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Tschüss Flip, Ciao Flop

 

Nackte Männerfüße gehen gar nicht? Sagt wer? Seit Mai rekelten sich die Zehen unseres Autors in der Sonne. Aber mit dem Sommer schwinden auch die Latschen. Ein Abschied

© [M] Ian Waldie / Getty Images
Das war’s dann also mit uns dreien, nun ist es Zeit für den Abschied, hinweg mit euch zweien. Auf den Friedhof des Sommers mit euch, in den Plastikcontainer oder lieber doch in den Sondermüll? Wir haben schließlich viel erlebt miteinander, und an euren Sohlen klebt nicht nur Kaugummi.

Es war Mitte Mai, als ich ihrem verlockenden Ruf nicht mehr widerstehen konnte. Sie steckten in einer Schütte vor dem 1-Euro-Shop, und ich stand in meinen festen, gut ausgetretenen Lederhalbschuhen davor, stieg unschlüssig von einem Fuß auf den anderen und überlegte: Hm? Ja? Nein? Was würden wohl meine Mitmenschen dazu sagen? Und was meine Schuhe?

Meine treuen Halbschuhe, die ich tagein, tagaus trage, immer mit Kellnersocken (aus dem 1-Euro-Shop natürlich!) in Schwarz, in Dunkelblau oder in Braun. Ganz selten auch in Bordeaux, aber da muss dann schon das Oberhemd dazu passen, sonst sieht das nach nichts aus.

Ansonsten gilt: Langärmeliges Hemd, bis zu den Ellenbogen aufgerollt natürlich, gebügelte Anzughose, Socken, Schuhe, winters und sommers. Die Treter habe ich von meinem Schuster in der Wollzeile, den ich in jedem Herbst, sobald er das SALE-Schild an die Auslage geklebt hat, frage: „Hast du auch spitze?“ Denn spitz müssen sie schon sein.

Nacktheit gehört ins Schlafzimmer

Noch wichtiger war aber, was meine Füße zu dieser Verlockung sagen würden, und die sagten: Kaufen! Sofort! Mach endlich! Als die erste Hitzewelle des Sommers dann auch noch am zweiten Tag anhielt, schlug ich zu und bezahlte 4,99 Euro (und nicht etwa einen!) für ein Paar Flipflops der Billigmarke SUPA – Basisfarbe Blau, das Fußbett grau und gerippt wegen des Massagewohlgefühls. Nach meiner Größe 46 musste ich allerdings erst fragen, denn die Chinesen produzieren zwar in riesigen Mengen, aber nicht für Riesen. Mischa, der ukrainische Chef des 1-Euro-Lagers, brachte mir das letzte Paar von ganz weit hinten, dann rauchte er wieder eine. Dabei stand er in seinen Arbeitsschuhen und langen Cordhosen vor der Türe in der Hitze der Stadt. Ein Verwandter im Geist eigentlich, der aber meinen Flipflopkauf mit Verachtung im Blick quittierte, der Blick sagte: „Flipflops? Du?“ Zusatz: „Trägst du dann auch bald kurze Hosen?“

Probiert habe ich die Dinger nicht, ich verschwand so schnell wie möglich. Mein Vertrauen in den 1-Euro-Shop ist grenzenlos. Alles, was dort aus China importiert wird, ist großartig. Von den Fidget-Spinnern im letzten Jahr (oder sind es zwei Jahre?) kaufte ich sofort fünf Stück, mittlerweile gibt es zehn Stück zum Preis von einem. Ich überlegte kurz, was wohl die Flipflops im Herbst kosten würden? Einen Euro?

Was den groben Männerfuß angeht, bin ich normalerweise recht streng: Er ist schließlich nicht nur anatomisch ganz unten angesiedelt, sondern auch gesellschaftlich. Schon wegen seines Aussehens muss er eingesperrt werden, mit Schuhbändern oder Schnallen. Er hat nichts Verlockendes, nichts, das man gerne herzeigen sollte, wenn man ein Mann ist. Außerdem bin ich ein wenig g’schamig: Nacktheit gehört ins Schlafzimmer, da hatte mein Religionslehrer, der strenge Dechant Kierner, schon recht. Er trug im Sommer Sandalen mit Socken unter seinem Ornat, ich selbst trug als Kind sogar Stutzen zu meinen „Klapperln“. Das schamhafte Betrachten von Fotos aus dieser Zeit bezeugt meine Erinnerung.

Wie Peggy Bundy vor dem Fernseher

Nun aber brach ich aus, legte alle Fesseln und Zwänge ab. Wir leben schließlich in Zeiten, in denen eh alles wurscht ist. Nach über einem halben Jahrhundert auf dieser Erde kam auch für mich der Tag, an dem ich die Socken im Schrank liegen und die Schuhe neben der Wohnungstür stehen ließ. Stattdessen schlüpfte ich in meine Flipflops und trat hinaus in die Welt. In eine vollkommen neue Welt. Hinaus auf die Straßen des 15. Bezirks, die ein hartes Pflaster sind. Meine Flipflops aber betteten meine Füße, die noch käsig, unschuldig und ohne Hornhaut waren, weich. Vergnügt rieb ich die Zehen gegeneinander, als die Sonnenstrahlen meine Nasenspitze kitzelten. Sofort war ich ein glücklicher Mensch. Manspreading in der U-Bahn mit Flipflops an den Füßen – ein Traum! Mit den Beinen übereinandergeschlagen im Gastgarten sitzen und dabei mit den Füßen wippen wie Peggy Bundy vorm Fernseher – noch besser!

