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Antisemitismus? Gibt es nicht!

 

Antisemitismus wird in Deutschland beschönigt: als Satire oder Israelkritik. Dass die Dokumentation „Ausgewählt und Ausgegrenzt“ nicht gezeigt wird, hat andere Gründe.

Antisemitismus: Eine Doku über etwas, das es nicht gibt?
© Amir Cohen/Reuters

Vergangene Woche gab es Aufruhr im Internet. Überall sah ich Links zu Artikeln, in denen vom Verbot eines Films über Antisemitismus in Europa geschrieben wurde. Dienstag konnte man die Dokumentation dann für 24 Stunden auf bild.de sehen. Auch mein erster Impuls war: Ja, klar! Weil es keinen Antisemitismus geben darf, gibt es auch keinen. Nirgendwo! Deswegen muss ein Film, der diesen zeigt, auch aus dem Weg geschafft werden. Mit allen Mitteln. Und das wiederum würde ein weiterer Beweis für, genau, Antisemitismus sein.

Ich erinnere mich an den Januar 2013 und wie ich morgens aufwachte, meinen Rechner aufklappte und das erste Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, wirklich mit einer antisemitischen Attacke konfrontiert zu sein. Am Vorabend hatte es eine von 5.000 Menschen besuchte Veranstaltung im Rahmen der Berliner Fashion Week gegeben, aber ich war im Bett geblieben, weil es dort gemütlicher als auf Großveranstaltungen ist. Dafür hatte dort an der Wand des Veranstaltungsortes ein großformatiges Bild gehangen, das vor sieben Jahren für ein Tip-Cover geschossen worden war, auf dem ein Journalist, ein Künstler und ich abgebildet waren. Diesem Bild hatten zwei Personen – die uns drei gut kannten – etwas hinzugefügt. Einen Hitlerbart nämlich. Und dieser Hitlerbart wurde nicht etwa den beiden nicht-jüdischen Deutschen über die Oberlippe gemalt, sondern nur mir. Der einzigen Jüdin auf diesem Bild. Von der Aktion hatten diese beiden Personen ein Foto gemacht und dieses auf ihren Social-Media-Kanälen Facebook und Instagram geteilt. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment, in dem ich dieses Bild in Facebook aufpoppen sah und wie sich alle meine Organe in Richtung Boden davonmachten, wie ich einen großen Schmerz und gleichzeitig eine große Wut in mir spürte. Wut, die ich vier Jahre später in meinem Roman Winternähe katalysieren würde, indem ich ihn mit ebendieser Szene beginnen ließe.

 

Screenshot des Posts, der Mirna Funk mit aufgemaltem Hitler-Bart zeigt.

Ich machte Screenshots von den Social-Media-Posts, druckte diese aus, ging damit zur Polizei und erstattete Anzeige. Parallel dazu rief ich einen jüdischen Anwalt an, sowie die Chefin der Veranstaltung, für die auch eine der beiden Personen arbeitete. Ich wurde von vielen Seiten für meine Reaktion auf diese Attacke gemieden. Die Wenigsten verurteilten die Täter und bezeugten Anteilnahme. Die meisten fanden, ich übertriebe. Ich würde aus einer Mücke einen Elefanten machen, ja, das Ganze wäre doch ein Spaß und ich solle doch einfach drüber lachen anstatt zur Polizei zu rennen. Auch in der ersten offiziellen Erklärung der beiden, die sie meinem Anwalt schickten, war von einem Spaß die Rede. Dass sie den Bart gemalt hatten, stritten sie ab, sie hätten das Bild nur in den sozialen Medien geteilt, „die Aktion habe das Groteske der Veranstaltung symbolisieren sollen“, schrieben sie. Dafür musste nun die Jüdin herhalten, der man einen Hitlerbart über die Lippe malte, und die beiden nicht-jüdischen Deutschen auf dem Bild blieben unbeschadet. Klar. Was für ein lustiger Spaß, oder?

