Der FC St. Pauli kassiert gegen Arminia Bielefeld in der Nachspielzeit ein unverdientes Gegentor – und zeigt, wie man dem verlorenen Sieg Gutes abgewinnen kann.
Am Ende stehen wir da mit zwei geschossenen Abseitstoren, aber nur einem regulärem. Mit nur einem statt den verdienten drei Punkten, weil ein Bielefelder den Ball in der 93. Minute über die Torlinie stocherte. Man müsste sich ärgern, weil wir in einem durchwachsenen Spiel die deutlich bessere Mannschaft waren. Oder man weigert sich, dem Frust nachzugehen, so wie Ewald Lienen. Versuchen wir’s.
Beginnen müssen wir trotzdem mit einem Platten. Mit ihm startete die Auswärtsfahrt der Fans. Nur der Pannendienst machte möglich, dass wir überhaupt in Richtung Bielefeld aufbrechen konnten. Dort angekommen, wurden wir freundlich von nasskaltem, schrägem Nieselregen empfangen und von einem „Scheiß Gäste“-Graffiti vor dem Stadion.
Etwas deutlicher in die Positivliste nach Lienenscher Philosophie passt, dass wir wieder das Tor treffen. Dass wir organisiert agieren und kreative Angriffe hinbekommen, überhaupt das gesamte Auftreten sicherer wirkt, als vor der Winterpause. Immerhin haben wir seit drei Spielen nicht mehr verloren.
Auf der Tribüne bekamen wir sogar die Ping-Pong-Gesänge ähnlich wie im heimischen Millerntor hin, indem wir den Zaun, der eine Schneise mitten durch den Gästeblock zog, einfach als kreative Trennwand nutzten und die Lieder mit der anderen Hälfte der angereisten St. Paulianer im gewohnten Wechsel performten. Und einen echten Stimmungsaufheller gab es zwischendurch, als an der Anzeigetafel fälschlicherweise ein 0:1 für St. Pauli auftauchte. Kann man ja auch mal bejubeln (wenn sonst nicht viel ist).
Wenig später fiel das Tor tatsächlich. In der 50. Minute schoss Christopher Buchtmann nach schöner Vorarbeit durch Bouhaddouz und den pfeilschnellen Sobotta dem gegnerischen Verteidiger durch die Beine.
Dass die Truppe eine Viertelstunde vor Ende aufhörte, Fußball zu spielen und dem Pressing von Bielefeld nachgeben musste, zeigt zwar, wie weit wir davon entfernt sind, eine Mittelfeldmannschaft zu werden. Aber es wäre übertrieben, den ersten „Nicht-Sieg“ nun gleich zu bejammern, sich über das Ende der Siegesserie zu beklagen, zumal sie eh nur zwei Spiele lang gedauert hat. Ewald Lienen schätzte die Situation richtig ein, als er unmittelbar nach dem Spiel betonte, dass auch dieser Punktgewinn wieder ein Schritt nach vorne sei – „wenn man bedenkt, woher wir kommen“. Da habe sich „für uns nichts zum Nachteil, sondern eher zum Vorteil verändert“.
Tatsächlich kann man der aktuellen Situation auch rechnerisch viel Gutes abgewinnen: Wir sind eine von vier Mannschaften, die punktgleich am Ende der Tabelle stehen. Wir wissen, dass nicht alle vier absteigen können. Einer muss zwangsläufig oben bleiben. Eben!
Und die Mannschaft weiß, was sie am kommenden Montagabend zu tun hat. St. Pauli-Braveheart Bernd Nehring hat es ihr gesagt, indem er für seine Verhältnisse einen fast schon poetischen Satz formulierte: „Jetzt müssen wir den einen Zähler gegen Karlsruhe vergolden.“
Und war da nicht auch noch jene Ankündigung vor wenigen Tagen? Exakt, der Gärtner kommt ans Millerntor. Die Tage des Ackers sind gezählt. Neuer Rasen, neues Glück.