Auf Co-Headliner-Tour verzaubern Alcest und Mono Europa mit intensiv-verträumtem Sound. Unser Autor ließ sich im Uebel & Gefährlich in Gitarrenwände einmauern.
„Post-“ ist zwar ein inflationär gebrauchtes Präfix für Musik aus der Rock-Ecke, doch nicht selten steckt hohe Qualität dahinter. Wenn Künstler den (manchmal notwendigen) entscheidenden Schritt gehen und die ausgetretenen Pfade verlassen, gibt es immer was zu entdecken. So auch bei Alcest aus Frankreich und Mono aus Japan, die sich derzeit die Bühnen Europas teilen. In Hamburg macht man im Uebel & Gefährlich Halt – erfahrungsgemäß eine der ersten Adressen der Stadt für diesen Sound.
Gemotze gibt es gleich mal vorab: Gerade in Zeiten sozialer Netzwerke muss es wirklich nicht sein, dass ein Konzertbeginn für 21 Uhr angekündigt wird, obwohl die erste Band bereits deutlich früher beginnt. So bleibt uns von der Vorband PG Lost aus Schweden nur der Abklang. Das, was sich noch erkennen lässt, gefällt. Angesichts der bereits fortgeschrittenen Uhrzeit an diesem Montagabend sind wir allerdings etwas dankbar, dass es zügig vorangeht. Der Saal ist jedenfalls schon sehr gut gefüllt, das Publikum besteht aus einem erweiterten Kreis Metal-affiner Menschen verschiedenster Altersschichten und leichtem Hipster-Faktor.
In Hamburg sind es zunächst Alcest, die die Bühne betreten. Mastermind Neige, der im Studio lange Zeit alle Instrumente selbst einspielte, übernimmt live die Rhythmusgitarre und den Leadgesang. Als Frontmann mag man den schüchternen Franzosen kaum bezeichnen, doch seine zurückhaltende Art gewinnt allerorten Sympathie. Bescheidene Ansagen zwischen den Liedern, mehr gibt es nicht an Interaktion. Doch das braucht es auch überhaupt nicht.
Die Musik spricht für sich: Alcest spannen zarte Gitarrensaiten und Stimmbänder zwischen Hoffnung und Melancholie und wieder zurück. Effektvoll zu voluminösen Sound-Wänden erhoben, atmet der Klang den Geist von Manchester-Shoegaze der 1980er. Lediglich sparsam eingesetzte Blastbeats und seltene Schreie erinnern daran, dass Alcest ihre Laufbahn mit Black Metal begonnen haben. Songtitel wie Là où naissent les couleurs nouvelles, „Wo die neuen Farben geboren werden“, ermuntern beinahe, das eingerostete Schulfranzösisch noch mal aufzupolieren.
Mit atmosphärischer Wucht fühlt man sich vom Dämmerlicht der Bühne in eine Anderswelt gezogen – ein intensives Erlebnis. Nicht wenige Menschen im Publikum wirken völlig gebannt von der Klangkunst, bemerkenswert viele bewegen sich zur verträumten Musik.
Nach etwa 75 Minuten räumen Alcest die Bühne, es ist schon spät. Dennoch sollte man sich Mono nicht entgehen lassen, die nun den Abend beschließen. Die vier JapanerInnen spielen Post-Rock, der völlig ohne Gesang auskommt – ob das wohl gelingen wird?
Es wird! Kunstvoll errichten die Tokioter regelrecht Monumentalbauten aus Sound, arbeiten sich rhythmisch immer weiter in die Höhe, während die beiden (sitzenden!) Gitarristen in hypnotischer Extase Riff um Riff auftürmen. Laut- und Leise-Schwankungen, ein gekonnt eingesetztes Effekt-Register – das scheint von vorn bis hinten durchdacht, ohne verkopft zu klingen.
Eine richtige Frontperson fehlt bei Instrumentalmusik natürlich, doch Bassistin Tamaki Kunishi, mittig postiert im weißen Kleid, ist zweifellos die auffälligste Person. Nicht nur optisch, auch akustisch setzt sie Akzente: Mit dem Piano weiß Kunishi ebenfalls umzugehen, während das Licht einzig auf sie fällt. Dass Gitarrenmusik ganz ohne Gesang so spannend sein kann! Leider lässt die derart späte Stunde nicht zu, dass wir den gesamten Auftritt von Mono verfolgen können – hier fragt man sich nochmals, warum ein Konzert am Montagabend nicht früher beginnen kann.