Juden kennen Antisemitismus

Im Jahr 2016 wurden 644 antisemitische Straftaten gemeldet, darunter 15 Gewalttaten, die mit zwei Festnahmen und vier Haftbefehlen endeten. Die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Straftaten liegt um einiges höher. Das weiß man längst. Nämlich, dass die meisten Juden, denen Antisemitismus widerfährt, eben nicht zur Polizei gehen. Ich habe damals anders gehandelt. Mein Fall taucht in den Zahlen von 2013 irgendwo auf. Aber bis zum Gericht habe auch ich mich nicht getraut. Warum? Aus Angst davor, beide würden freigesprochen. Von einem deutschen Gericht. Denn dass deutsche Gerichte, so wie viele andere auch, keinen Antisemitismus sehen, nirgendwo, weiß man längst. Juden jedenfalls wissen das. Die meisten Verhandlungen enden wie die in Wuppertal: Drei Palästinenser werfen im Sommer 2014 Molotowcocktails auf eine Synagoge. Im Februar 2015 werden sie dafür verurteilt, den Vorwurf, dass dies ein antisemitischer Angriff ist, lehnt das Gericht aber ab.

Am Donnerstag bekomme ich dann unter der Hand den Link zu der Dokumentation Auserwählt und Ausgegrenzt. Judenhass in Europa zugespielt, samt Passwort. Ich bereite mich auf neunzig Minuten voller Wahrheit vor, Wahrheit, die hier niemand ertragen kann, weil sie daran erinnert, dass die Megageilegeschichtsaufarbeitung, mit denen sich alle Deutschen gerne rühmen, vielleicht doch nicht stattgefunden hat. Ich erwarte jüdische Stimmen, die von ihren Erfahrungen erzählen, vom alltäglichen Antisemitismus, vom linken und rechten, vom „neuen“, wie man ihn heute so gerne nennt, also dem arabischen Antisemitismus, und davon wie sie sich damit fühlen. Was diese Erlebnisse mit ihnen machen, warum sie sie gemeldet oder eben nicht gemeldet haben. Ich erwarte europäische Realität aus der Sicht der Opfer, aber auch aus der Sicht der Täter. Ich erwarte beides. Und das Gegenteil davon. Weil nur dazwischen irgendwo Wahrheit liegt. Und die will ich ja.

Du gut, er böse

Erfüllt werden diese Erwartungen nicht. Nach zwanzig Minuten schreibe ich der befreundeten Filmemacherin, von der ich den Link bekam: „Propaganda. Nicht unwahr. Aber eben propagandistisch. Proisraelische Propaganda.“

Und sie gibt mir Recht. Der Film zeigt viele erschreckende Tatsachen, er zeigt die Demos rund um den ehemals Linken und jetzigen Chefredakteur von Compact, Jürgen Elsässer, auf denen sich über die Rothschilds und die jüdische Weltverschwörung ausgelassen wird. Er zeigt auch die Demos im Sommer 2014, auf denen in ganz Deutschland Dinge wie „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ oder „Juden ins Gas“ skandiert wurden, er zeigt französische Achtklässler in einem Vorort von Paris und dokumentiert ihren Wunsch, nach Israel auszuwandern, er lässt ein oder zwei jüdische Wissenschaftler und Antisemitismusexperten zu Wort kommen, er zeigt deutsche BDS-Gruppen, und er zeigt eine halbe Stunde lang, wie die beiden Autoren des Films in Gaza die deutschen Steuergelder suchen. Er erklärt was Nakba ist und wieso dort keine Palästinenser starben, so wie es immer behauptet wird, er navigiert uns entlang aller möglichen Vorurteile zu Israel und Palästina, aber immer mit der Wahrheit im Anschlag. Die wird in jedem Interview, Gespräch und in jeder Sequenz, die gezeigt wird, quasi mitgeliefert.

