ästhetische und so auch irgendwie geistige Maßstäbe. Im berüchtigten Cass Corridor liegen Zigarettenspitzen aus cremefarbenem Plastik am Boden, eine Marke, die ich sonst selten sah. Kaputt aber elegant. Als Fallbeispiel schlechthin für Gentrifizierung legt Detroit nahe, die Künstlernaturen genauer zu besehen, die meist ahnungslos, naiv oder von Trends mitgerissen ihre tragische Verschönerungsarbeit leisten. Sie lieben hübsche Dinge, sie machen hübsche Dinge. Wenn es nur so einfach wäre mit der Hübschheit!

Wirtschaftlich ist es indessen kaum zu fassen, dass in Detroit tatsächlich immer wieder der selbe Fehler passiert – es zeigt, dass die Stadt sich keinen eigenen Wert zuschreibt gegenüber den Firmen, die sie zur hysterischen Überblüte trieben und dann fallen ließen. Immer wieder. Im Boom wird euphorisch gebaut, der Bevölkerung werden Filmpaläste und Opernhäuser geschenkt. Kaum lässt die Wirtschaft nach, wird die Stadt im Stich gelassen. Niemand ist zuständig für Kontinuität. Jetzt ist wieder Aufbau angesagt, die Preise sind schon mächtig gestiegen und die Innenstadt ist ein einziger Brillant. Jedes Haus hat einen Besitzer, auf dessen Wohlverhalten gehofft wird. Niemand hätte das gedacht. Und wenn es wieder zerfällt, wird es auch alle überraschen.

Ich treffe mich mit Nandi Comer, einer Schriftstellerkollegin, deren trockenen Humor und Kundigkeit in diversen Genres von Techno bis Lyrik ich online bewundert habe. Sie führt mich in einen mexikanischen Supermarkt zum Taco-Essen aus. Die Familie, die den Supermarkt betreibe, komme aus der Gegend, in der sie selbst eine Zeit lang unterrichtet habe, erklärt sie, und spricht vertraut mit ihnen auf Spanisch. „Soul food,“ lacht sie, und meint damit Essen, das einen sentimentalen Mehrwert mit sich trägt. Wie eine mexikanische Version von Tapas werden die Tacos einzeln bestellt, kleine Mais-Tellerchen mit verschiedenen toppings, wir rollen sie und schieben sie in den Mund, eine elegantere Art von fingerfood als der polsterartige Hamburger. Sie schildert, welche Fluten von veröffentlichungsgeilen Poeten die ebenfalls massenhaft betriebenen Literaturzeitschriften fluten, sodass man besser dran ist, bei Wettbewerben mitzumachen, weil dort eine Teilnahmegebühr die Zahl der Bewerber einschränkt. Beim Erklären von Detroit unterbricht sie sich, um mit einem Seufzer anzumerken, alle Überlegungen zur gegenwärtigen Gesellschaft führten sie irgendwie immer wieder auf den Rassismus zurück.

Ich entschuldige mich dafür, dass ich mich die ganze Zeit entschuldige, und muss an einen Artikel denken, aus dem mehr oder weniger hervorging, dass man als weißer Mensch kaum eine Methode finden könne, mit von Rassismus betroffenen Menschen richtig umzugehen. Weder das Thema zu vermeiden, noch das Thema anzusprechen, sei richtig; während der besserwisserische Kompetenztonfall des amerikanischen Idioms an den falschen Stellen mit Vorschlaghammern hantiert, können sich von unschuldig tuenden Fragen und passiven Zuhörangeboten Betroffene verarscht und alleingelassen vorkommen. How to be a good ally, muss sich von Fall zu Fall entscheiden, durch Haltung und Taten mehr als durch Worte. Stimmungen und Machtstrukturen kann man nicht nach Belieben am Fließband erzeugen. Sie ergeben sich aus einer gemeinsamen Meisterschaft des Spiels, was auch bedeutet, Kontrolle abzugeben. Ich erinnere mich an meine frühesten sozialen Hochgefühle: beim Fußballspielen. Trippeln, Pass, Pass, Schuss – mein Körper und nicht nur mein Kopf musste begreifen, dass es kein Einzelkampf war, und dadurch kam dann die Euphorie.

Am Morgen, als wir in Detroit ankamen, empfing ich so ein freundliches Zuspiel, als der Busfahrer der Linie, die die Hauptstraße Woodward Avenue auf und ab fährt, uns, und dann noch alle anderen Passagiere, die er sah, am Straßenrand auflas und in das bimmelnde Geschäkere einbezog, mit dem er die Stationen ansagte. Ich verstand nur die Hälfte, machte mit ihm den geforderten Knöchelkuss-Gruß, und die Stadt hatte mein erschöpftes Herz gewonnen. Die Härte und Anarchie zeigte sich als freundliches und konstruktives Verhalten, das mich wie den letzten einschloss.

Im Moment schaue ich aus dem Fenster des Southwestern Chief in die wüsten Wildnisse von Colorado. Diese Strecke muss einst zum Fürchten gewesen sein mit so vielen Verstecken für Banditen. Die Prärie ist vorbei. Was konstant bleibt, ist der Eisenschrott, mit dem jedes Bächlein gespickt ist, wenn irgendjemand in der Nähe wohnt. Vertrautheit statt Zärtlichkeit. Ich fahre Richtung Westen, die Wüste wächst.

Alle Folgen von „Fly-over USA“: Ist das schon das neue Amerika? Die Schriftstellerin Ann Cotten bereist das Land nach der Wahl von Donald Trump.

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