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FC St. Pauli - Karlsruher SC

Fast ein 8:0

 

Der Rübenacker ist fort, prompt geschieht am Millerntor etwas höchst Ungewöhnliches: Der FC St. Pauli gewinnt nicht nur – er tut es hoch.

Endlich wieder Rasensport! Am Montagabend durften wir neues Grün am Millerntor bewundern. Von oben herab sah man die frisch verlegten Bahnen. Ein erfreulicher Anblick – doch die Vorfreude auf gepflegtes Kurzpassspiel war gepaart mit der Angst, Chefabräumer Bernd Nehrig könnte mit seinen gefürchteten Grätschen die perfekte Spielmatte in wenigen Minuten in den Rübenacker zurückverwandeln, mit dem sich unsere Fußballer eine halbe Saison lang haben herumschlagen müssen.

Aber die Wiese hielt stand. Und sie wurde umgehend zur Bühne für ein erstes Fußballwunder, ein erstes von hoffentlich vielen. Mit einer 5:0-Packung schickte der FC den Karlsruher SC zurück nach Baden. Dank des Befreiungsschlags hievten wir uns auf den Nichtabstiegsplatz 15. Mats Möller Daehli, Waldemar Sobota und Aziz Bouhaddouz hießen die Torschützen. Letzterer legte in Hälfte zwei einen astreinen Hattrick innerhalb von nur 27 Minuten hin. Zehn Punkte aus vier Spielen hintereinander: So kann es weitergehen.

Vieles, was die Kiezkicker in den neunzig Minuten taten, aktivierte in den Zuschauern den Ausstoß von Glückshormonen: Der unermüdliche Wirbler Cenk Şahin, der sich zwar nicht selber mit Toren belohnte, aber drei Treffer vorbereitete. Die überraschenden spielerischen Einfälle von Mats Möller Daehli. Oder Torhüter Philipp Heerwagen, der mehrmals einfach am richtigen Ort stand oder mit Paraden glänzte.

Trainer Ewald Lienen platzte fast vor Glück. Dennoch benebelte der Torrausch seine Sinne nicht: Auf der anschließenden Presskonferenz wies er zurecht darauf hin, dass das schöne Resultat nicht alles exakt abbildete. Mehrmals hatten die St. Paulianer Dusel. Die Karlsruher hätten genauso einige Treffer erzielen können, doch mehrmals schossen sie aus bester Position direkt in die Arme unseres Keepers. „Mir hat es nicht gefallen, dass wir anschließend ein bisschen relaxt haben und irgendwo jeder sein Tor machen wollte“, verriet Lienen den Journalisten, „es galt, eine brenzlige Situation nach der anderen zu überstehen. Das hätte das Bild beim Stand von 4:0 getrübt, und so was geht nicht.“

Karlsruhes Fans waren früher schon auffällig

Trotzdem gab es natürlich ausreichend Grund zum Feiern. Hohe Siege auf St. Pauli sind gefühlt Ereignisse, die sich letztmals vor Jahrzehnten ereignet haben. Zusammen mit der Südkurve ging die Mannschaft daher noch in die Verlängerung und intonierte mit den Fans fröhliches Liedgut. Am aufgedrehtesten: Cenk Şahin. Der Zappelphilipp des Teams auf und neben dem Platz wird immer mehr zu einer Art zweitem Deniz Naki. Vermutlich dreht er heute noch irgendwo auf dem Kiez seine Runden.

Nur eine Szene trübte am Montagabend die Stimmung. Die KSC-Spieler hatten sich unermüdlich bis zur letzten Minute um Resultatkorrektur bemüht. Und nach Abpfiff gingen sie trotz der schlimmen Pleite hin zum Auswärtsblock, um sich für die Unterstützung zu bedanken. Sie ernteten schlimme Beschimpfungen, wurden von den eigenen Fans mit Bier beschmissen. Es waren die St.-Pauli-Fans, die den KSC-Mob daraufhin auspfiffen und die Badener Spieler mit Applaus verabschiedeten – um auf irgendeine Art und Weise die Traurigkeit dieser Szene zu retouchieren.

Es reichte nicht. Die sichtbare Enttäuschung der gedemütigten Spieler ließ sich nicht lindern. Mit hängenden Köpfen gingen sie vom Platz.

Aber lassen wir diesen Text mit etwas lustigem enden. Nach dem 5:0 wär noch Zeit gewesen für ein paar Törchen mehr. „Acht zu null“, sangen die Fans auf der Gegengeraden. Warum wohl ausgerechnet 8:0?

In einer früheren Version der Kolumne schrieben wir, dass der Ex-St. Paulianer Florian Lechner als Spieler des Karlsruher SC Opfer einer Spuckattacke geworden sei. Diese Vorfall hat sich zwar ereignet, er hatte aber nichts mit einem antirassistischen Engagement Lechners zu tun. Offenbar handelte es sich „lediglich“ um einen geschmackloser Frustabbau eines Fans, der für seine Aktion danach zur Rechenschaft gezogen wurde.