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Gebt uns, was uns zusteht!

 

Alleinerziehende Eltern sind noch immer schlechter gestellt. Wie kann es sein, dass im Jahr 2018 diese Ungerechtigkeit in der Politik kaum diskutiert wird?

© Benjamin Manley/unsplash.com

Als ich vor zwei Monaten den Vertrag zu meinem neuen Job unterschrieben hatte, machte ich mir einen Spaß, googelte im Internet „Brutto-Netto-Rechner“ und guckte, was ich am Ende des Monats in den unterschiedlichen Steuerklassen raushaben würde. Ich gab alle sechs Steuerklassen nacheinander ein. Als alleinerziehende Mutter – was ich bin – ist man in Steuerklasse 2. Als Single ohne Kinder ist man in Steuerklasse 1, und wenn man verheiratet ist – egal ob mit oder ohne Kinder – landet man als Hauptverdiener der „Familie“ in der Steuerklasse 3. Letzteres bezeichnet man als sogenanntes Ehegattensplitting. Der Hauptverdiener wird besser besteuert, der Zweitverdiener dafür schlechter.

Als alleinerziehende Mutter ist man ja per Definition der Hauptverdiener, weil es eben keine andere Person im Haushalt gibt, die die Familie ernähren könnte. Man sieht meine Tochter und mich nur leider nicht als Familie an. Ein Ehepaar ohne Kinder aber schon.

An Ungerechtigkeit eigentlich nicht zu überbieten

Als ich jedenfalls die drei Ergebnisse erhielt, wurde mir schwarz vor Augen. Ich fragte mich, wieso ich dieses Brutto-Netto-Rechner-Spiel eigentlich nicht schon längst gemacht hatte, und begriff, dass es den meisten vermutlich wie mir ergangen war und deswegen so gut wie niemand die Ergebnisse kennt. Ich sah schwarz auf weiß, dass ich gerade einmal 60 Euro mehr als der Single ohne Kinder und 640 Euro weniger als der Hauptverdiener aus dem Ehegattensplitting bekam. 640 Euro weniger, obwohl dieser Hauptverdiener im Gegensatz zu mir sogar noch über einen Zweitverdiener verfügt.

Dabei bekomme ich ja nicht einmal Unterhalt von dem Vater meiner Tochter. Und damit bin ich nicht so wahnsinnig alleine. 60 Prozent aller alleinerziehenden Frauen bekommen in Deutschland keine Alimente, sondern 150 Euro Unterhaltsvorschuss vom Staat pro Monat.

Kein Mitleid

Ich arbeite sehr gerne, sehr hart und sehr viel. Ich habe ein hohes Jahres-Brutto-Einkommen. Wirklich. Und damit bin ich eine privilegierte Alleinerziehende. Ich kann meine Tochter in eine Privat-Kita schicken, in der sie von morgens bis abends hervorragend betreut wird, damit ich meine 60-Stunden-Woche mit etwas weniger Schuldgefühlen meistern kann. Sie geht aber auch in diese Privat-Kita, damit sie englisch und hebräisch lernt, um mit ihrem Vater – der den Kontakt zu ihr vor eineinhalb Jahren völlig abgebrochen hat – irgendwann einmal sprechen zu können. Er ist nämlich kein Deutscher. Und damit ich mir in zehn Jahren nicht vorwerfen lassen muss, dass ich nicht alles dafür getan habe, dass diese beiden eines Tages Hand in Hand durch Tel Aviv schlendern und sich in Ettas zweiter Muttersprache oder ihrer ersten Fremdsprache unterhalten können, zahle ich 250 Euro im Monat extra.

Ich kaufe ihr in der Ackerhalle in Mitte immer die vorgeschnittenen Erdbeeren, obwohl sie das Doppelte kosten. Es ist ihre Lieblingsfrucht, und sie verdrückt pro Tag ungefähr 250 Gramm. Aber weil ich nach einem Zehn-Stunden-Tag keine Energie mehr habe, die Erdbeeren zu waschen, das Grün zu entfernen und sie in mundgerechte Stücke zu schneiden, erkaufe ich mir Zeit und gebe das Doppelte aus. Und ich habe ein Konto eingerichtet, auf das ich jeden Monat 100 Euro überweise, damit Etta davon einmal ihr Studium zahlen kann. Damit werde ich nämlich in 18 Jahren auch ganz alleine dastehen. Das alles tue ich, ohne mich zu beschweren, weil ich gerne diese Verantwortung für ein Kind trage. Im Gegensatz allerdings zu den meisten Vätern und auch im Gegensatz zum Staat.

