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Bad Religion

Schwitzkur für den kranken Planeten

 

Kritiker behaupten, Bad Religion spiele stets dasselbe Lied. Mag sein, dafür aber ein gutes, entgegnet unser Autor nach einem Konzert der Punkrocker im überhitzten Docks.

Seit 36 Jahren trägt Bad Religion seine pointierte Sozialkritik schon vor, aus der Zeit gefallen wirkt die Band aber nicht. Vielleicht war sie sogar nie angesagter als jetzt. Das 21. Jahrhundert bietet schließlich jede Menge Gründe, der Menschheit mit wütenden Songs zu begegnen. So zumindest ließe sich erklären, warum das Docks beim Konzert der alternden Kalifornier am vergangenen Freitagabend ausverkauft war.

Bevor die Band die Bühne betritt, treten Frank Carter & The Rattlesnakes auf. Der ehemalige Gallows-Frontmann aus England lässt nicht nur abwechslungsreichen Punkrock auf die Hamburger los, er erweist sich auch als vorzüglicher Entertainer. Erst singt er inmitten des Publikums, dann trägt er einen Song vor, der ausschließlich von seinem Anzug im Blumenmuster handelt.

Der  lässt nicht lange auf sich warten. Von einem Phantom der Oper-Stück eingeleitet, treten Bad Religion bereits gegen 20 Uhr vor die Fans. Schon jetzt ist die Temperatur im Docks am Rande der Erträglichkeit, entsprechend lang sind die Schlangen an den Bars. Doch Bad Religion lassen sich von der Hitze ebensowenig beeindrucken wie die Meute vor der Bühne, die von Beginn an ordentlich ausrastet. Hut ab, wer in diesem Saunaklima Pogo tanzen mag!

Der Band sieht man ihr Alter zwar an – Frontmann Greg Graffin erinnert mit grauem Haarkranz, Brille und Polohemd an einen freundlichen Unidozenten – , doch an Energie fehlt es ihr nicht. Ohne größere Ruhepausen galoppiert sie durch rund 30 Songs vom neuesten bis zum ältesten Album. Böse Zungen mögen behaupten, es sei 30 mal dasselbe Lied. Doch das kümmert keinen der Gäste. Bad Religion, da weiß man was bekommt: rasanten, aber melodischen Punkrock mit mehrstimmigem Gesang.

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Bemerkenswert präzise: Bad Religion im Docks  Foto: Justus Ledig

Nein, es braucht auch nicht mehr Abwechslung als ein wenig Sing-along bei New America oder ein leicht abgewandeltes Against the Grain. Zwischendrin unterhält Greg Graffin sein Publikum mit knappen Ansagen. Er erläutert etwa, dass er Fuck You den Beatles widme, weil diese nicht mehr nach Hamburg kämen. Gelegentliche Seitenhiebe auf den Brexit dürfen auch nicht fehlen. Dem melodischen Reibeisen Graffin und der ganzen Band merkt man an, dass sie diesen Job nicht machen, weil sie es müssen. Bei all den Missständen, die Bad Religion da besingen – die Darbietung macht verdammt viel Spaß.

Während das Publikum das Bier nicht nur trinkt, sondern auch zur Kühlung in die Luft schüttet, wirken die Musiker auf der Bühne erstaunlich diszipliniert. Mit bemerkenswerter Präzision zocken sie ihre Nummern herunter. Der Sound ist laut, aber angenehm ausgewogen. Gibt es überhaupt was zu meckern? Nö.

Nach rund anderthalb Stunden verabschiedet sich die Band und kündigt an, bald mit neuem Album nach Hamburg wiederzukommen. Es ist noch überraschend früh, als die zufrieden-durchgeschwitzten Besucher ans Tageslicht treten. Die Welt ist nach wie vor schlecht. Aber für einen Moment fühlt man sich erleichtert.