Die Menschen im Bezirk Hamburg-Mitte wollen die Seilbahn nicht. Das zeigt: Stimmenfang mit Spektakelbauten funktioniert nicht immer. Ein Kommentar
Olympia? Schulreform? Stromnetze zurückkaufen? Ikea im Wohngebiet? Eine Musical-Seilbahn? Lass die Leute doch abstimmen! Kein Zweifel: In Hamburg ist das Plebiszit auf dem Vormarsch. Mit all seinen positiven und negativen Implikationen. Es mag vom Prinzip her begrüßenswert sein, wenn die Menschen darüber mitentscheiden dürfen, was in der Stadt gebaut, gekauft und reformiert wird. Bei näherem Hinsehen ist direkte Demokratie jedoch keineswegs immer demokratischer.
2010 etwa gelang es der Initiative Wir wollen lernen die schwarz-grüne Schulreform zu kippen – eine plebiszitäre Klatsche, nach der sich kein Bildungspolitiker der Republik mehr an die Abschaffung des Gymnasiums zugunsten eines egalitäreren System wagen wird. War das jetzt Volkes Wille? Höchstens formal. De facto war das der Triumph der Eltern aus den besseren Gegenden – einer Beteiligungselite also, wie die Soziologie es nennt. In den ärmeren Stadtteilen lag die Beteiligung an der Volksabstimmung zum Teil bei einem Drittel der Beteiligung der Elbvororte.
Auch im Falle der Seilbahn-Abstimmung musste man Schlimmstes befürchten: Dass sich mit einem positiven Ergebnis für die Musical-Gondeln eine plebiszitäre Demokratie durchsetzt, die von Investoren beeinflusst wird. Schon im Falle des Bürgerentscheids über die Ikea-Ansiedlung hatte sich gezeigt, dass man mit dem Versprechen auf einen neues, buntes Möbelhaus satte Mehrheiten erzielen kann – 77 Prozent hatten seinerzeit alle Bedenken in Sachen Gentrifizierung und Verkehrschaos fahren lassen und pro Ikea gestimmt. Sind Volksabstimmungen das neue Power-Tool, mit dem Konzerne in unseren Städten Shoppingmalls, gefällige Mottoarchitektur und Fun-Zubringer zu lukrativen Entertainment-Tempeln durchsetzen? Im Fall der Seilbahn, die von St. Pauli in Richtung Musicalhäuser führen sollte, ist das Experiment gescheitert. 63,4 Prozent haben gegen das Projekt des Musical-Konzerns Stage Entertainment und des österreichischen Seilbahnbauers Doppelmayr gestimmt.
Die Seilbahn-Befürworter könnten argumentieren: Auch hier ist bloß eine linkskonservative, populärkulturfeindliche Beteiligungselite zur Wahl gegangen. Mag sein. Vielleicht, ganz vielleicht aber haben die Menschen auf St. Pauli und jenseits der Elbe auch mehrheitlich einfach die Faxen dicke von der Eventisierung und Tourifizierung ihrer Stadt und wollen eine Seilbahn in das Nirgendwo von Musical-Abspielstätten nicht mal geschenkt haben. Womöglich finden sie gar, dass die Musical-Besucher doch bitteschön wenigstens dafür sorgen sollen, dass die Hafenbarkassen an den Landungsbrücken Gäste bekommen.
Man wird es nicht herausfinden können. In welchen Stadtteilen wie viele Menschen wie abgestimmt haben – all das wird bei bezirklichen Bürgerentscheiden nicht erhoben. Sicher ist nur: Satte drei Viertel der Stimmberechtigten sind gar nicht erst zur Wahl gegangen. Offensichtlich lassen sich die Leute gar nicht so leicht aufscheuchen. Weder halten sie die Seilbahn für den Untergang des Abendlandes noch für einen mutigen Schritt in Richtung innovatives Verkehrskonzept. Sie ist ihnen einfach wurst.
Auch das ist im Grunde kein schlechtes Zeichen. Es signalisiert potentiellen Bauherren solcher Projekte, dass es sich nicht immer lohnt, für Spektakelbauten auf Stimmenfang zu gehen. Der „Wow!“-Effekt, auf den die Elbphilharmonie-Architekten seinerzeit gesetzt haben, als sie in der Stadt für das Leuchtturm-Projekt geworben haben – er verfängt nicht mehr.
Korrektur und Ergänzung, 29.8.: Anders als im Kommentar behauptet, hat der Bezirk Mitte doch zumindest erhoben, wie hoch die Wahlbeteiligung in den einzelnen Stadtteilen war. Das Ergebnis zeigt: Zum ersten haben sich die Stadtteile nördlich der Elbe deutlich stärker beteiligt als die im Süden. Während die Stimmberechtigten in der Hafencity zu 44,97 Prozent abgestimmt haben – rund 20 Prozent über dem Durchschnitt – sind auf der Veddel und in Wilhelmsburg nur 20,19 Prozent bzw. 21,57 Prozent Beteiligung zu verzeichnen. Zum zweiten gilt: Je weiter entfernt die Stadtteile von der Seilbahn liegen, desto weniger Interesse hatten die Bürgerinnen und Bürger an der Abstimmung. In Billbrook waren gerade mal 11,29 Prozent dabei – auf St. Pauli dagegen wollten 33,50 Prozent mitentscheiden.
Christoph Twickel ist Autor des Buches „gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle“ (Edition Nautilus) und aktiv im Netzwerk Recht auf Stadt.