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Der Sex kommt zu kurz

 

Seit Sebastian Kurz Kanzler ist, wird das neoliberale Geschnatter in Österreich lauter. Im Bett aber herrscht Flaute. Vielleicht erledigt sich das Problem so von selbst.

© Nik MacMillan / unsplash.com (https://unsplash.com/@nikarthur)

Es ist schon etwas länger her, dass in Europa eine neue Regierung angetreten wäre mit einem Programm, das in etwa meinte: „Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde, und deswegen sind sie auch so zu behandeln.“ Europäische Grundsätze halt, nicht einmal links, sondern nur christliche Soziallehre. Möglicher Zusatz: „Also schauen wir erst mal, dass die himmelschreiende ökonomische Ungerechtigkeit beseitigt wird, die für die allermeisten unserer Probleme verantwortlich ist.“

Auf dass alle in Würde und Frieden leben können! Und wenn schon nicht alle, dann doch deutlich mehr als die Reichen und Superreichen, die sich mittlerweile überall in die Politik einkaufen. In manchen Ländern allzu deutlich als regierende Oligarchen, in anderen noch etwas weniger deutlich: Dort nimmt die Politik halt Parteispenden an von denen, die Einfluss haben wollen. Al Gore, Ex-US-Vizepräsident, meinte in seinem letzten Buch, dass das immer stärker dominierende Einflusskriterium „Geld und Reichtum“ bei den politisch Handelnden zu einem echten Problem in den Demokratien geworden wäre.

Auch in Österreich gibt es erstaunlich viele Millionäre, wie eine Erhebung im zurückliegenden Herbst ergab: 250.000 an der Zahl, plus ein paar Dutzend Milliardäre. Man hatte ja so einen Verdacht, wenn man die vielen Riesenkutschen beobachtete, die am Freitagnachmittag zum Beispiel die Wipplingerstraße hinaus fahren aus dem reichen Ersten Bezirk, schwarzer Porsche Cayenne reiht sich an silbernen Audi Q irgendwas gefolgt von rotem Ferrari. Woher das Geld der Banker und Erfolgreichen eigentlich stammt, auf dem Rücken welcher Ausgebeuteter es verdient wurde, will niemand so genau wissen, Hauptsache es wird konsumiert. Dann geht’s der Wirtschaft gut!

Wohl bekomm’s!

Man war als durchschnittliches Armutschgerl mit diesen Leuten bisher nicht so oft konfrontiert. Wenn sie die dicke Hose und volle Brieftasche ausführten, dann blieben sie meist unter sich – bei Fabio’s, dem Nobelitaliener, oder bei Do & Co, dem Nobelcaterer. Aber seit Sebastian Kurz Kanzler ist, sieht und hört man die aufgedrehten „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“-Ticketackespielzeugmenschen viel häufiger, und sie schämen sich gar nicht mehr, wenn sie nachplappern, was der neue Kanzler ihnen vorplappert: „Fleißig sein. Anständig sein. Mehr in die Sozialsysteme einzahlen als herausnehmen. Eigentumaufbau.“

Und „Eigenverantwortung!“ predigt er sogar noch häufiger als das „Schließen der Balkanroute!“, sein bisheriges Steckenpferd. Deswegen hat „die Wirtschaft“ der ÖVP ja auch so viel Geld für den Wahlkampf gespendet, weil man die gleiche Sprache spricht. So wie neulich im Café Engländer in der Wiener Postgasse. Dort saßen zwei blondierte 30-Jährige an einem Tisch im Raucherbereich und beklagten die ihrer Meinung nach unangemessen hohe Besteuerung ihres vermutlich recht hohen Mittelstandsgehalts, und Ererbtes jemals besteuern zu lassen, lehnten sie entrüstet ab. Zum typischen ÖVP-Geschnattere dieser Tage gab es Beef Tartare, und die eigene Superiorität wurde mit immer noch einem Glas Prosecco begossen. Wohl bekomm’s!