Flipflops zählen zu den Zehenstegsandalen, steht im Internet. Sie werden in Deutschland mit Bindestrich geschrieben und sind dort als Marke geschützt. Es gibt sie seit Jahrtausenden, schon die alten Ägypter schätzten sie, und die Japaner nennen sie Zóri mit Strich auf dem o! Ihren Namen verdanken sie dem „onomatopoetischen“ (ein Wort, das ich noch nie gehört habe!) Begriff, der das Geräusch bezeichnet, das sie beim Herumlatschen machen – flip, flop.

Fortan flipflopte ich also dahin, dass es eine Freude war. Die ganze Gegend konnte mich hören: Die türkischen Männer in ihrem türkischen Café, die den ganzen Tag dort herumsitzen und an denen ich jeden Tag zehnmal vorbei kam, schreckten auf (und die schrecken sonst nie auf), sobald ich mich näherte; im Billigdiscounter um die Ecke erschreckte ich die Damen beim Obst, sobald ich herbeigeklapperlt kam; auf Bahnsteigen machte man mir sofort Platz, ebenso wenn ich eine Rolltreppe hinauf eilte – flip, flop.

Nicht unter die genagelten Schuhe kommen!

Ich trug sie um drei Uhr früh, als ich ins Taxi Richtung Ferienflieger stieg, aber am Flughafen war ich bei Gott nicht der Legerste. Denn nach wie vor trug ich Anzughose und Hemd zu meinen Flipflops, immer. Am besten gefiel ich mir dabei, wenn ich helle Hosen, streng gebügelt, und ein weißes Hemd dazu trug. Kurze Hosen bei 40 Grad? Niemals! Denn was den Füßen erlaubt ist, das ist den Beinen noch lange nicht erlaubt. Das wussten schon die alten Lateiner.

Die griechische Hitze war meinen Füßen sofort sympathisch, die Sonne brannte sogar tan lines auf ihren Rist, sehr schön. Und als die Freunde mich fragten, ob ich mitgehen würde in die Schlucht zum Wandern, da konnte ich ehrlichen Herzens sagen: „He, seht her! Ich habe ja nicht einmal Schuhe mit!“

Am Strand schaute ich, dass meine Flipflops ja nicht von den Hunden der Nackerten verschleppt wurden, denn ohne sie hätte ich es nur mit schwersten Verbrennungen an den Sohlen über die heißen Steine zurück ins Zimmer geschafft. Während des Rückflugs streckte ich den linken, nun tadellos gebräunten Fuß in den Gang und hoffte, dass mich eine Stewardess auf ihn ansprechen würde. Aber wir flogen mit Ryanair, und Billigflugstewardessen haben keinen Blick für das Schöne, weil ihr Job so hässlich ist.

Ich beehrte mit meinen Flipflops das Lederhosenfest im ländlichen Kuhdorf – Tradition soll man hochhalten, aber nicht zu hoch. Wichtig war nur: Bloß nicht unter die genagelten Schuhe kommen mit den Zehen, während man Polka tanzt! Ich trug sie am See, am Fluss, auf heißem Asphalt, auf bienenbevölkerten Wiesen und steinigen Feldern. Den ganzen Sommer über trug ich nichts anderes mehr an den Füßen als meine geliebten Flipflops, vier herrliche, heiße, sonnige Monate lang. Die wenigen Regenfälle dazwischen waren ein Genuss, sie waren ein leichtes Herumrutschen auf einem dünnen Film aus Wasser und Schmutz. Nach dem Regen war es Zeit, sie auch mal zu waschen, und – wir wollen ehrlich sein – sie hatten es nötig. Die Füße natürlich auch, aber die kamen ohnehin öfter unten den Hahn, sie lassen sich leichter waschen, wenn sie eh schon zugänglich sind. Gegen die Hornhaut kaufte ich mir zahlreiche Raspeln und Feilen, zum Nachfetten der Haut geschätzte zehn Tuben Hirschtalg. Nie hatte ich schönere Füße!

Letztes Wochenende überraschte mich dann plötzlich der Schnee auf den Bergen Oberösterreichs. Ich lag frierend im Bett und dachte erstmals wieder an meine Socken samt Schuhen drum herum. Mir war klar geworden: Der Sommer geht seinem Ende entgegen, unaufhaltsam. Es war Zeit geworden für einen Abschied. Meine SUPA-Flipflops warf ich in den Mist. Sobald im 1-Euro-Shop Ausverkaufspreise gelten, werde ich mir neue kaufen. Der kluge Mann baut schließlich vor, und der nächste Sommer kommt bestimmt.

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