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Klimagipfel

Zurück in die Vergangenheit

 

Das neue Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg ist groß und schmutzig – trotzdem ist diese Art der Stromproduktion noch unverzichtbar.


So kompliziert ist Energiepolitik geworden, so unübersichtlich die Landschaft der Sonnen- und Wind-, der Gas-, Atom- und Kohlekraftwerke, dass politisch interessierte Zeitgenossen davorstehen wie vor einem Rorschach-Tintenkleckstest: Ihre Beschreibungen verraten mehr über die Sprecher als über ihren Gegenstand. Und wie beim Rorschach-Test ist das, was nicht gesagt wird, so wichtig, wie es die Aussagen sind.

Am Donnerstag vergangener Woche hat Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz den zweiten Block des neuen Kohlekraftwerks Moorburg eingeweiht. Es war ein rein symbolischer Knopfdruck, das Kraftwerk ist längst am Netz, und Scholz sagte, was er wohl sagen musste: dass dies eines der leistungsstärksten, effizientesten Kraftwerke Europas sei. Dass es flexibel auf das wechselnde Angebot an Ökostrom reagiere. Dass Hamburgs Industrie ihren Stromverbrauch nicht nach dem Wind richten könne.

All das ist nicht ganz falsch, nur unvollständig. Dass Moorburg unvorstellbare Mengen des Klimagases CO₂ erzeugt – so viel wie der Andenstaat Bolivien, hat Greenpeace einmal errechnet –, ist nicht einmal das Schlimmste. Andere Kraftwerke sind weniger effizient, und würden sie nun abgeschaltet, da das neue Megakraftwerk endlich am Netz ist, wäre das für die Umwelt sogar ein Gewinn.

Schwerer wiegt, dass Moorburg kraft seiner Größe, seiner Lebensdauer und der investierten drei Milliarden Euro, die sich irgendwie rentieren sollen, die Vergangenheit der Stromproduktion bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts zu verlängern droht. In Hamburg ist Strom nun für viele Jahrzehnte vor allem Kohlestrom, das ist kaum noch zu ändern.

 

Wie ein mächtiger Strom eine Landschaft prägt, so wird die Stromproduktion dieses Kraftwerks die norddeutsche Energielandschaft formen. Jede neue Technik muss nun mit schmutzigem Billigstrom konkurrieren. Statt sparsam mit elektrischer Energie umzugehen, werden wir neue Arten des Verbrauchs erfinden, einfach weil die Energie da ist. Denn so weit ist es mit der gerühmten Flexibilität des Kohlekraftwerks nicht her. Ja, die Stromproduktion lässt sich bei Bedarf schnell drosseln. Abschalten aber kann man das Kraftwerk nur zu einem hohen Preis, weshalb Deutschland schon heute, und in Zukunft immer häufiger, Strom ins Ausland verschenkt oder sogar noch bezahlt, um ihn loszuwerden.

So groß wie die blinden Flecken im Weltbild der Traditionalisten sind auch die im Ökolager. Ja, die Umweltbewegung hat tapfer gegen den Bau des Kohlekraftwerks gekämpft. Genauso entschlossen hat sie aber vorher für den energiepolitischen Schritt gestritten, der Moorburg erst möglich gemacht hat. Das neue Kraftwerk gehört zu einer ganzen Generation riesiger Stromfabriken, die ihre Existenz dem rot-grünen Beschluss zum Atomausstieg aus dem Jahr 2000 verdanken. In wenigen Fällen ist der Zusammenhang so dicht belegbar wie in Hamburg, wo die Handelskammer jahrelang für den Bau des Kohlekraftwerks warb und dabei vor allem auf die Abschaltung der Atomkraftwerke verwies.

Natürlich würden ohne Moorburg in Hamburg nicht die Lichter ausgehen. Insgesamt aber ist die Generation der Anti-Atomkraftwerke, zu der es gehört, für die Energiewende unentbehrlich. Vor vier Jahren, als zum zweiten Mal ein Atomausstieg beschlossen wurde, fand sie sich dann auch wie selbstverständlich in den Kalkulationen wieder, die belegen sollten, dass ein Atomausstieg nun möglich sei. All das hat das Ökolager nie wahrhaben wollen.

Vielleicht kommt man der Wahrheit am nächsten, wenn man Moorburg als frühen, überdimensionierten und besonders hässlichen Vertreter einer neuen Kraftwerksgeneration auffasst: Kraftwerke, die nicht in die zukünftige Welt der erneuerbaren Energien passen, aber dennoch gebaut werden, weil es heute noch keine in jeder Hinsicht überzeugende Alternative gibt.