Wie tickt Hamburg? Um das herauszubekommen, hat sich Boris Arnold einen Tag lang an die Kreuzung Stresemannstraße – Max-Brauer-Allee gestellt, unter die Sternbrücke. Seine Eindrücke hat er in Bild, Text und Ton festgehalten.
8:21 Uhr: Es ist kalt. Unter der Sternbrücke in Altona-Altstadt wird es allmählich laut. Aufheulende Motoren, Fahrradklingeln, das Klackern der Fußgängerampel. Hier kreuzen sich unter einer viergleisigen Fern- und S-Bahnbrücke zwei zentrale Verkehrsadern – mitten in einem beliebten Wohngebiet. In den Gewölben an der Sternbrücke gibt es ein paar Szeneläden. Alle fünf Minuten rollt mit metallischem Krächzen eine Bahn über das Geschehen hinweg. Mit jedem Zug rieselt etwas Schutt und Kies auf den Gehweg vor der Kneipe Astrastube.
8:34 Uhr: Die Schlagzahl erhöht sich mit jeder Ampelphase. Schlaftrunkene Fahrer in Richtung Neue Flora werden in eine Radarfalle gelockt. Zack. Wieder einer.
9:01 Uhr: Ein Mann radelt mit seiner Tochter wackelig an der Bushaltestelle Stresemannstraße entlang. Sie werden von Menschen, die aus dem Bus aussteigen, verschluckt. Sekunden später tauchen sie wieder auf.
9:20 Uhr: Auf den Bierzeltgarnituren vor dem Snackshop mit Bäckerei sitzt der erste Gast. Ein klassisches Frühstück mit Zigarette und Kaffee. Er telefoniert und geht dabei in unregelmäßigen Abständen in die Bäckerei und wieder hinaus. Es sind 8° Celsius. Beim Sprechen bilden sich Wölkchen vor seinem Mund – hervorgerufen von der kalten Außentemperatur, dem heißem Kaffee und dem Rauch seiner Zigarette.
9:28 Uhr: Eine junge Frau mit blonden Haaren wartet an der Ampel. In der Hand hält sie einen zusammengefalteten Karton und wippt ungeduldig auf und ab. Sie berichtet, dass ihr noch genau dieser Karton bei ihrem Umzug fehlte.
Der nicht enden wollenden Autokorso wird ab und an abrupt durch Martinshorn und Blaulicht gestoppt. Gerettet werden muss schon in der Frühe.
10:12 Uhr: Die Ampel schaltet auf Rot. Der auffällige, alte BMW mit den goldenen Felgen steht in der Poleposition. Die Heizung scheint nicht zu funktionieren, denn der Fahrer sitzt mit dicker Jacke und Mütze am Steuer. Das ist der Preis für die bewundernden Blicke.
11:47 Uhr: Eine Mutter geht mit ihrem Kind an der Hand langsam am Christiania von Hamburg entlang, dem Gelände neben dem Central Park. Hinter den hohen Zäunen steht ein Anhänger mit Langnese-Logo. Das Kind erkennt das Logo, zeigt mit dem Finger darauf und quiekt fröhlich. Ein Mann hinter dem Zaun ruft „Hier gibt es kein Eis!“. Ein Hund bellt laut.
12:33 Uhr: In der Mittagszeit wird es etwas ruhiger. Nordosthamburg ist sicher nach Südwesten gekommen und umgekehrt, ebenso wie es Südosthamburg in in den Nordwesten geschafft hat. Jetzt wird gearbeitet.
17:00 Die gesamte Prozedur wiederholt sich, bis spät abends erst unter der Sternbrücke Ruhe einkehrt. Dann erscheint die Ablösung, wenn die Szenekneipen Astrastube und Waagenbau zu Feierabendbier und elektronischer Koksmusik einladen. Nur die S-Bahn poltert noch vereinzelt über die Köpfe, bis auch die für wenige Stunden verstummt. Das einzige, was dann noch von der Sternbrücke vernehmbar ist, sind klirrende Bierknollen, Gebrabbel und die Überbleibsel am nächsten Morgen.