Ende der Flaute: Wenn Aziz Bouhaddouz den FC St. Pauli in Nürnberg mit überlebenswichtigen Toren zum Sieg schießt, muss für einen Moment sogar die Weltpolitik ruhen.
Zum Glück gab es am frühen Freitagabend im Fanladen noch Zeit, um etwas anderes zu tun, als „nur“ ein Auswärtsspiel anzuschauen. Wir hatten Zeit für Politik. Die gehört zum Verein wie das Salz zum Meerwasser. St. Pauli ohne Politik: Das ist ähnlich unvorstellbar wie Trump ohne geföhnte Dünnhaarwelle. Oder wie G20 ohne Stunk.
Solange also am frühen Freitagabend in Nürnberg keine Tore fielen, galt die Aufmerksamkeit erst einmal Deniz Naki, vor und noch während des Spiels. Unser Ex-Kicker und Held von Rostock ist in der Türkei gerade zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Wegen angeblicher Terrorpropaganda. Solche ist in der Türkei erstaunlich leicht zu produzieren. Es reicht, den Sieg der eigenen Mannschaft den Opfern militärischer Auseinandersetzungen zu widmen.
Da es also so leicht ist, zum Terrorpropagandisten zu werden, droht der vorverurteilte Deniz Naki irgendwann zum zweiten inhaftierten deutschtürkischen Deniz zu werden. Genauso wenig wie der Journalist Deniz Yücel lässt sich unser Naki – heute Spieler bei Amedspor, einem Drittligisten aus der kurdischen Metropole Diyarbakır – den Mund verbieten.
Man muss sich daher weiterhin Sorgen machen. Nakis Verein spielt in den Farben der kurdischen Flagge. Der humorlose Erdoğan empfindet den Club als reine Provokation. Schon heute werden die Spieler auswärts von Erdoğan-Hooligans als PKK-Terroristen oder Vaterlandsverräter beschimpft.
Das Fanladen-Team hatte kurz vor dem Prozess ein Solidaritätspaket nach Diyarbakır geschickt, um unsere ehemalige Nummer 23 zu unterstützen. Und gegen das Urteil findet man in sozialen Netzwerken weitreichende Unterstützung und kreativen Protest. Vereinspräsident Oke Göttlich beteiligt sich am Protest. Er wünschte Deniz via Twitter „viel Kraft bei seinem Einsatz für Freiheit, Frieden und Menschlichkeit“.
Es war also gut, am Freitag erst einmal über Politik zu reden, im Kreis der U18 Ragazzi übrigens, dem Jugendfanclub des FC St. Pauli. Der Fanladen hatte extra für ihn geöffnet, eine Leinwand aufgebaut und spendierte zum Spiel gegen Nürnberg Pizza. Kurzfristig gab es auch noch selbstgebackenen veganen Schokoladenkuchen der Fanvereinigung Ultra St. Pauli. Der war eigentlich für die Auswärtsfahrt gedacht, aber zu unseren Gunsten in der Küche vergessen worden.
Dann musste die Politik vorübergehend ruhen. Deniz Naki rückte für einen Moment in den Hintergrund, weil Aziz Bouhaddouz mit einem schönen Abstauber die Torflaute beendete. Nürnbergs Torhüter Raphael Schäfer hatte sich gegen einen Schuss von Cenk Şahin mit maximaler Streckung wehren können. Gegen den Nachschuss unserer Tormaschine war er machtlos. Der erste Treffer nach 328 Minuten. Kurz danach legte Bouhaddouz mit einem filmreifen Absatztrick zum 2:0 einen drauf.
Nach Abpfiff wussten alle im Fanladen: Sollte gegen Ende dieser Saison der Nichtabstieg feststehen, müssen wir uns beim marokkanischen Nationalspieler Bouhaddouz bedanken. Ohne seine Tore wären Flauten momentan nicht eine Erscheinung von ein paar hundert Minuten – die ganze Saison wäre eine geworden.
Wir lieben Politik. Aber wenn es um Punkte geht, darf sie zwischendurch auch mal ruhen. Rettet Deniz Naki vor Erdoğan! Und du, Bouhaddouz, rette uns vor der dritten Liga!