Nicht weit von den Girls am Tisch standen drei traurige Sebastian-Kurz-Darsteller in Cordhosen respektive zu engen Anzügen an der Bar, alle im Alter des Kanzlers, tadellos gekämmt und geschnäuzt wie der rotwangige Boss und dem Inhalt ihrer Gespräche nach Banker. Einer von ihnen wurde sogar von einem Headhunter aus Deutschland nach Wien geholt, so läuft das in der Wirtschaft nun mal. Aber wozu? Weil er so oft wie kein Zweiter auf der Welt „Das hat Potenzial!“ schreien kann, besoffen von sich selbst und dem Bier? Und dazwischen „Am Ende des Tages ist es bares Geld!“?

Selbstoptimierung führt zu Selbstzerstörung

Für die blonden Girls interessierten sich die Banker übrigens nicht, und umgekehrt die Girls sich auch nicht für die Banker. Zu übermüdet seien diese für Sex, hört man immer wieder, insgesamt wohl eine Spur zu oft rund um die Uhr erreichbar, irgendwie gleichermaßen befeuert wie verunsichert von der eigenen Wichtigkeit, die aber eine trügerische ist. Denn hinter ihnen warten bereits die nächsten Superhelden der globalisierten Wirtschaft, die bereit sind, den ganzen Scheiß für noch weniger Geld zu machen beziehungsweise den Arbeitstag halt auf zwölf Stunden zu dehnen, was die neue Regierung selbstverständlich sofort anpeilte, kaum, dass sie angelobt war (zum Wohle der Wirtschaft, nicht der Arbeitnehmer!). Wenn die Säulen der Wirtschaft am Abend ausnahmsweise doch mal freie Zeit haben, dann gehen sie ins Fitnessstudio auspowern, denn die Kinderanzüge könnten bald nicht mehr passen, und das wäre eine echte Katastrophe.

Der Kanzler selbst powert sich im noblen John Harris aus. Und seine Drinks nimmt er im exklusiven Club seines Gastrokönig-Freundes Martin Ho in der Wollzeile, gleich um die Ecke der Postgasse.

Diese Männerdarsteller können zwar Finanzprodukte schnüren, die das Geld verlässlich von unten nach oben spülen, aber es fehlt ihnen ansonsten alles, was man „Lebenserfahrung“ nennt. Darum hört sich das Geschnattere auch so einstudiert und monoton an. Da ist keiner jemals alleine auf dem Landweg nach Indien gefahren, oder hat vor dem Schiefen Turm von Pisa Chianti gesoffen. Oder ist in der Früh irgendwo aufgewacht, wo er es abends nicht geplant hatte. Ständige Selbstkontrolle plus Selbstoptimierung führt aber irgendwann zu Selbstzerstörung, alte Bauernregel. Und vielleicht spüren diese slim-fit-Akrobaten zuallererst in der Hose, dass etwas irgendwie völlig falsch läuft, und zwar auch in ihrem Leben.

Nicht einmal, dass sie ihren Reichtum mit dem neoliberalen Kurz im Rücken nun ungeniert zur Schau stellen können, scheint sie glücklich zu machen geschweige denn im Bett zu beflügeln. Im neuen Regierungsprogramm steht jedenfalls erwartbar nichts, was den G’stopften auch nur irgendwie wehtun könnte, und so geht das nun schon seit Jahrzehnten. Das wird sogar den Reichen selbst langsam fad. Sie stecken in ihrer Entwicklung fest wie ein katholisches Ehepaar nach fünfzig Jahren unglücklicher Ehe, Ende der Fahnenstange erreicht.

Rauchen und Rasen

Möglich also, dass sie ohnehin bald aussterben werden, wegen allgemeiner Unlust. Damit das nicht passiert, soll es jetzt einen „Kinderbonus“ für sie geben, in Form einer Steuerabschreibung. Geld ist schließlich am geilsten. Auch anregend für die Reichen könnte wirken, dass von diesem Kinderbonus die 1,4 Mio. Erwerbstätigen, die jetzt schon so wenig verdienen, dass sie keine Steuern zahlen, gar nicht profitieren werden, ebenso wenig wie von der geplanten Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Das Zementieren von Ungleichheit ist für die Neoliberalen vielleicht die größte Freude überhaupt, das befriedigt sie wirklich, darum tun sie es ja ständig.

Was bleibt einem dann aber noch im Leben, wenn man eh alles hat? Darf’s vielleicht ein bisschen mehr Freude über das Elend der Schwachen sein? Oder wieder mehr wildes Leben?

