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Unser neuer Lieblingskatalane

 

Deutschlands Öffentlichkeit hat Carles Puigdemont ins Herz geschlossen. Seine Geschichte ist aber keine eines heldenhaften Freiheitskampfs, sondern nur eine politisch-menschelnde Anekdote.


© Marrti Kainulainen/AFP/Getty Images

Seit Ostern hat Deutschland einen neuen Lieblingskatalanen. Das trifft sich gut, denn der alte, Pep Guardiola, ist nun auch schon wieder zwei Jahre weg und obendrein frisch aus der Champions-League geflogen. Mit ihm geht es also bergab.

Außerdem ist der neue Lieblingskatalane viel knuffiger. Guardiola war elegant und unnahbar. Er wirkte zwar südlich-leidenschaftlich, wie wir es lieben und beneiden, jedoch hinter einer rätselhaft spröden Fassade: eine Kombination, die uns anfänglich bestrickte und dann zunehmend verstörte.

Der Neue ist natürlich Carles Puigdemont. Nicht aus der Champions League geflogen, sondern ruhmreich aus einem Knast an der Waterkant entlassen und seither wie ein Popstar gefeiert. Nicht von allen, klar (manche schimpfen ihn einen Separatisten oder nässen sich vor Freude ein, wenn sie auf das grandiose Wortspiel „Putsch-Dämon“ gekommen sind), aber von erstaunlich vielen. Und selbst die, die ihn zu verachten behaupten, tun es mit einer Hingabe, wie nur frisch entfachte Hassliebe sie hervorbringen kann.

Vor Puigdemont und Guardiola hatte Deutschland keine Lieblingskatalanen. Da interessierte Katalonien hier kaum jemanden – oder wenn, dann bloß als kleinen Aufreger, weil wieder jemand es nicht fassen konnte, dass an den Stränden der Costa Brava eine Sprache ertönte, die ihm vorher nie aufgefallen war. Katalanische Eigenheiten wurden in Deutschland allenfalls als Störfaktoren für lieb gewonnene Spanienklischees wahrgenommen.

Die Vorarbeit zum Brückenbau hat seit gut zehn Jahren der FC Barcelona geleistet, in einer Sprache, die jeder versteht, also Fußball, und Pep Guardiola brachte dann den sportlichen Glamour und die Anliegen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung gleichzeitig nach Deutschland. Das mochte teilweise irritieren – etwa wenn er auf dem Berliner Alexanderplatz ein wirres Manifest verlas –, führte aber vor allem dazu, dass den Deutschen Katalonien als politische und kulturelle Größe endlich ein Begriff wurde.

Ekstatische Rudelbildung

Was das Getue um independència und Loslösung von Spanien sollte, blieb hier trotzdem unverständlich. Um das zu ändern, musste erst ein anderes Kaliber von Lieblingskatalane her.

Ein gutmütig wirkender Ex-Journalist und -Bürgermeister einer hübschen Provinzhauptstadt, der mehr oder weniger versehentlich katalanischer President geworden war. Optisch eine Mischung aus Jogi Löw und Buddybär, um die Mundwinkel ein schelmenhafter Zug. Wenn er redet, klingt er besonnen und versöhnlich – nichts an ihm lässt vermuten, dass er der Kopf einer Bande von Fanatikern sein könnte, denen in Spanien wegen „Rebellion“ bis zu 30 Jahre Gefängnis drohen.

Dieser spanische Staat wiederum, der die Exponenten der Unabhängigkeitsbewegung mit der Härte einer politisch instrumentalisierten Justiz verfolgt, hat uns den neuen Lieblingskatalanen überhaupt beschert: europäischer Haftbefehl, Hinweis des spanischen Geheimdienstes ans BKA, Zugriff unweit der dänischen Grenze. Die Justizvollzugsanstalt Neumünster elf Tage lang als Pilgerstätte für Puigdi-Fans und belagert von einem ekstatischen Rudel katalanischer Journalisten und Journalistinnen, die dort ihre Osterferien in den Wind bliesen.

Dann das vorläufige Happy End: Der Herr ist auferstanden, und das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht gewährt dem neuen Lieblingskatalanen Haftverschonung – weil es den vermeintlichen Auslieferungsgrund „Rebellion“ nicht nachvollziehbar findet. Spanien ist blamiert, Katalonien dreht durch, und die deutsche Öffentlichkeit fühlt sich richterlich befugt, Puigdemont ins Herz zu schließen.

