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Einmal ordentlich auf die Schnauze fallen, bitte

 

Spielplätze werden von besorgten Eltern beherrscht. Mit ihrer Angst bringen sie die Kinder um ihren Spaß und ihre Erfahrungen. Es ist zum Fürchten.

Eltern und Kinder auf dem Spielplatz
© Arthur Braunstein/Photocase.de

Letzte Woche war ich auf dem Spielplatz. Es ist eine ganze Weile her, dass ich zuletzt auf Spielplätzen gewesen bin, meine Söhne sind knapp zwanzig, da ist das nicht mehr ganz so nötig. Also, letzte Woche musste ich mit meiner Regieassistentin sprechen, die ist junge Mutter, und da ich mich erinnere, dass Beruf und Kinder nicht wirklich kompatibel sind, habe ich vorgeschlagen, uns auf dem Spielplatz zu treffen und vielleicht dort ein bisschen zu arbeiten.

Sie lebt wie alle jungen Eltern im Prenzlauer Berg, auf dem Spielplatz ging’s zu wie während der Grünen Woche. Alle Papis und Mamis waren da, tranken Latte macchiato und kletterten auf den Gerüsten herum. Die Väter hatten groovige Kapuzenteile an, fein rasierte Bärte und schwarze Brillen, die Mütter waren auch ziemlich groovig, nur ohne Bart. Die Kinder wollten in Ruhe spielen, aber für sie war wenig Platz, der Sandkasten war besetzt, ein paar Elternpaare konkurrierten im Sandburgenbau. Ein Zweijähriger musste mit aufs Klettergerüst, er schrie sich die Seele aus dem Leib. Aber Papi wollte klettern und nicht warten, bis sein Sohn im kletterfähigen Alter sein würde, um allein die Höhe zu bezwingen.

Die kleine Rosa wurde wiederholt gefragt, was sie zu Abend essen wolle. Die knapp Zweijährige gab ungenügende Antworten. Die Mutter ließ nicht locker. Risotto mit Steinpilzen und Minze oder Bretonische Fischsuppe? Keines der Kinder aß Sand, schlug mit dem Spielzeugtrecker auf den Schädel eines anderen Kindes oder pinkelte glücklich vor sich hin. Es herrschte eine eigentümliche Lähmung unter den Kindern auf dem schattigen Platz.

Um nicht ungerecht zu sein, versuchte ich mich zu erinnern. War ich früher mit auf dem Klettergerüst gewesen? Da ich nicht ganz schwindelfrei bin, konnte ich mir diese Frage mit einem klaren NEIN beantworten. War meine Mutter mit spitzem BH, altrosa Bluse und Puffärmeln auf den Eisenstangen rumgeklettert? Niemals. Mein Vater mit Brillantine und Kaschmirmantel? Undenkbar.

Was aber war hier los?

Die ewig Jungen kletterten fröhlich umher, zwangen Winzlinge in schwindelerregende Höhe oder traktierten sie mit ausgefallenen Speiseplänen. Nirgends sah ich spielende Kinder. Oder kleine Monster, die je nach Alter ihre Erfahrungen sammelten, sich Blessuren holten, an ihre Grenzen gelangten, um wieder von vorne zu beginnen. Erwachsene hatten den Kinderspielplatz okkupiert, sie triumphierten über die Rutschbahn und das rot-blaue Kletterschiff. Es war zum Fürchten.

Das waren vielleicht gar keine Eltern, sondern nur beste Kumpels? Und beste Kumpels klettern zusammen und teilen sich den Cappuccino. Wahrscheinlich war in den Trinkbechern der lieben Kleinen gar kein Apfelsaft, sondern Aperol Spritz? Nieder mit den Unterschieden! Nieder mit frustbringenden Aufgaben. Michelin-Küche für alle!

Ich konnte den Blick nicht von einem ernsten, vielleicht vierjährigen Mädchen lassen, das seine Mutter anstarrte, die mit einem Hula-Hoop-Reifen hantierte. Die Mutter war weit über vierzig und lachte fröhlich. Sie schien viel glücklicher zu sein als ihre Kleine.

Was würden das für Jugendliche werden? Würden sie in der Lage sein, Frust einzustecken, oder müsste dann Papi kommen? Würden sie versuchen, alleine die Gipfel zu stürmen, auf die Gefahr hin, zu scheitern? Oder müsste Mutti mit in die erste WG ziehen, um darauf zu achten, dass sich ihr Liebling anständig ernährte?

Meine Regieassistentin stillt noch, aber sie macht sich schon schreckliche Sorgen, ob sie in der Lage sein wird, ihren Sohn vor allen Plagen zu bewahren, da sie doch im Theater arbeite. Ich kann ihr wenig Hoffnung machen. Das Theater ist ein Ort der Extreme. Glück und Neid, Erfolg und Missgunst liegen so nah beieinander wie sonst nur im Sport. Kritik auszuhalten und nach einer Pleite wieder aufzustehen, ist täglich Brot. Wenn man aber nie selbstständig vom Klettergerüst gefallen ist, wie soll man da wissen, wie Aufstehen und Weiterklettern geht?

Sie erzählt mir, dass sie einige Eltern kennen würde, die ihre Kinder vergangenen Herbst in die ersten Vorlesungen begleitet hätten, um mit dem Professor zu „bekakeln“, was für Aufgaben anstünden. Und der arme Dozent hätte die Eltern nicht hochkant rausgeschmissen, weil der Uni daran gelegen sei, ein gutes Elternklima zu haben und möglichst selten verklagt zu werden.

Arme Studenten, armer Professor.

Vier Jahre Studium, und Mutti und Vati sind immer dabei, wie damals auf dem Klettergerüst …

Ich bin für eine elternfreie Zone auf Spielplätzen, denn es geht nichts darüber, richtig auf die Schnauze zu fallen. Das schult fürs Leben.

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