Die Hamburger Justiz ist völlig überlastet, ihre Aufgaben werden zunehmend komplexer. In der wachsenden Stadt müssen daher auch Staatsanwaltschaften und Gerichte wachsen.
Nicht vielen Hamburgern wird bewusst sein, dass es vor zehn Jahren in dieser Stadt 250 Fachanwälte für Arbeitsrecht gegeben hat, inzwischen aber 450 gibt. Man kann das lesen und sofort wieder vergessen, aber vorher sollte man sich klarmachen, was es bedeutet. Der Fachanwalt ist ein Experte. Wo ein Universaljurist im Zweifel improvisiert, zitiert er immer noch weitere Urteile, Kommentare, Gesetzesbegründungen. Das ist gut so, der Fachanwalt erzwingt sorgfältigere, besser begründete Urteile. Er erzwingt aber auch aufwendigere Verfahren.
Immer mehr Anwälte bilden sich zu Experten fort, nicht nur für Arbeitsrecht. Und die zunehmende Spezialisierung der Anwaltschaft ist nicht die einzige Quelle zusätzlicher Arbeit für Staatsanwälte und Richter. Das alte Wort »Telefonüberwachung« beispielsweise hat mit der Wirklichkeit so viel zu tun wie das Drehscheibentelefon mit dem Smartphone. Allein ein Chatverlauf bei WhatsApp kann Hunderte von Seiten füllen, hochinteressante Seiten, wenn es sich um einen Chat unter Menschenhändlern und Zuhältern handelt, aber es muss sie jemand lesen.
Natürlich sind diese Diskurse vielsprachig, auch das anzuwendende Recht ist zunehmend international, auch Kriminelle lernen und werden zu Experten.
Knapp gesagt: Richter haben es schwerer als früher. Die Zahl ihrer Verfahren mag zurückgehen, das ist das gängige Argument gegen neue Stellen in der Justiz. Die einzelnen Verfahren aber werden komplizierter.
Jetzt hat die Hamburger Justiz etwas unternommen, was sie möglicherweise längst hätte tun sollen: eine Beweissicherung in eigener Sache. Herausgekommen ist eine mit 120 Seiten ziemlich knappe, aber plausible Begründung für die These von der wachsenden Arbeitsbelastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften.
Natürlich lässt sich nicht jedes Problem durch Neueinstellungen lösen, manchmal scheint es an professionellem Management zu fehlen. Wenn eine Justizsoftware nach jahrelanger Entwicklungsarbeit noch immer zahllose Arbeitsstunden hoch bezahlter Juristen frisst, dann wurde wahrscheinlich vor Jahren an der falschen Stelle gespart: bei den IT-Fachleuten, die ein Anforderungsprofil präziser hätten formulieren müssen. Wenn an der Ausbildung gespart wird – Rechtspfleger, Justizfachangestellte und Gerichtsvollzieher bildet die Justiz selbst aus – lassen sich offene Stellen später nicht besetzen.
Natürlich droht die Rechtsprechung in Hamburg nicht zusammenzubrechen, wie die Opposition zu behaupten pflegt, wenn irgendwo einmal ein Untersuchungshäftling entlassen wird, weil er zu lange auf seine Verhandlung warten musste. Insgesamt aber, das macht dieser Bericht deutlich, braucht die wachsende Stadt Hamburg nun auch eine wachsende Justiz.