Vier Spiele vor Schluss auf Platz elf: Es sieht gut aus für den FC St. Pauli. Wären da nicht diese Wundertütenspiele wie zuletzt gegen Düsseldorf.
Wir haben es an dieser Stelle schon einmal thematisiert. Es gibt einen Verein, der ist zur Halbzeit normalerweise Meister in seiner 1. Liga. Entsprechend dröge gestaltet sich das Leben eines Fans dieses Clubs. Wir dagegen gewinnen zwar keine Blumentöpfe, aber die Überraschung ist unsere Konstante.
Das wäre positiv zu bewerten, übertriebe es der FC St. Pauli nicht manchmal. Die ablaufende Saison 2016/17 wünscht sich keiner zurück. Man sehnt sich weniger unerwarteten Zauber herbei. Der armen Nerven wegen.
Am vergangenen Freitagabend ging es kurz nach Anpfiff schon damit los, dass man sich in kurzer Taktfolge auf Neues einstellen musste. Nachdem Bernd Nehrig und Kevin Akpoguma beim Luftkampf in Minute sechs wuchtig ineinandergerasselt waren, mussten Heim- und Gasttrainer ihre Mannschaft ummodeln. Beide Spieler landeten in der Klinik – der Verteidiger von Fortuna Düsseldorf mit gebrochenem Halswirbel, unser Nehrig mit „Einblutung im Kreuzbein-Darmbein-Gelenk“. Weniger akademisch-medizinisch ausgedrückt heißt das in etwa: Ihm tat der Arsch sehr weh.
Der schlimme Unfall sorgte für die erste ungewohnte Szene. Denn unser Haudegen vom Dienst steckt zwar immer am meisten ein, bleibt aber fast nie liegen. Steht er nach einer halben Minute nicht wieder auf den Beinen, muss eine Ausnahmesituation dafür verantwortlich sein.
Weitere Ungewöhnlichkeiten folgten. Spielt eine Mannschaft in Überzahl, gerät sie normalerweise selten umgehend in Rückstand. Wir sind da anders, bringen es fertig, den redimensionierten Gegner stark zu machen. Nach der Gelbroten Karte für die Fortuna rannte unsere Mannschaft wie ein Hühnerhaufen durcheinander. Minutenlang wusste keiner, wo der Gegner steht. Führung Düsseldorf.
Die nächste Überraschung war der schnelle Ausgleich. Er kam durch eine Weltsensation zustande. Der Name des Torschützen lautete nämlich Philipp Ziereis. Das ist nicht nur der Mann, der noch nie für uns getroffen hat. Er ist auch der Mann, von dem die Fachwelt auf der Gegengeraden erwartet hätte, dass er in den nächsten zweihundert Jahren nie und nimmer einen Ball im gegnerischen Netz versenken würde. Mit einem herrlichen Abstauber setzte er quasi ein Naturgesetz außer Kraft, schrieb eine neue Fußballwahrheit. Sie lautet: Jeder kann treffen. Als Nächstes der Masseur. Dann der Stadionsprecher.
Selbst zu diesem Zeitpunkt wars nicht vorbei mit unmöglichen Geschehnissen. Die Führung erkämpften wir mit einem Kunststück, das wir gar nicht im Programm haben. Seit Jahren nicht. Christopher Buchtmann setzte den Freistoß, der nach der Notbremse an Cenk Şahin (und zweitem Rot gegen Düsseldorf) fällig geworden war, filigran ins Tor. Einen Freistoß direkt zu verwandeln, das war bei St. Pauli zuletzt einem gewissen Marcel Halstenberg gelungen. Der spielt seit zwei Jahren bei RB Leipzig und ab Sommer in der Champions League.
Die erste rational nachvollziehbare Aktion gelang unseren Spielern in der 93. Minute. Tor von Bouhaddouz. An Treffer unseres marokkanischen Nationalspielers haben wir uns längst gewöhnt. Sie sind uns so selbstverständlich geworden, dass wir diese eine große Konstante der Saison in diesem Wundertütenspiel zuallerletzt erwartet hätten. Im ersten Moment, als der brillante Heber sich unter die Querlatte senkte, da lauschten wir auf einen Abseitspfiff, einen Ellbogencheck-Pfiff oder einen Leibchen-Zupf-Pfiff. Stattdessen gab der Schiedsrichter den Treffer von Bouhaddouz. Sekunden vor Abpfiff war die Normalität zurück.
Für wie lange? Vier Spiele vor Schluss sind wir auf Platz 11. Wer nach dreißig Spieltagen hier steht, steigt normalerweise nicht ab. Doch wir sollten gewarnt bleiben. Der genaue Blick offenbart: Gerade mal zwei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz. Zwischen einstelligem Tabellenplatz und Abstieg liegt nur ein Fußbreit.
Nein, die Saison 2016/17 wünschen wir uns wirklich nicht zurück. Abgesehen von der Schlussviertelstunde gegen Düsseldorf. Die wollen wir am Freitag gegen Heidenheim wiederhaben. Diesmal zu Hause. Und völlig überraschend. Neunzig Minuten lang.