Mit einer Großrazzia wollte die Hamburger Polizei am Montag auf St. Pauli Drogendealer dingfest machen. In der alternativen Szene vom Kiez kam das nicht so gut an.
„Schluss mit den rassistischen Kontrollen!“, rufen die Demonstranten, als der Zug von der Reeperbahn in die Hein-Hoyer-Straße biegt. Fast eine Stunde lang hatten sich rund 750 Menschen am Dienstagabend im Schatten der Davidwache auf St. Pauli versammelt, bis die Polizei die Spontandemonstration genehmigte. Hier der Kordon von Polizisten in schwarzer Montur, flankiert von Polizeipferden und Wasserwerfern, die am Eingang der Reeperbahn stehen, dort die ebenfalls meist schwarz gewandeten Demonstranten, mit T-Shirts auf denen „Refugees Welcome“ oder „Niemand muss Bulle sein“ steht.
Es ist ein Bild wie aus alten Tagen, als man „St. Pauli“ und „Hafenstraßenhäuser“ noch in einem Atemzug sagte.
Anlass für den Aufzug ist eine Großrazzia der Hamburger Polizei, die tatsächlich etwas an die Zeit erinnerte, als St. Pauli noch der Schauplatz von Straßenkämpfen um die ehemals besetzten Häuser war. Am Montag gegen 19 Uhr hatte die Polizei mit Einsatzfahrzeugen und 260 Beamten ein Areal an der Hafenstraße abgeriegelt, gleichzeitig drangen oben an der Bernhard-Nocht-Straße Polizisten in das Erdgeschoss des Wohnprojekts Plan B ein.
„Mehrere Dutzend vermummte Beamt_innen bedrohten Bewohner_innen und andere anwesende Personen in einer unserer Wohnungen teilweise mit vorgehaltener Schusswaffe, nachdem diese dazu aufgefordert wurden, sich mit erhobenen Händen zu zeigen“, heißt es in einem Protestschreiben, das die Bewohner des alternativen Wohnprojekts am Montag veröffentlichten. Gleichzeitig hätten die Polizisten den Garten des Hauses verwüstet und das unverschlossene Tor zum Hinterhof eingerissen.
Es geht – mutmaßlich – um eine Kleindealerszene, die sich seit über zwei Jahrzehnten um die ehemals besetzten Hafenstraßenhäuser etabliert hat. Die jungen afrikanischen Männer, die hier herumstehen, verkaufen Marihuana und Kokain in kleinen Mengen. Kleine Fische – in einer allerdings wachsenden Szene. Seit zwei Jahren hat sich der Straßenverkauf auf St. Pauli über den Stadtteil ausgebreitet.
Der Durchsuchungsbefehl, den die Polizei den Plan-B-Bewohnern vorlegte, ist über zwei Monate alt, der Vorfall, auf den er sich bezieht, datiert vom 12. April. Beamte der neu gegründeten Taskforce zur Bekämpfung des Drogenhandels auf St. Pauli hatten seinerzeit „nach Veräußerung einer Kleinmenge Marihuana“ einen Mann kontrollieren wollen, dieser habe sich über den Hinterhof in das Haus des Plan-B-Wohnprojektes zurückgezogen. „Es ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen führen wird, die als Beweismittel für das Verfahren in Betracht kommen“, heißt es in dem Papier.
Die Vermutung hat sich nicht bestätigt: Die Polizisten fanden keine Drogen in den Räumen des Wohnprojektes. Sie hätten sich laut Justus Rieder, Sprecher des Wohnprojekts, auch keine große Mühe gegeben. Drogen fanden die Polizisten nur bei den 34 Männern, die sie im Umfeld der Hafenstraße kontrollierten und vorläufig festnahmen: 91 Gramm Marihuana und 9 Kügelchen Kokain. Die festgenommenen Männer wurden später wieder freigelassen.
Die Polizei möchte zur Verhältnismäßigkeit dieses „Schwerpunkteinsatzes zur Drogenbekämpfung“ nicht viel sagen. Man müsse noch die Berichtslage anschauen, erklärte Polizeisprecher Holger Vehren. Auch dazu, dass der Einsatz zwei Monate nach dem richterlichen Durchsuchungsbeschluss stattgefunden hat, will Vehren keine Details nennen. Keinesfalls richtig sei allerdings, dass unter den 260 Polizisten am Montagabend auch eine Anti-Terror-Einheit gewesen sei, wie in den sozialen Medien kolportiert wurde. Es habe sich um eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit gehandelt: „Das ist ganz normal, dass die dabei sind“, so Vehren.
„Das dient der Einschüchterung“, findet dagegen Plan-B-Sprecher Rieder. An der Fassade hängt ein Transparent, das die „rassistischen Kontrollen“ anprangert – so sieht man das tendenziell im Plan B und auch in den benachbarten Hafenstraßenhäusern. Die Kontrollen der Polizei, die sich auf die afrikanische Dealerszene konzentriert, hält man für Rassismus, weil sie aus schwarzen Menschen per se Verdächtige machten.
„Drogenhandel ist ein umstrittenes Thema hier im Haus“, sagt Rieder, „aber wir sind uns einig darin, dass Repression und Militarisierung nicht der richtige Weg sind, damit umzugehen.“ Für die Polizei heißt das: Wenn sie in der Bernhard-Nocht-Straße mutmaßliche Dealer kontrolliert, kommen aus Hafenstraße, Plan-B oder einem der Szenelokale oft Anwohner und protestieren lautstark, rufen Anwälte an und provozieren kleine Menschenaufläufe.
In der Innenbehörde gibt man sich mit Auskünften zur Großrazzia ebenfalls verschlossen. Innensenator Andy Grote, der jahrelang für den Distrikt St. Pauli in der Bürgerschaft saß und dem ein eher entspanntes Verhältnis zum alternativen Kiez nachgesagt wird, hat sich erst vor Kurzem in der ZEIT zur Vertreibung der Drogendealer bekannt: „Unser Ziel ist es, die Szene in ihrer Massivität und Präsenz deutlich zu reduzieren.“
Behördensprecher Frank Reschreiter bestätigt, dass der Innensenator bei größeren Einsätzen vorab immer informiert werde. „Man kann sich immer über Größe und Ablauf solcher Einsätze streiten“, so der Sprecher. „Aber dieses Geschäft obliegt der Polizei. Der Senator sieht keinen Anlass, das zu kommentieren.“