Für das Geld der Reichen und dessen Vermehrung ist die ÖVP unter Kurz zuständig, für den feel good– und feel free-Faktor mit besonderer Berücksichtigung niedriger Instinkte HC Strache vom Koalitisonspartner FPÖ. Die Boys und Girls im Café Engländer dürfen nämlich weiterhin im Raucherbereich sitzen, weil Vielraucher HC darauf bestand, das für diesen Frühling festgelegte allgemeine Rauchverbot auszuhebeln („Eigenverantwortung!“). Sein blauer Innenminister Herbert Kickl möchte seinerseits gleich einmal die Radarfallen entlang heimischer Straßen entfernen lassen, weil „Fallen“ seiner Meinung nach unfair sind, jedenfalls, wenn sie Raser betreffen. Wurscht wird das aber sowieso bald sein, weil der blaue Verkehrsministerkollege Hofer von einer Erhöhung des Tempolimits auf Autobahnen träumt, die Nobelkutschen wollen schließlich bis zum Anschlag getreten werden, wenn in der Kiste nichts mehr läuft. Allerdings Vorsicht! Die meisten Unfälle im Straßenverkehr ereignen sich mittlerweile infolge von Übermüdung (siehe oben), und nicht mehr wegen Alkohols.

Wem das alles als Beitrag der neuen Regierung zur Freude am Leben der Reichen nicht genügt, für den haben Kurz und Strache natürlich auch die Themen „Ausländer“ und „Sozialschmarotzertum“ im Programm, ganz old school. Sie schüren ein aggressives und feindseliges Klima, in dem der Hass nicht einmal mehr vor einem Neugeborenen Halt macht: Das heurige „Neujahrsbaby“ wurde nicht von einer erfolgreichen Porschefahrerin geboren, sondern von einer Frau türkischer Herkunft, im Internet wurde es dafür aufs Übelste beschimpft.

Die Reichen werden erfreut sein

Dazu passt, dass die Kinderbeihilfe nach Plänen der Regierung in Zukunft nicht mehr an EU-Ausländer überwiesen werden soll, was zwar nicht EU-konform ist, aber halt zu Hause gut ankommt. Und Asylwerber, die man möglichst „Illegale“ zu nennen hat, sollen in Baracken vor der Stadt oder in Kasernen untergebracht werden, was zwar erwiesenermaßen nur Probleme schafft (es sollen schon Porsches gebrannt haben in anderen Städten, wegen der Wut der Habenichtse) und nichts mit den Werten des Christentums, denen sich beide Regierungsparteien verbunden fühlen, zu tun hat, aber halt auch gut ankommt.

Die FPÖ, die sich seit Jahren „Anwalt des kleinen Mannes“ oder „die neue Arbeiterpartei“ nennt, trägt die neoliberalen Grausligkeiten der ÖVP mit, um ihre eigenen Grausligkeiten in Fragen der Zuwanderung endlich umsetzen zu können. Nicht, dass es da keine Probleme zu lösen gäbe! Aber nur mit Niedertracht und Verachtung wird es nicht gehen. Und für viele FPÖ-Wähler könnte die Freude darüber, dass Aslywerber künftig auf 520 Euro pro Monat Unterstützung begrenzt werden sollen, bald verfliegen, wenn auch die eigene Notstandhilfe gestrichen wird und der Anspruch auf die dann zu beziehende Mindestsicherung an die Ableistung eines Arbeitsdienstes gebunden werden soll.

So etwas Grausliges fiel nicht einmal dem sehr bösen Sozi Gerd Schröder ein, der einen schönen Teil der deutschen Bevölkerung mit seinem Hartz IV in unwürdige Lebensumstände gedrängt hat. Klar, dass Hartz IV nun auch in Österreich immer genannt wird, wenn es um den geplanten Umbau des Sozialstaates in Österreich geht, „Effizienz“ und „Evaluierung“ sind die Wörter, die von den Spielzeugmenschen in diesem Zusammenhang immer genannt werden. Im Wissen, dass Armut zunehmen wird, wenn sie ihre Pläne umsetzen, und einzig die Reichen erfreut sein werden.

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