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Stars im Knust

Weltweit geliebt – und doch keine Weltstars

 

Indie-Dance is still alive: Die Stars aus Montreal spielen in Hamburg ihren hinreißenden Achtziger-Postpunk-Dancepop. Nur die große Karriere lässt noch warten.

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Torquil Campbell und Amy Millan, Stockholm 2005; CC BY-SA 2.5 Anders Jensen-Urstad

„Jedes Mal, wenn wir nach Hamburg kommen, seid Ihr da!“ Torquil Campbell wirkt euphorisch und ergriffen zugleich. Schließlich ist der Stars-Sänger, Spross einer ausgewanderten Schauspielerfamilie aus England, ein Künstler, und offenbar wird er geliebt. Annähernd ausverkauft, über 400 Besucher sind im Hamburger Knust. Wir, die Zuschauer, würden ihnen, den Musikern, dieses schöne Leben ermöglichen, das sie sich immer wünschten, freut sich Campbell. Eigentlich hätte es noch schöner sein können: Zum dritten Album Set Yourself On Fire tanzte man 2004 auf Studentenpartys rund um den Globus, eine Karriere in Größenordnung der artverwandten französischen Band Phoenix schien in Reichweite.

Doch außer in Kanada wurde daraus irgendwie nichts. The Kooks demnächst in der Alsterdorfer Sporthalle, die Stars im Knust? Richtig erklärbar ist es nicht. Der stromlinienförmige, keyboardgestützte Sound vom neuen Album No One Is Lost soll das Ruder möglicherweise noch einmal herumreißen. Doch die Verkäufe in den USA (Platz 117 in den Billboard-Charts) und selbst in Kanada (Platz 18) sind enttäuschend.

Ganz schlüssig ist das Package nicht. Rollschuhe und Disco (Coverfoto von No One Is Lost) ist eindeutig Siebziger, aber der melodische Dancepop-Postpunk-Sound klingt sehr nach frühen Achtzigern, nach New Order und Smiths. Das Outfit der sechsköpfigen Band ist erst recht nicht zuzuordnen. Gitarrist und Bassist treten als Erste vor das riesige Bandlogo im Bühnenhintergrund, beide tragen kurzärmelige blaue Hemden mit roten Schulterklappen. Aha, ist das der uniforme Bühnenlook?

Nein, der Rest trägt irgendwas. Amy Millan, die zweite Leadsängerin, mit schwarzem Kleid im Secondhand-Look, Schlagzeuger Patrick McGee hat sich für Unterhemd und Latzhose entschieden. Weiterhin: zwei Pilotensonnenbrillen. Mastermind Campbell gleicht mit quergestreiftem Oberhemd, Schlabberjackett und überdimensionierter, ständig rutschender Hornbrille einer Kreuzung aus schrulligem Bühnenderwisch à la Ian Dury und Sparkassen-Filialleiter. Ab Mitte des Konzerts fehlt die Brille plötzlich – hoffentlich hat der kurzsichtige Sänger sie wiedergefunden … Cool geht jedenfalls anders, aber das Gute ist: Es ist egal.

Fast alle auf der Bühne haben einen Knopf im Ohr: Computer-Rhythmen, Keyboardflächen, Streicher und Bläser kommen vom Band. Naturgemäß also alles relativ statisch-zackig – so, wie die neuen Stücke à la From The Night (Konzert-Opener) eben angelegt sind. Besonders modern wird der Sound durch Achtziger-Synthesizer und Songaufbau im Techno-Klötzchen-Schema allerdings nicht; auch eine durchgehende Bassdrum ist ja fast schon ein Anachronismus. Das macht die Show der Stars aber überhaupt nicht schlechter, die in Optik und Sound ohnehin aus der Zeit gefallen scheinen.

Hymnischer Indie-Dance mit New-Romantic-Anleihen – keine gute Idee? Irgendwie doch. Unglaublich, wie salbungsvoll und mächtig die Stars bei Take Me To The Riot (2007) und dem neuen Stück Trap Door marschieren; die Psychedelic Furs in Pretty In Pink-Tagen waren nicht besser. Wie fein und präzise sie Your Ex-Lover Is Dead, die Eröffnungsnummer des alten Hitalbums, spielen – im Publikum wird textsicher mitgesungen. Einhellige Meinung in der Garderobenschlange: „Einfach eine gute Band.“

Wahre Rockmusik mit Wert, Haltung und Seele – das gebe es seit der perfiden Veröffentlichung des letzten U2-Albums via Kauf eines iPhones indessen nicht mehr, ließ Torquil Campbell kürzlich verlauten: „It was the day the big rock ’n’ roll industry died. (…) People don’t want music in their iTunes, they want it in their hearts.“ Doch genau dort erreichen die Stars ihr Hamburger Publikum. Der anhaltende Applaus nach Konzertende wird von Amy Millan und dem neuen Gitarristen Chris McCarron mit einer kleinen, aber feinen Version des Bandklassikers My Favourite Book belohnt.

Zuvor verrät der aufgekratzte Campbell, der sich für die Zeit nach dem Auftritt auch nach einer geeigneten Bar mit interessanten Gästen erkundigt, noch den Hauptgrund, überhaupt noch mit einer Band auf Tour zu gehen: Im Falle eines Falles wäre immer jemand in der Nähe, der ihm in die Schuhe helfe.