Weniger von oben herab: So will der designierte Präsident Oke Göttlich den FC St. Pauli leiten. Damit wird er bei den Linksalternativen wie bei den Bürgerlichen anecken.
Fußballfans und Vereinsmitglieder sind konservativer als man denkt. Da macht der FC St. Pauli keine Ausnahme. Oke Göttlich, designierter Präsident, und sein fünfköpfiges Präsidium, das sich am 16. November im CCH der Mitgliedsversammlung zur Wahl stellt, möchte transparent führen, moderieren und weniger „von oben herab“ leiten. Ausgerechnet mit dieser Ankündigung eckt es aber schon an, bevor es überhaupt gewählt ist.
Nach Jahren der Krise und der anschließenden Konsolidierung, die sich zuletzt in drei neuen Tribünen manifestierte, haben sich die FC St. Pauli-Mitglieder in der Opposition eingerichtet. Sie haben es sich zur launigen Aufgabe gemacht, gegen allzu selbstherrliche und klassische Präsidenten-Egos anzukämpfen (hier nimmt sich der Autor selbst nicht aus). Oke Göttlich will das nun anders machen: Er will nicht top-down managen, sondern Impulse von Mitgliedern und Fans aufnehmen und gegenüber Verbänden, Stadt und Sponsoren vertreten.
Göttlich möchte den Kiezclub so besser vermarkten, ihn auch international noch bekannter machen. Zu versuchen, die Eigenheiten des FC St. Pauli aus sich selbst heraus zu schärfen, „steht dem FC St. Pauli gut zu Gesicht“, hat er bei seiner Vorstellungsrunde in der Millerntor-Südkurve gesagt.
Mit diesem Vorhaben wird es der neue Präsident nicht allen recht machen — er muss erwarten, sowohl von der antikapitalistischen Basis, als auch vom bürgerlich-konservativen Boulevard kritisiert zu werden. Göttlich und sein Team begreifen erfolgreiches Wirtschaften und die politisch-kulturellen Eigenheiten des FC St. Pauli nicht als Gegensätze. Ihr Ziel: Die gepflegten Gräben zwischen linker Szene und rechts-konservativer (Fußball-)Wirtschaft überbrücken.
Bei konservativen Mitgliedern stoßen diese Ansätze auf Argwohn. Vor allem, weil der neue Präsident bisher auf der anderen, der linksalternativen Seite einzuordnen war. Im Gegensatz zum scheidenden Präsidenten Stefan Orth, der einer von ihnen ist. Diese Klassenkampf-Rituale treffen jetzt, da die Ideen von Oke Göttlich immer deutlicher werden, allerdings nicht mehr so richtig zu. Das irritiert.
Auf der anderen Seite steht die als linksalternativ markierte Fanszene. Sie freut sich zwar, dass einer, der jahrelang neben ihnen auf der Tribüne stand, nun Verantwortung übernimmt. Aber dass ausgerechnet dieser Mann lange gepflegte Feindbilder über Bord werfen will, dass ist ihr dann doch auch wieder nicht recht.
Es ist ein anstrengender Weg, den sich Göttlich da ausgesucht hat. Ein Präsident, der agiert statt zu reagieren. Das klingt sehr st.-paulianisch — und erscheint mir die Hauptmotivation des Aufsichtsrates gewesen zu sein, auf Göttlich und sein Team zu setzen, statt auf eine weitere Amtszeit mit dem bisherigen Präsidenten Stefan Orth. Und es wäre eine riesige Überraschung, wenn sie nicht gewählt werden würden. Eine einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder reicht ihnen am Sonntag im CCH.
Es bleibt aber abzuwarten, wie viele Fans und Mitglieder es mit ihrem neuen Präsidenten wirklich gemeinsam aushalten werden, zukünftig einem noch stärkeren Gegenwind der Kräfte ausgesetzt zu sein, die sich in den bisherigen Grabenkämpfen allzu wohl fühlen. Etwa dann, wenn Göttlich mit der Schlagzeile „Schock: Pauli-Präsident Pro Pyro“ auf sich aufmerksam macht. Das kann gut passieren. Aber: Der neue Präsident und sein Konzept verdienen eine Chance. Nur so kann dem Graben zwischen „reichen“ Fußball-AGs und „armen“ Vereinen entgegengewirkt werden.