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Papa ist der Beste

 

Mit Müttern wird oft gehadert. Zwischen Väter und Töchter dagegen passt meistens kein Stück Papier. Aber manchmal kann diese enge Bindung auch ein Fluch sein.

© Caroline Hernandez / unsplash.com (https://unsplash.com/@carolinehdz)

2018 wäre mein Vater 100 Jahre alt geworden. Es ist erstaunlich, dass er dieses Jubiläum nicht geschafft hat, er hat immer sehr gerne und ausgiebig gefeiert. Seine runden Geburtstage glichen Staatsakten und dauerten mehrere Tage, er hörte nicht auf, bis auch wirklich alle erschöpft in den Ecken lagen, während er schon begann, die nächste Feierlichkeit zu planen.

Ich bin eine Vatertochter. Meine arme Mutter machte alles falsch, während es fast nichts gab, was mich an meinem Vater störte, seinen Schnurrbart fand ich schick, seine Hornbrille cool. Zur Belohnung sehe ich ihm ähnlich, nicht meiner Mutter, was bedauerlich ist, immerhin habe ich keinen Schnurrbart.

Er biss natürlich alle meine Freunde weg, denn niemand konnte ihm das Wasser reichen. Vor allem konnte keiner so gut Witze erzählen wie er und ganze Tischgesellschaften über Stunden in Bann halten. Er hatte ein sehr kleines, sehr abgegriffenes Notizbüchlein, in dem er neue Witze notierte. Witzeerzählen war mehr als nur witzig sein, es war eine Kunst, die es zu vervollkommnen galt, Charaktersache. Keine Witze erzählen zu können, war für ihn ein Charakterfehler. Sein Steckenpferd aber war die Oper. Laut und sehr, sehr laut schrien sich die Tenöre in unserer Wohnung die Seele aus dem Leib. Wenn ich zu den Feiertagen zu Besuch kam und seiner Meinung nach zu lange schlief, wurde ich mit Callas‘ Vissi d’arte aus Tosca aus dem Schlaf gerissen. Erst wenn ich schwor, „la Divina“ zeitlebens zu verehren, wurde der Plattenspieler leiser gestellt.

Wahrscheinlich habe ich mich nie wirklich von ihm emanzipiert und seinem Einfluss aus dem Jenseits ausreichend entzogen, denn ich inszeniere Opern.

Verdi ist schon über 100 Jahre tot, aber ein Familienproblem hat er auch. Rigoletto liebt seine Tochter Gilda abgöttisch, er hält sie eingesperrt, um sie vor der verdorbenen Welt zu schützen. Das klappt natürlich nicht, sie verliebt sich in den Grafen, der sie entehrt und dann sitzen lässt. Woraufhin Rigoletto den Mord an dem Grafen in Auftrag gibt, es aber die eigene Tochter trifft – die beiläufige Ironie des Schicksals.

Wie oft in den Opern ist die Geschichte, also das Libretto, etwas hanebüchen, andererseits: Sind die Geschichten, die angeblich das Leben schreibt, glaubwürdiger …?

Gilda ist eine ausgesprochene Vatertochter. Sie will es dem Vater recht machen. Das klappt hinten und vorne nicht. Nach dem Vater schmeißt sie sich in die Arme des nächsten Mannes. Fatalerweise taugt der nichts, ein Fehlgriff. Am Ende geht sie freiwillig in den Tod, opfert ihr Leben für das des Grafens.

So gesehen bin ich noch glimpflich davongekommen. Ich bin immerhin am Leben und kämpfe nicht mehr mit dem Vater, sondern nur mit den Opernfiguren.

Arme Gilda! Hätte der Vater sie in Ruhe gelassen, sie wäre irgendwann mit der Gesellschaft um sie herum klargekommen, vielleicht hätte sie sich ein paar Schrammen geholt, aber letztendlich wäre sie eine erwachsene, selbstbestimmte junge Frau geworden und hätte sich den Partner oder die Partnerin ausgesucht, der oder die ihr passt.

Es ist wirklich nicht leicht zwischen Vätern und Töchtern.

Wenn ich mir Frau von der Leyen anschaue, sehe ich auch mehr ihren Vater als sie selbst. Und das ohne die schöne Musik von Verdi.

Meine Regieassistentin Hanna schluchzt immer leise vor sich hin, wenn Rigoletto kurz vor dem letzten Finale singt: non morir, lasciarmi non dei! Stirb nicht! Du darfst mich nicht alleine lassen!

Ich tröste sie, es handele sich nur um eine Oper, im echten Leben würden die Väter ganz gut alleine klarkommen, vergebens: Sie bleibt untröstlich.

Sie erzählt mir, der Vater ihrer Großmutter sei im Krieg gefallen. Später habe die Großmutter ein Mädchen adoptiert und diese alleine an Tochter statt groß gezogen. Diese Tochter habe zwei Töchter bekommen, eben sie, Hanna und ihre Schwester Malka. Sie waren noch klein als die Eltern sich getrennt haben, jetzt lebe die Mutter mit einer Frau zusammen und gedenke diese bald zu heiraten. Donnerwetter! Meine Regieassistentin stammt aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen, ich bin beeindruckt von der Provinz.

Sie alle seien dennoch Vatertöchter. Von Vätern, die nicht da seien. Sie idealisierten ihre Väter, die mangels Anwesenheit nie etwas falsch machen könnten und zu wahren Helden stilisiert würden.

Anwesende oder abwesende Väter, sie erzeugen gleichermaßen Vatertöchter.

Ich habe nur Söhne. Bezeichnenderweise? Sie behandeln mich ein bisschen wie ein Möbel. Nun gut, es ist schön, dass es mich gibt, aber was verstehe ich schon vom Sport?

Wenn sie Krach mit ihrem Vater haben, was nicht selten der Fall ist, entscheidet am Ende immer die Bundesliga. Dann sitzen sie vereint vor dem Fernseher und sind entsetzt über Herthas unnötige Niederlage oder die Borniertheit Bayern Münchens. Sie wollen die Fifa verklagen und deren miese Machenschaften offenlegen, sie wollen nach Russland zur WM und vieles mehr. Sie haben genug Testosteron, um all das zu schaffen.

Vielleicht hätte Rigoletto mit Gilda ein wenig Fußball spielen sollen und die Familienkrise hätte sich von selbst gelöst …