Warum sprechen alle über einen Bombenfund, ignorieren aber, dass es auf den Straßen immer chaotischer zugeht? Folge eins der Kolumne „Unerwartet & Unbemerkt“
Das Leben in Hamburg ist selten voraussehbar. Tagelang fiebern wir auf ein Ereignis hin – und dann wirft uns plötzlich etwas ganz anderes aus der Bahn. Auf einmal redet die Nachbarschaft nur noch über Übergriffe an Silvester oder an der Nordsee gestrandete Wale. Oft aber läuft es auch umgekehrt: Wir machen eine Beobachtung, halten sie für enorm wichtig und wundern uns, warum das außer uns niemand so sieht. Die Kollegen des Onlinemagazins „Elbmelancholie“ beobachten diese Mechanismen für ZEIT ONLINE und berichten in ihrer Kolumne „Unerwartet & Unbemerkt“ von ihnen.
UNERWARTET
Und plötzlich war da in der letzten Januarwoche eine Bombe in Eppendorf. Plötzlich, das ist freilich nicht ganz korrekt: Der Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg lag dort – jeder der rechnen kann und Geschichte in der Schule zumindest besucht hat, wird das nachvollziehen können – immerhin schon gut siebzig Jahre. Aber das ist eine so lange Zeit, dass kaum jemand noch eine Ahnung hat, wie groß der mögliche Schaden ist, den so eine 250-Kilo-Fliegerbombe verursachen kann. Nur Sprengstoffexperten wissen das. Sie sorgten deshalb dafür, dass die Anwohner im Umkreis von 300 Metern ihre Wohnungen verließen.
Einige Anwohner folgten den Anweisungen nur widerwillig, was die Evakuierung unnötig in die Länge zog. Als sie sich alle entfernt hatten, folgte dann die eigentliche Arbeit, die Entschärfung. Und die war wegen des bereits ausgelösten Zünders alles andere als einfach. Nun, da wir wissen, dass alles noch mal gut gegangen ist, lässt sich festhalten, wie merkwürdig unser Umgang mit Blindgängern ist: Wir sind gewohnt, dass nichts Schlimmes passiert, wenn sie entschärft werden und reagieren daher träge bis genervt. Gleichzeitig fasziniert uns ein Fund jedes Mal aufs Neue, er ist umgehend Gesprächsthema des Tages.
Erstaunlich ist diese Reaktion, wenn man bedenkt, wie oft der Kampfmittelräumdienst in Hamburg ausrückt. Die Jahresberichte der Feuerwehr zeigen auf, wie viel Sprengstoff er jährlich in Hamburg unschädlich macht: An Explosivstoffmasse waren es allein 2014 rund 1,9 Tonnen. In einigen der vergangenen Jahre konnte diese Summe aber auch mal auf über drei Tonnen ansteigen. Davon geht vieles auf kleine Sprengkörper zurück, 2014 aber wurden etwa auch 21 Bomben von mehr als 100 Pfund beseitigt.
Warum sind wir trotzdem immer wieder überrascht, wenn eine Bombe entdeckt wird? Es liegt vermutlich daran, dass wir die Zahlen des Kampfmittelräumdienstes zwar erahnen, uns aber nicht vorstellen können, dass ausgerechnet schräg unter unserem Schlafzimmerfenster eine Bombe liegt. Taucht sie auf, sind wir hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, dass schon nichts passieren wird und einer Verunsicherung. Was, wenn es doch mal schiefgeht?
Fest steht: Auch in den kommenden Jahren werden wir uns auf Bombenfunde einstellen müssen. Mehr als 100.000 Stück wurden im Krieg auf Hamburg geworfen. Davon sind Experten zufolge etwa 13 Prozent nicht explodiert. Der Großteil wurde mittlerweile entschärft, doch weiter werden bis zu 3.000 Bomben in Hamburgs Erdreich vermutet. Einige werden gezielt mit alten Luftaufnahmen gesucht. Viele treten jedoch wie in Eppendorf bei Bauarbeiten zu Tage: Und wenn in einigen Jahren die U5 gebaut werden sollte, werden wohl einige mehr gefunden werden – vollkommen überraschend natürlich.
UNBEMERKT
Während die Gefahr durch Weltkriegsbomben stets große Wellen schlägt, ist eine andere Erkenntnis recht unbemerkt geblieben. Als hätte die Polizei nicht bereits genug mit den Belästigungen an Silvester und dem „Rockerkrieg“ zu tun, stellte sich im Januar heraus: In Hamburg kann man kaum einem Autofahrer trauen. Mitte des Monats gab es einen Tag lang eine hamburgweite Verkehrskontrolle, besonders an Ampeln. Und nun festhalten: Satte 343 Autofahrer missachteten das Rotlicht.
Damit nicht genug. Obwohl sich die Polizei auf Rotlichtüberwachungen konzentrierte, ertappte sie auch noch zwei Personen mit Führerscheinvermerk, eine Person mit gefälschten Führerschein und einen Wagen ohne Versicherungsschutz. Außerdem entdeckte sie Personen, die wegen Eigentumsdelikten gesucht wurden und eine Person ohne Aufenthaltsgenehmigung. Ach ja: 66 Fälle von untersagter Handynutzung am Steuer erfasste die Polizei auch noch. Ebenfalls aus dem Verkehr zog sie 2.200 Liter Rapsöl. Warum? Weil das Fahrzeug durch eben diese Ladung das zulässiges Gewicht überschritten hatte.
Wie ignorant Autofahrer sein können, zeigte sich allerdings an keiner Ampel, sondern im Autoknast in Rothenburgsort. Dorthin kam vor Kurzem ein junger Mann und wollte seinen abgeschleppten Wagen abholen. Da er seinen Fahrzeugschein nicht dabei hatte, wurde ihm das jedoch verweigert. Laut Polizeimitteilung griff der Fahrzeughalter daraufhin zu Methoden, die Til Schweiger alias Nick Tschiller nicht besser vorleben könnte: Er sprang über die Durchfahrtsschranke, rannte zum Pkw, startete den Motor, gab Gas und fuhr durch die geschlossene Schranke. Wohin? Schnurstracks nach Hause. Dort jedenfalls entdeckten die Beamten das Auto, das im Frontbereich erheblich beschädigt war.