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Zum Amüsieren fehlt mir die Lust

 

Es gibt viel schönere Dinge, als mit irgendwelchen Männern die Laken zu zerwühlen. Verschont mich also mit Dating-Quatsch. Und: Danke, es geht mir gut.

Copyright: Matt Glm/unsplash.com

Es gibt so viele Worte für sexuelle Orientierungen, dass nichts mehr normal scheint. Die Freiheit, alles sein zu können, führt zum Zwang, etwas sein zu müssen. Als ich zum ersten Mal den Begriff „sapiosexuell“ las, lachte ich noch laut. Sexuelles Begehren, das eher durch den Intellekt des anderen als durch äußerliche Attraktivität ausgelöst wird. Ach was. Für wen etwas anderes gilt, betreibt im Übrigen Downdating. Mit Menschen ins Bett gehen, die sozial und intellektuell unter einem stehen (aber geil aussehen!).

Es gibt kaum ein Wort, das mehr Verachtung ausdrückt. Jetzt scheint sich allerdings langsam ein Begriff zu verbreiten, der mich schwer irritiert, mit dem auf eine Weise umgegangen wird, die mich fassungslos macht: demisexuell. Über diese Einordnung stolperte ich nicht, ich stürzte mit ihr hinab in die Gemeinschaft der klassifizierten Asexuellen.

Wer demisexuell ist, fühlt sich nur zu Menschen sexuell hingezogen, zu denen er eine starke emotionale Bindung aufgebaut hat. In Videos bieten Menschen ihre Hilfe an, sollte man ebenfalls von Demisexualität betroffen sein, in Foren kann man sich darüber austauschen. „Demis“ haben eine eigene Flagge, die Artikel dazu werden hingegen meist anonym verfasst. In einem Blog schreibt einer, dass er darüber mit niemandem sprechen wird, erst recht nicht mit seinen Eltern. Ja, sind denn alle verrückt geworden? Gestern noch eine Romantikerin, heute schon demisexuell. Bei mir fehlt nur noch der Griff zum Wegwerfen. Eine sapiosexuelle Demisexuelle, heterosexuell noch dazu, die einsam in ihrer Küche verwelken wird. Währenddessen erfahre ich noch, dass primäre sexuelle Anziehung auf sofort erkennbaren Merkmalen wie Aussehen, Stimme, Bewegungsabläufen beruht. Sekundäre sexuelle Anziehung auf Attributen, die man erst kennenlernen muss, wie Charakter und Humor. Es heißt, dass Demisexuelle nur sekundäre sexuelle Anziehung kennen. Das muss man sich mal vorstellen! Es gibt Menschen, die nur mit anderen Menschen ins Bett gehen wollen, die sie wirklich mögen. Menschen, die sie klug und witzig finden, denen sie sich nah fühlen, denen sie vertrauen, in die sie womöglich sogar verliebt sind. Nein, darüber kann man nicht mit seinen Eltern reden, das sollte man öffentlich auch besser nie zugeben.

Vor ein paar Wochen saß ich mit einer Bekannten in einem Kreuzberger Café, sie aß eine vegane Suppe, trank grünen Smoothie und erzählte von ihrem aktuellen Tinder-Abenteuer. Phänomenaler Sex, natürlich, aber reden würden sie nicht viel, das sei auch besser so. Ich rauchte, trank Rotwein und träumte von der Liebe. Zwei Frauen Anfang Vierzig, die sich wie Klischees gegenübersaßen, nur erschien sie mir zeitgemäß, während ich mich steinalt fühlte, vollkommen aus der Zeit gefallen. Falscher Ort, falsche Zeit. Berlin, 2017. Hier wartet die Liebe nicht an jeder Ecke. Hier rennt man immer nur irgendwas oder irgendwem hinterher.

Da gehe ich doch lieber mit Freunden ein Bier trinken

Es war nicht das erste Mal, dass ich dieses Gefühl hatte. Seit ich nicht mehr in einer Beziehung lebe, interessiert sich das Umfeld brennend für mein Sexleben. Mir werden Männer vorgestellt und Dating-Apps empfohlen, mir wird ständig gesagt, ich solle mich doch mal amüsieren. Allein sein mag ja noch angehen, sich dabei aber nicht zu amüsieren, ist ein Verbrechen, eine Lebensverweigerung, die nicht zu akzeptieren ist. Ich amüsiere mich durchaus, nur eben nicht auf die gemeinte Weise.

Weder bin ich verklemmt noch frigide oder katholisch, ich bin nicht mal besonders moralisch. Ich interessiere mich nur nicht so sehr fürs Ficken. Manchmal passiert es aus Versehen, im Rausch. Ich kann mir Lust antrinken, allerdings nur für den ersten Moment. Im Schlafzimmer angekommen, werde ich schlagartig nüchtern. Die Nacktheit ist mir plötzlich unangenehm, den Sex empfinde ich als albern, beängstigend oder abstoßend. In den meisten Fällen spüre ich allerdings überhaupt nichts. Ich tue, was man tut, ich bewege mich, wie ich mich zu bewegen habe, und vielleicht mache ich, für ein paar Sekunden zumindest, jemanden glücklich. Es ist, als hätte ich meine Schuldigkeit getan. So viel zum Amüsieren. Nicht jede Freiheit, die ich habe, will ich nutzen.

Zig Dinge kann ich mir vorstellen, die mehr Spaß machen, als mit irgendwelchen Herren die Laken zu zerwühlen. Also verschont mich mit diesem Dating-Quatsch. All die Fotos, die ganzen Nachrichten, die man sich hin und her schicken muss, und am Ende soll man sich auch noch treffen, mit einem Fremden. Da gehe ich doch lieber mit Freunden ein Bier trinken. Das schaffe ich ja eh viel zu selten.

Sex und Liebe nicht trennen zu können, ist keine Schande und kein Defekt. Einziger Haken: Man macht sich verletzbar. Liebe kann halt wehtun. Mit Leuten zu vögeln, die einen knackigen Hintern haben, aber einen missratenen Charakter, gehört trotzdem nicht zu den Dingen, die ich machen muss. Ist auch okay, wenn mich weder die Muskeln noch der Gang eines Mannes erregen. Ist mir vollkommen egal, wie einer geht, der kann meinetwegen humpeln oder gar nicht gehen. Ist mir auch egal, ob einer Haare hat oder keine, und zwar egal wo. Ich fand jeden Mann, den ich liebte, schön, und mit jedem Satz, mit jedem guten Witz wurde er schöner.

Ob ich denn Berührungen nicht vermissen würde, ob ich womöglich gar keinen Trieb hätte, ob ich denn nicht ständig an Sex denken würde, werde ich gefragt. Die Antwort auf alles lautet: Nein. Eine Einschränkung mache ich bei den Berührungen, aber dafür gibt es Umarmungen. Vielleicht umarme ich deswegen alle so gern. Immer muss ich alle umarmen, das ist mir manchmal schon peinlich. Aber sonst, danke. Danke, es geht mir gut. Sehr sogar.

Ich denke darüber nach, ein Fest zu machen. Ich möchte all diese Freaks einladen, denen Sex noch etwas bedeutet. All diese Verrückten, die noch an die Liebe glauben, all die Verlorenen, die nicht bei Tinder & Co. sind. Die ganzen Irren, die sich Nähe wünschen, die Träumer, die denken, der Sex könnte so schön sein, wenn wir uns wirklich mögen würden, alle sollen kommen. Ich glaube, es könnte voll werden, seid besser rechtzeitig da.