Unbemerkt: Streit um den Schanzenhof. Unerwartet: Tägliche Golden-Pudel-Geschichten. Folge zwei der Hamburg-Kolumne über Unvorhergesehenes und kaum Wahrgenommenes.
Das Leben in Hamburg ist selten voraussehbar. In der Kolumne „Unerwartet & Unbemerkt“ beschäftigen wir uns genau damit. Wir wollen Themen aufgreifen, die uns unerwartet trafen. Und wir wollen die erkennen, die kaum jemand wahrnimmt. Die Kollegen des Onlinemagazins „Elbmelancholie“ beobachten diese Mechanismen für ZEIT ONLINE und berichten in „Unerwartet & Unbemerkt“ von ihnen. In dieser Ausgabe haben beide Fälle sogar Parallelen.
UNERWARTET
Mitte Februar brannte der Golden Pudel Club – oder genauer gesagt das Oberstübchen. Am Morgen darauf stand bereits fest: Totalschaden. Zwischenzeitlich machte zwar die Hoffnung einer schnellen Wiedereröffnung die Runde, doch die scheint vom Tisch. Das Pikante an der Geschichte ist freilich nicht allein der Brand des Kultclubs, der als eines der Zentren der sogenannten Hamburger Schule gilt und auch so jede Menge Geschichten zu erzählen hat. Es sind die Umstände. In der zweiten Aprilhälfte steht die Zwangsversteigerung des Gebäudes an. Die Szene fürchtet, dass der Pudel damit wie viele andere Orte der Stadt Opfer von Investoren wird. Laut Bebauungsplan ist das Gebäude als „Gaststätte“ ausgezeichnet. Das wiederum kann vieles sein.
Und inmitten dieser Gemengelage ist der Brand auch noch nicht etwa seltsamer Zufall, sondern geht, wie sich schnell herausstelle, wohl auf Brandstiftung zurück. Doch damit nicht genug – Mark Spörrle vom ZEIT-Newsletter Elbvertiefung bezeichnet das Ganze schon zu Recht als Daily Crime Story. In den weiteren Folgen stellte sich heraus: Im Schuppen neben dem Pudel-Club hauste ein Lampedusa-Flüchtling. Der soll nun, nachdem er sich meldete, abgeschoben werden. Über seine Pläne, Deutschland ohnehin zu verlassen oder eben nicht, gibt es widersprüchliche Aussagen. Der Mann soll jedenfalls einen anderen Mann gesehen haben, der womöglich der Brandstifter ist.
Die vielen tröpfchenweise eintrudelnden Informationen sorgten bislang jedenfalls dafür, dass der Pudel stets Thema blieb. Nach dem verlorenem Heimspiel des FC St. Pauli gegen Frankfurt zogen rund 2.500 Unterstützer des Pudel in einer Demo zur Ruine und forderten: „Unsere Ruine kriegt Ihr nicht!“ Die Politik äußerte, dass sie sich hier weiterhin ein alternatives Angebot wünsche. Aufmerksamkeit ist in Sachen Pudel also gewiss. Aufklärung und eine Zukunft noch nicht. Man darf aber sicher sein, dass da noch einiges zu hören sein wird.
UNBEMERKT
Um Verdrängung und eine ungewisse Zukunft geht es auch im Fall des Schanzenhofs. Mieter des Geländes wehren sich gegen ihre Kündigung zum 31. März dieses Jahres. Betroffen sind vor allem das Hotel Schanzenstern, das Programmkino 3001, die Drogenhilfeeinrichtung Palette und die Boxschule Epeios. Letztere musste bereits zum Jahresbeginn ausziehen. Laut dem St. Pauli-Blog hätte der Betreiber künftig 3.200 Euro Miete pro Monat zahlen sollen. Zuvor seien es rund 1.500 gewesen.
„Mit der Kündigung wird das seit 25 Jahren bestehende alternative und auf Vielfalt bedachte Projekt Schanzenhof, zwischen Schanzen- und Bartelsstraße, durch die aktuellen Eigentümer Max und Moritz Schommartz zerlegt und durch Gentrifizierung und Hochpreisigkeit ersetzt“, behaupten die Mieter.
Was ist passiert? Die HWS Immobilien- und Vermögensverwaltung der bereits erwähnten Herren Schommartz, Eigentümer der Immobilien, hat den betroffenen Mietern gekündigt. Genau genommen liefen viele der Mietverträge aus und die HWS nutze dies, um deutlich erhöhte Mietpreise zu verlangen. Angeblich seien die Mieter zum Teil dazu sogar bereit gewesen. Daraufhin habe es dennoch Kündigungen gegeben.
Laut Mit Vergnügen Hamburg ist besonders der Fall des Schanzensterns beachtenswert. So hätten dessen Betreiber bereits Einigkeit für einen neuen Mietvertrag erzielt. Gleichzeitig habe sich aber auch der Betreiber des Pyjama Park Hotel & Hostel auf der Reeperbahn und des Fritz im Pyjama Hotel in der Schanzenstraße, Stephan Behrmann, beworben. Der habe Ende 2015 einen Vertrag unterschrieben. Gespräche zwischen den Interessenten habe es aber nicht gegeben, stattdessen einen überraschenden Besichtigungstermin. Behrmann wiederum betont, er sei gesprächsbereit gewesen und keineswegs ein „Geier“, wie er von der Initiative der bisherigen Mieter betitelt wird.
Aussage gegen Aussage. Und viel Protest. Die Fronten sind verhärtet. Verhandelt wird schon lange nicht mehr, stattdessen gefordert. Eine Forderung: Die Stadt solle das Gelände zurückkaufen und billig vermieten. Wieso sollte sie, fragen Unbeteiligte anderer Gebiete. Bis Ende März sind weitere Protestaktionen geplant. Bei den Bisherigen schritt bisweilen bereits die Polizei ein.
Man wird wohl noch vom Schanzenhof hören, auch wenn die sich seit Monaten unbemerkt aufgeheizte Stimmung zuletzt eher im medialen Schatten des abgebrannten Pudels ereignete. Bleibt zu hoffen, dass dort niemand auf dumme Ideen kommt und weitere Parallelen schafft.