Vor dem zweiten Spiel gegen den VfB Stuttgart wirkt der HSV bereits, als sei die Saison gelaufen. Dabei gibt es keinen Anlass, sich jetzt schon wegzuducken.
Eins ist nicht gleich vierunddreißig. Diese Formel ist, mathematisch betrachtet, so wahr, wie es wahr ist, dass in Hamburg häufiger Regen vom Himmel fällt als in der Sahara. Allerdings scheint das, was alle Welt als gegeben hinnimmt, nicht für den Hamburger SV zu gelten. Wie sonst sollte man sich erklären, dass bei dem Verein schon nach dem ersten Spieltag so viel Alarm ist wie vor dem 34. Spieltag, dem letzten einer Saison?
Die Vorbereitung lief im Vergleich zu den vergangenen Jahren recht ruhig. Alle freuten sich auf die neue Saison. Zeitungen riefen einen „brutalen Konkurrenzkampf“ um die Stammplätze im Team aus. Dann kam die Niederlage im Pokalspiel gegen den Viertligisten Jena. Dann fand eine Altenpflegerin einen Rucksack mit sensiblen Dokumenten – und der Verein wirkt, als sei die Saison bereits vor dem zweiten Spiel gegen den VfB Stuttgart an diesem Wochenende gelaufen und der Abstieg diesmal wirklich nicht zu verhindern.
Der HSV steckt ungefähr so lange in der Krise wie Europa. Das merkt man dem Verein an. Niemand ist da, der Ruhe bewahrt, der allen klarmacht, was offensichtlich ist: Es ist erst ein Spiel gespielt. Der HSV hat gegen den FC Bayern München verloren, so wie aller Voraussicht nach die 16 anderen Vereine auch.
Der HSV wirkt wie ein schwer traumatisierter Mensch, der seit zwei Jahren heftigste Eheprobleme hat. Es gibt Momente, da reißt er sich zusammen. Meist aber ist er völlig aufgelöst, hat aus dem Blick verloren, was lange selbstverständlich war. Er duckt sich weg, um bloß nicht wieder eins drüberzukriegen.
Das ist menschlich verständlich. Hilft dem Verein in der Situation aber nicht weiter.
Dass der HSV eigentlich ein Fußballclub ist; dass Fußballspielen unter Umständen (aber eben nicht unter den gegebenen Umständen) Freude bereiten kann; das scheinen alle vergessen – oder noch schlimmer: verlernt zu haben.
Stattdessen machen sie sich pausenlos Gedanken. Über den möglichen Dieb der Dokumente. Über den Diebstahl, der vielleicht schon in der Geschäftsstelle stattfand. Und über einen Direktor Profifußball, der appelliert, auch an ihn als Menschen zu denken, und bei all den Skandalen gar nicht zu dem kommt, was er eigentlich dringend tun müsste: noch ein oder zwei neue Spieler zu verpflichten.