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Bürgerschaft

Die Krise ist lokal

 

Die CDU verliert, die AfD gewinnt – neue Umfragezahlen für Hamburg zeigen, was es für Christsoziale bedeuten kann, Angela Merkels Kurs auf Landesebene zu verteidigen.

Dass Politiker ihre Arbeit tun, ohne zu wissen, wie ihre Wähler das finden, ist in der Umfragendemokratie unüblich. In Hamburg hat dieser Schwebezustand einer Politik ohne Rückkopplung zur Basis politischer Macht nun fast ein Jahr gedauert, seit Freitag ist er zu Ende. Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Landtagswahlen wären? – Radio Hamburg hat das Meinungsforschungsinstitut Trend Research fragen lassen, und die Antworten erlauben einen vorsichtigen Ausblick in die Zukunft des Landes: 37 Prozent für die SPD, 14 Prozent für die CDU, je 13 Prozent für AfD und Grüne – das sind die Schlüsselzahlen.

Es liegt nahe, diesen Befund als Momentaufnahme unter dem Einfluss einer durch die Flüchtlingskrise in Bewegung geratenen Bundespolitik abzutun. Aber diese Krise ist lokal, nicht der Bund ist durch den Ansturm der Flüchtenden überfordert, sondern Städte und Landkreise sind es. Der Streit um die Flüchtlinge ist auch ein Streit um Hamburger Probleme, weshalb eine Hamburger Umfrage zu diesem Zeitpunkt durchaus etwas über Kräfte verrät, die sich hinter Regierung und Opposition sammeln.

13 Prozent für die AfD, das ist die große Veränderung, nicht überraschend angesichts der Flüchtlingskrise, aber wichtig für die zukünftige Machtverteilung. Solange immer neue Zuwanderer ins Land strömen, muss sich die neue Rechtspartei um ihre Zukunft nicht sorgen. Wie lange sie für die anderen Parteien unberührbar bleibt, entscheidet sich nicht in Hamburg – doch sollte die AfD dereinst als koalitionsfähig gelten, wären ihre Voraussetzungen hier vergleichsweise gut. In Hamburg hat sie nicht den Fehler gemacht, ihre liberalen Wurzeln zu kappen, das könnte noch wichtig werden, wenn es um den Anschein von Bürgerlichkeit und Seriosität geht.

Die CDU betreibt ihre Oppositionsarbeit in Hamburg als vorgezogenen Lagerwahlkampf. Rechnet man AfD und FDP ihrem Lager zu, dann ist eine Machtkonstellation nach dem Vorbild Schwarz-Gelb-Schill zwar weit von der Mehrheitsfähigkeit entfernt, aber auf dem Vormarsch.

Die Konservativen müssten zu einem solchen Unternehmen Stimmen aus der politischen Mitte beitragen, das ist ihr Problem. Auch wenn die jüngste Umfrage angesichts der relativ kleinen Stichprobe nicht übermäßig belastbar ist, einstweilen spricht wenig dafür, dass es den Christdemokraten gelingt, nach ihrem historisch schlechten Wahlergebnis Anhänger zurückzugewinnen. Dass es so ist, liegt mindestens so sehr an der Regierung wie an der CDU selbst. Rechts von der SPD ist nicht viel Platz für eine halbwegs rational begründbare Politik, das gilt auch in der Flüchtlingskrise, die zum beherrschenden Thema der Landespolitik geworden ist. Ohnehin eignet sich der wichtigste Konflikt, die Frage der Unterbringung, schlecht für weltanschauliche Debatten. Niemand will eine Klasse von Menschen schaffen, die auf Dauer in Lager- und Gewerbehallen haust. Der Rest ist ein ideologisch überhöhter Streit um eine Reihe von Siedlungen, die jede verantwortliche Regierung so oder ähnlich bauen lassen müsste.

Die Christdemokraten stehen gleich dreifach unter Druck. In der bundespolitischen Debatte müssen sie eine Kanzlerin verteidigen, an deren Politik viele von ihnen nicht mehr glauben. In der Bürgerschaft müssen sie die Meinungsführerschaft rechts der Mitte verteidigen. Und ihrer rapide schrumpfenden und alternden Kernwählerschaft müssen sie Nachweise der eigenen Bedeutung liefern. All das treibt sie in eine Fundamentalopposition, die ihr Aufmerksamkeit in den Medien und Zustimmung im Lager einiger Anwohnerinitiativen verschafft, der Partei im Übrigen aber schadet. Wer im Streit um die Flüchtlinge an Lösungen interessiert ist, dem müssen angesichts der weitgehenden Verweigerungshaltung der Konservativen nicht nur die Vorhaben der Regierung alternativlos erscheinen, sondern auch die sie tragenden Parteien. Und wer auf Krawall aus ist, der ist mit der AfD besser oder jedenfalls nicht schlechter bedient als mit der CDU.

Für die SPD enthält die Umfrage weniger Lehren. Ein Verlust an Zustimmung zu Beginn einer Legislatur ist nichts Ungewöhnliches, zumal in einer Stadt mit vielen parteipolitisch ungebundenen Wählern. Aus Sicht der Grünen schließlich deutet ihr gutes Umfrageergebnis darauf hin, dass ihre Anhänger Koalitionsdisziplin und Regierungsfähigkeit schätzen.

Allerdings hat das Regierungslager die eigene Zukunft nicht vollständig in der Hand. Das Schlimmste, was Roten und Grünen passieren kann, ist eine Eskalation der Flüchtlingskrise unter dem Druck schlechterer Wirtschaftsdaten und neuerlich wachsender Zahlen von Zuwanderern, die sie handlungsunfähig oder – schlimmer noch – zerstritten wirken lässt. Das wäre der Zeitpunkt für die Opposition, die kleinen Protestbewegungen gegen Unterkünfte oder Fahrradwege zu einer großen zu vereinen.

Denkbar ist aber auch eine Eskalation infolge einer veränderten Bundespolitik. Eine Koalition ohne Angela Merkel, in der die Christdemokraten für Härte und die Sozialdemokraten für Hilfsbereitschaft stünden, würde die Lage auch in Hamburg verändern. Wären die Zuwanderer nicht mehr die Zuwanderer einer CDU-Kanzlerin, dürfte die Landesregierung erheblich stärker unter Druck geraten.