Unter der Woche nach Fürth fahren, um den FC St. Pauli anzufeuern? Nicht mit uns, sagen viele Fans. Und leider haben sie recht: Die Spieltage sind unerträglich zerfleddert.
Auswärtsfahrende Fußballanhänger haben nicht nur mit allerhand Schikanen und Vorurteilen zu kämpfen: Der moderne Fußball, der sich in der Regel zuerst um den TV-Zuschauer kümmert, macht Fahrten in ferne Stadien auch zu einer teuren, zeitraubenden Angelegenheit. Heute spielt mein Verein, der FC St. Pauli, in Fürth. An einem Montag! Das würde bedeuten: mindestens einen Tag Urlaub nehmen, um rechtzeitig in Mittelfranken anzukommen. Zeit für eine solidarische Protestnote.
Als ich ein junger Butscher war, da machte das Wort „Spieltag“ noch Sinn: Fußball-Bundesliga wurde am Sonnabend gespielt, um 15.30 Uhr. Damals hatten Gästefans noch eine eigene Kurve (fast) für sich. Bei St. Pauli war das die Südkurve. Heute quetschen sie sich in kleine Tortenstücke, die wie Trivial-Pursuit-Steinchen in den Ecken der Arenen kleben. Meist umzäunt, wie der Außenbereich in Guantanamo. Viele Gästefans schaffen es da nicht mehr hinein — und das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass sich der Spieltag zu einer „Spielwoche“ gemausert hat. Der Ligaverband nimmt bei Ansetzung der Spieltage offenkundig weniger auf die Gästefans Rücksicht als auf die Attraktivität der Spiele für den TV-Zuschauer.
Montags ist es besonders schlimm, da wird in der 2. Liga das Topspiel des Spieltages angepfiffen. Abends. Zu Hause am Millerntor immer besondere Spiele, die unter Flutlicht und viel Vollbier ausgetragen werden. Auswärtsfahrende Gästefans haben bei Anpfiff aber schon einen ganzen Reisetag hinter sich — und eine ausgedehnte Rückreise in der Nacht oder am Dienstag vor sich.
Da kommen, wie aktuell für Fans des FC St. Pauli, schnell vier bis fünf Urlaubstage zusammen. Wohlgemerkt: Für die ersten sechs Spiele! Gleich zu Saisonbeginn spielt die Mannschaft auswärts zwei Mal freitags und einmal montags. Und zwar nicht mal eben so um die Ecke, sondern in Aalen, Aue und Fürth.
„Uns langt’s“, das verkündet nun der St. Pauli-Fanclub Sankt Pauli Mafia. Er hat sich schweren Herzens zu einem Reiseboykott entschlossen und fährt nicht zum heutigen Auswärtsspiel. Auf der Homepage der Gruppierung steht: „Wir haben uns dafür entschieden, das Montagsspiel auswärts in Fürth zu boykottieren und stattdessen als Gruppe am Wochenende unsere Zweite zu supporten.“
Ein Protest, der wenig wahrgenommen wird, berichten doch der live übertragende Fernsehsender Sport1 und andere Medien wenig darüber. Ein Protest, der aber unsere Solidarität verdient, die wir zu Hause bleiben. Denn: Spiele ohne Auswärtsfans sind irgendwie nicht komplett und werden schnell langweilig. Es bringt keinen Spaß, nur mit sich selbst zu singen, das konnten wir am Millerntor schon oft genug erleben.
Vielleicht braucht es wieder einen Stimmungsboykott wie im letzten Winter. Damals feuerten viele Fans ihre Vereine für eine Weile nicht an, um so gegen die ihrer Meinung nach übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen in den Stadien zu protestieren. Möglicherweise ist das auch ein Weg, um gegen lange Auswärtsfahrten unter der Woche vorzugehen. Einen Versuch ist es wert.
Im Moment muss der hartgesottene Auswärtsfan vor allem mit Galgenhumor vorliebnehmen: Immerhin haben die Kiezclub-Anhänger durch die viele Reiserei mal wieder einen Preis gewonnen — das SpielAnsetzungsMonster. Verliehen hat ihn die Interessenvereinigung ProFans, die sich für fanfreundlichere Spieltage einsetzt. Sie wollte damit auf die Strapazen der St. Pauli-Fans aufmerksam machen. Ein kleiner Trost.