„Er gehört zu Deutschland“, titelt zum Beispiel der Freitag (als stünde der Lieblingskatalane, was die teutonische Gunstzuteilung betrifft, in direkter Konkurrenz zum Islam) und wählt dazu ein Foto, auf dem Puigdemont zwar die Arme verschränkt, aber auch besonders treuherzig dreinblickt. Genau so sieht die katalanische Unabhängigkeitsbewegung sich und ihren President am liebsten selbst: ein bisschen trotzig, aber liebenswert. Und nun, da er auf deutschem Boden weilt, scheint sie dieses Bild wundersamerweise auch hier durchsetzen zu können. Schon jubelt die Presse der independentistes, in Deutschland sei nun Sympathie für den katalanischen procés erwacht, also den angeblichen Weg Kataloniens in die Unabhängigkeit.

Vorauseilende Gesinnungspflege

Das ist natürlich ein Irrtum. Puigdemont kann noch so knuffig sein – die Sympathien, die er weckt, werden sich hierzulande trotzdem nicht auf den politischen Irrweg ausdehnen, für den er steht. Schließlich ist der procés in Katalonien nicht daran gescheitert, dass ihn international niemand begriffen hat, sondern daran, dass er ein unausgegorenes Hirngespinst war; vorangetrieben von einer Gurkenregierung, die damit zu weiten Teilen verspielt hat, was Katalonien in Sachen Autonomie innerhalb Spaniens in den 30 Jahren zuvor erreicht hatte. Und diese trostlose Bilanz kann der Lieblingskatalane nicht verdecken. Er kann ihr bloß ein schelmisches Gesicht geben.

Die pikareske Puigdemont-Story der vergangenen sechs Monate – vom trotz verfassungsgerichtlichem Verbot und Polizeigewalt durchgezogenen Unabhängigkeitsreferendum bis zur missglückten Ausrufung der „katalanischen Republik“, danach die Brüssel-Episode und nun die Deutschland-Verwicklungen – funktioniert darum nicht als Erzählung eines Freiheitskampfs, wie es die independentistes gerne hätten, sondern verlockt nur als anregend bizarre politisch-menschelnde Anekdote.

Ihre Wirkung bezieht die Geschichte des neuen Lieblingskatalanen zudem großenteils aus dem blindwütigem Vorgehen der spanischen Musterdemokratie und ihres richterlichen Handlangers Pablo „Haftbefehl“ Llarena, das ja nicht nur Puigdemont betrifft, sondern obendrein zig weitere Politikerinnen und Politiker und Aktivistinnen und Aktivisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Eben noch galt der Katalonienkonflikt der EU und der Weltöffentlichkeit als „innerspanische Angelegenheit“. Jetzt schlägt das Madrider Establishment in dem reaktionären Rausch, in den es sich hineingesteigert hat, derart über die Stränge, dass sich eine internationale Einmischung gar nicht mehr vermeiden lässt (in Schleswig-Holstein hat sie ja schon begonnen) – und dass die Kamikaze-Politik von Puigdemont und seiner Truppe dagegen im Nachhinein schon fast einen soliden Eindruck macht.

Diesen Wandel in ihrer Außenwirkung haben die Verfechter des erneuerten spanischen Autoritarismus inzwischen auch bemerkt. Hektisch schwärmen ihre Gegenpropagandisten aus. Und wir können staunen, wie auch etwa ein arrivierter Schriftsteller wie Javier Cercas mit Getöse auf die Madrider Regierungslinie einschwenkt und sich dabei, in unverfrorener Verkehrung der Tatsachen, eine tonangebende „nationalistische Rechte“ nicht etwa in Spanien, sondern in Katalonien zurechtparanoisiert. Oder wie ein kürzlich noch linksliberaler Gelehrter wie Fernando Vallespín plötzlich Texte schreibt, die schwer nach vorauseilender Gesinnungspflege riechen (für den Fall, dass die Zeiten in Spanien bald noch härter werden; was leider überhaupt nicht auszuschließen ist).

Im Vergleich mit den Abgründen, die sich da auftun, sind die Umtriebe unseres neuen Lieblingskatalanen in der Tat ganz niedlich. Dass Puigdemont aber in der katalanischen Bevölkerung selbst nach wie vor so große Unterstützung genießt und, längst aus dem Amt, weiterhin als „el nostre president“ gefeiert wird, obgleich die von ihm verantwortete Politik für die vielbeschworene Selbstbestimmung Kataloniens ein Desaster ist: Das lässt sich wohl einmal mehr nur mit dem tief verwurzelten katalanischen Masochismus erklären.