Ohne Logik

Als Hauptverdiener der Familie übernehme ich alle anfallenden Kosten zu 100 Prozent: die Miete, das Telefon, den Strom, das Gas, das Auto, die Benzinkosten, den Babysitter, die Kita, Ettas Anziehsachen, Reisen und unser Essen. Und trotzdem kriege ich 640 Euro weniger als der Hauptverdiener einer Familie, der sich, im Gegensatz zu mir, alle eben genannten Unkosten mit seinem Zweitverdiener teilen kann.

So wie es mir geht, geht es Millionen Frauen in diesem Land. Millionen Frauen, die lächerliche 60 Euro mehr am Monatsende haben und lächerliche 150 Euro Unterhaltsvorschuss, weil der Vater seiner Verantwortung nicht nachkommt. Sie haben Tausende Euro weniger als ein verheiratetes Paar ohne Kinder, obwohl sie eine größere Wohnung brauchen und dazu alleine ein Kind versorgen müssen. Denn das Ehegattensplitting funktioniert unabhängig von den Kindern. Die 640 Euro bekommt der Hauptverdiener auch, wenn es keine Kinder im Haushalt gibt.

Aber, was rede ich hier. Den meisten dieser vielen Millionen Frauen geht es eigentlich viel beschissener als mir. Sie können sich keine Privat-Kita und auch keine vorgeschnittenen Erdbeeren leisten, obwohl sie wahrscheinlich nicht mal weniger arbeiten als ich, sondern einfach schlechter bezahlt werden. Sie sind überarbeitet, gestresst, voller Existenzängste und sorgen gleichzeitig dafür, dass diese verheirateten Paare ohne Kinder, die auch noch mehr haben als sie, irgendwann Rente bekommen. Dafür kämpfen sie sich ab und haben am Monatsende ein Riesenloch in der Haushaltskasse.

Wie kann das eigentlich sein? Wie kann es sein, dass im Jahre 2018 in der Politik zu keinem Zeitpunkt diese Problematik diskutiert wird? Wie kann es sein, dass sich niemand dieser Ungerechtigkeit annimmt?

Denn das Mindeste, das wirklich Allermindeste wäre, wenn wir endlich bekämen, was uns als Hauptverdiener einer Familie zusteht, nämlich eine Steuererleichterung, wie sie die Hauptverdiener beim Ehegattensplitting bekommen. Richtig gerecht würde es aber erst werden, wenn wir noch mehr bekämen, einfach, weil es keinen Zweitverdiener gibt, weil sich niemand mit uns die Unkosten teilt oder das Leben. Weil da niemand die Wäsche für uns wäscht, die Spülmaschine ausräumt, die Einkäufe erledigt und das Kind von der Kita abholt, wenn wir wieder länger im Büro bleiben müssen.

Das Ehegattensplitting ist nicht das Problem

Ich bin nicht gegen das Ehegattensplitting. Mir ist egal, wie viel andere Leute verdienen. Mir ist auch egal, ob sie mehr haben als ich. Was ich nicht verstehe ist, wieso unverheiratete Hauptverdiener einer Familie diese Steuererleichterung nicht auch bekommen. Und dafür gibt es auch keine logische Erklärung. Der deutsche Staat entlastet verheiratete, kinderlose Paare steuerlich und benachteiligt radikal alle Personen mit Kindern. Denn die 190 Euro Kindergeld gleichen die fehlenden 640 Euro nicht aus.

Seit ich diese Brutto-Netto-Rechnung gemacht habe, bin ich deswegen auf der Suche nach meinem „Zweitverdiener“. Ich suche einen Mann oder eine Frau, der/die am besten gar nicht arbeitet, aber auch kein Harzt IV bekommt. Ein Privatier wäre steuerlich gesehen das Allerbeste für mich. Diese Privatiers jedenfalls können sich gerne bei mir melden. Ich würde sie in einer standesamtlichen Trauung ehelichen, ohne dass wir uns danach je wiedersehen müssen. Ich hätte nämlich gerne meine mir zustehenden 640 Euro mehr monatlich auf dem Konto. Also: Meldet euch!