Deswegen ist dieser Film propagandistisch und manipulativ. Er lässt dem Zuschauer keinen Raum, sich ein Bild von Antisemitismus zu machen. Er will die Deutschen belehren. Er will ihnen sagen, Leute, wenn es um Israel und das Leid der Palästinenser geht, dann habt ihr völlig einen an der Waffel. Das ist das Ziel des Films. Und ohne Frage hat der Deutsche einen an der Waffel, wenn diese Themen diskutiert werden. Kein anderes Volk in der Welt bekommt so viel Geld sowie Unterstützung, und für keines arbeiten so viele Hilfsorganisationen wie für das Palästinensische. Und das ist natürlich ein Symptom. Und es wäre eine Dokumentation wert, in Gaza nach den Steuergeldern und Spenden zu forschen und zu zeigen, dass diese eigentlich unter anderem beim ehemaligen Hamas-Chef Chaled Meschaal landen, der dafür Nutten und Alkohol kauft. Und es wäre eine weitere Dokumentation wert, den Deutschen mal den Israel-Palästina-Konflikt zu erklären, weil 90% nämlich wirklich keine Ahnung haben, was dort vor sich geht. Genauso wie linken, rechten, neuen und Aluhütchenträger-Antisemitismus zu entschlüsseln. Ja, das müsste alles mal gezeigt werden. Keine Frage. Und am allerwichtigsten für die Jüdische Gemeinschaft Deutschlands wäre es gewesen, eine Dokumentation darüber zu drehen, was es bedeutet, all diesen Antisemitismus-Formen tagtäglich ausgesetzt zu sein. Damit es endlich aufhört, dass man behauptet, es gäbe keinen Antisemitismus mehr. Wichtig wäre auch gewesen zu zeigen, wie schwierig es ist, darauf angemessen zu reagieren, wie schier unmöglich es ist, einen Antisemiten auch als Antisemiten zu bezeichnen, weil es ja keinen Antisemitismus geben darf und niemand heutzutage Antisemit ist, sondern alles mögliche: Komiker, Satiriker, Israelkritiker, kritischer Denker, kritisch Hinterfragender, ein nicht alles glaubender Mensch eben. Kein Antisemit jedenfalls.

Zwei Seiten der Medaille

Aber man kann in einem Film zu Antisemitismus in Europa nicht ununterbrochen den Vorwurf der Besatzung delegitimieren, indem man keinen einzigen Israeli zu Wort kommen lässt, der diese für beide Seiten furchtbare Situation anspricht, sondern lediglich rechtsorientierte Stimmen. Eine Situation, die im Übrigen von einem Großteil der Israelis auch als furchtbarer Zustand wahrgenommen wird. In Israel gibt es Entrechtung und Rechte, Rassismus und Toleranz, Egoismus und Altruismus wie in jedem anderen Land dieser Welt auch. Die einzige Form, angemessen auf Israel zu reagieren, ist, genau das zu sehen und nicht entweder zu behaupten, also die Juden müssten es ja besser wissen, weil Holocaust, oder die armen Juden und diese aggressiven Araber.

Um es frei nach den Worten des genialen Philosophen und Rappers Farid Bang zu sagen: „Der {Jude} ist ein Lebewesen, das isst und trinkt. Deswegen müssen wir ihn dulden, äh, akzeptieren.“ Juden sind wie ihr alle: ziemlich scheiße und ziemlich genial nämlich. Aber Juden mit zweierlei Maß zu messen, das ist Antisemitismus. Und jetzt wissta bescheid!

Dass die Dokumentation von Arte gecancelt wurde und die Ausstrahlung im WDR verhindert, liegt nicht daran, dass dort Antisemitismus gezeigt wird, an den niemand mehr glaubt, sondern weil sie schlecht gemacht und propagandistisch aufgebaut ist. Das ist schade, aber passiert.

Ein guter Zeitpunkt also – and this goes out to all the Filmemacher – keine Angst zu haben, sich an diesem Thema die Finger zu verbrennen, und eine anspruchsvolle, schlaue und interessante Dokumentation zu machen.

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