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FC St. Pauli

Mit Fußball hatte das nichts zu tun

 

Für den FC St. Pauli ist die Heimsaison beendet. Über das schlechte Spiel gegen Greuther Fürth mochte sich keiner mehr ärgern. Hauptsache, gerettet.

Um Fußball ging es nur am Rande. Schon vor dem Stadion konnte man am vergangenen Sonntag den Eindruck gewinnen, man sei in einen Protestzug des Antifa-Blocks geraten. Auffällig viele Fans trugen schwarze Kleidung; als nutzten sie das letzte Heimspiel der Saison, um für den G20-Gipfel Anfang Juli zu proben. Die Bundesliga schien bereits weit weg. Und auch auf dem Rasen wurde zunächst nicht gespielt. Es wurde erst einmal verabschiedet.

Neben Mats Møller Dæhli und Lennart Thy verlässt den Verein auch unser langjähriger Stadionsprecher Rainer Wulff. In der schnelllebigen neuen Fußballzeit passiert es selten, dass noch Urgesteine verabschiedet werden. Wulff war gefühlt seit 1910 dabei. Alle drei Abgänger wurden von den Tribünen aus lautstark zum Hierbleiben aufgefordert. Immerhin Wulff konnte die Fans beruhigen, indem er versicherte, dass er dorthin zurückkehre, wo er herkäme: auf die Tribüne.

Alle Kurven zeigten Engagement: Muttertagsgrüße auf der Haupt, Heiratsantrag auf der Gegen. Ein Knirps hielt eine Pappe hoch, auf der er Mats Møller Dæhli um sein Trikot bat. Die Stimmung war so ausgelassen, dass bereits in der zweiten Minute Super Hamburg angestimmt wurde. Das Führungstor von Greuther Fürth wurde wie selbstverständlich ignoriert. Nicht mal ein Hauch von schlechter Laune! Stattdessen wurde „Ich liebe dich, ich träum von dir, in meinen Träumen bist du Europacup-Sieger!“ geträllert.

Für das Ausgleichstor wollen wir uns bei Lennart Thy bedanken. Er schoss es zwar nicht, jedoch fiel es Sekunden nach seiner Einwechslung, was uns weiter daran glauben lässt, dass er als Maskottchen taugt, egal wie mäßig erfolgreich er als Stürmer ist.

Hinterließ zwei Kratzer im Strafraum: Flitzer im Millerntor-Stadion. (c) dpa

Kurz vor Schluss, in den drei Minuten der Nachspielzeit, ließen wir Zuschauer uns dann doch noch aus unser Unbesorgtheit herausreißen. Vor Heerwagens Tor war plötzlich so viel los, dass wir ein wenig zitterten. Doch dann war es geschafft. Ein Flitzer legte noch schnell, bevor das Stadion in die Sommerpause geht, einen kleinen Run auf das Spielfeld. Er beendete ihn mit einstudiertem Torjubel im Strafraum vor der Süd und hinterließ zwei dicke braune Kratzer im Gras. Und beinahe übermütig wurde während der La-Ola-Welle nach dem Spiel auf der Süd verschiedenfarbige Pyro gezündet. Dank Wind und geschwenkter Fahnen vermischten sich die Wolken allerdings zu einem herrlichen braunen Nebel.

Der Spieltag endete mit 1.000 Litern Freibier, die beim Knust ausgeschenkt wurden, sowie einem Konzert der Band Le Fly und dem Hamburger Kneipenchor. Sicherheitschef Sven Brux redete, Präsident Oke Göttlich redete, Trainer Ewald Lienen redete und auch die Spieler Sören Gonther, Philipp Heerwagen und Cenk Şahin redeten. Ewald Lienen stellte belustigt fest, dass vor dem Knust nicht nur Zigaretten geraucht würden. Die ganze Tribüne gebe sich, so mutmaßte er, dem kollektiven Genuss verbotener, grüner, rasenartiger Rauschmittel hin.

Easy weggeraucht wurde das Kleeblatt aus Fürth an diesem Tag zwar nicht, aber nichtsdestotrotz verfielen wir in eine Klassenerhaltstaumelei. Einige mussten dafür nicht einmal Drogen bemühen. Der gute Ausgang einer zeitweise gefährlichen Saison berauschte sie ganz legal.