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Van Morrison

Ein überwältigender Moment mit dem Belfast Cowboy

 

Nur zwei Deutschlandkonzerte, eines davon im Hamburg: Der nordirische Sänger Van Morrison tritt im Stadtpark auf und ist zum Glück grummelig wie immer.

Ein lauer Sommerabend und ein berühmter Sänger mit schlechter Laune, kann es etwas Schöneres geben? Dazu muss man wissen, dass seit Jahrzehnten die Regel gilt: je miesepetriger Van Morrison, desto besser seine Konzerte. Unvergesslich die Schlussansage beim (dementsprechend) legendären Rockpalast-Auftritt 1982: „Falls sich jemand fragt, was ich auf diesem Rock-Event verloren habe – das frage ich mich auch.“

Ein überwältigender Moment mit Van Morrison
Van Morrison © dpa

Der 69-jährige Van Morrison gehört zu den polarisierendsten Gestalten der Popgeschichte. Auch unter Musikern wird er gefürchtet und/oder verehrt. Sie müssen intuitiv verstehen, was er von ihnen will, zu erklären gibt es nichts. Stargitarrist Ry Cooder oder die Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde versuchten vergeblich ihr Glück bei den Aufnahmen zu No Guru, No Method, No Teacher (1986).

Gleich nach den Eröffnungsstücken im Hamburger Stadtpark, Celtic Swing, Close Enough For Jazz und By His Grace, gibt’s auch schon was zu mosern. Monitor zu leise oder Tee zu heiß, egal, einige Bühnenverantwortliche müssen jedenfalls springen. Der schwarz gekleidete kleine Herr mit Hut und Sonnenbrille blickt derweil mürrisch ins Leere und stimmt unverzüglich die nächste Nummer an, er ist schließlich nicht zum Spaß da: Carrying A Torch von Hymns To The Silence (1991), ein Publikumsfavorit. Das erste Popstück nach erwartet jazzigem Beginn, Morrison befindet sich durchweg am Altsaxofon.

Die Kunde von einer jazzorientierten Tournee machte zuvor die Runde, auch die von loungiger Fahrstuhlmusik und gelangweilten Auftritten, die Meinungen unter alten Fans gingen stark auseinander. Aber man weiß ja nie, bei Morrison entscheidet stets die Tagesform. Und eigentlich gibt es von Anfang an Entwarnung: Jazz und reichlich Oldschool-Rhythm-&-Blues ja, aber mit Witz und Verve, dank eines erfreulich geschmackssicher aufspielenden Herrenquartetts im besten Alter.

Dummerweise – oder zum Glück – startet der anschließende Bluesstandard Baby Please Don’t Go zu langsam. Findet jedenfalls Van Morrison. „Pick up, pick up!“, er schnippt unwirsch das richtige Tempo mit den Fingern. Köstlich, so kann es weitergehen! Die Musiker sind das natürlich gewohnt und bleiben ganz cool: Bandleader Paul Moran aus London an Orgel, Keyboards und diversen Trompeten, der amerikanische Jazzdrummer Bob Ruggiero, alte Las-Vegas-Casino-Schule, und an E- und Kontrabass der englische Studiofuchs Paul Moore. Gitarrist Dave Keary aus Irland spielt ein blitzsauberes Wes-Montgomery-Solo nach dem anderen.

So geht es pausen- und ansagenlos weiter, auf drei Jazznummern kommt ein Popsong. Das swingende Moondance, Morrisons meistgespieltes Livestück, wartet mit einem betörenden zweistimmigen Saxofon-Flügelhorn-Solo auf. Aber auch dem ersten Solohit von 1967, Brown Eyed Girl, wurde ein Jazz-Arrangement verpasst. Fast schon karibisch, als Uptempo-Ska-Swing, kommen Jackie Wilson Said und die selten bis nie gespielte Nummer Times Gettin’ Tougher Than Tough von Morrisons Sixtiesband Them, eine Single-B-Seite von 1967.

Nach 16 Stücken ist es plötzlich soweit: Van Morrison greift zur Gitarre. Keine dicke, halbakustische wie früher, sondern eine Gibson Les Paul. Er zupft (mit dem Daumen!) die huldvolle Eröffnungsmelodie von The Healing Has Begun über drei Orgelakkorde, die sich für die nächsten zehn Minuten nicht mehr ändern werden. Was folgt, ist der große, goldene Moment des Konzerts.

Schneller als das Original auf Into The Music (1979), Ruggieros leiser Beat wird federnd und funky, Moran öffnet mit der Hammond B3 ganz langsam die große Kathedrale. Es ist Morrisons Kunst, Musiker so zu beeinflussen, dass sie seiner Stimmung folgen. Die anwachsende Dynamik ist überwältigend. Er setzt mehrfach zum Solo an und singt schließlich die mantrahaft wiederkehrenden Melodiesprengsel im Scatgesang mit. Es kursieren zahllose Liveaufnahmen des Stückes, auch schon von dieser Tournee, doch die Stadtparkversion gehört sicher zu den allerbesten.

In dem Stil, mit dieser Band, hätte man gerne auch Tupelo Honey, St. Dominic’s Preview oder Wavelength gehört, große, ausladende Songs aus den Siebzigern. Schließlich waren es sich an Rocksongs versuchende Jazzmusiker aus New York, die das freigeistige Debütalbum Astral Weeks (1969) zum Schweben brachten.

Magisch, majestätisch, spirituell – das ist die Welt des aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Nordiren. Seine Experimente mit verschiedenen Religionen sind Zeugnis dieser Sinnsuche in höheren Sphären. Auch Scientology gehörte Anfang der Achtziger probehalber dazu, der bekannte Sessionpianist Nicky Hopkins hatte Morrison „angefixt“. Die Widmung an den Sektengründer L. Ron Hubbard auf Inarticulate Speech Of The Heart (1983) fehlte bei der CD-Wiederveröffentlichung allerdings bereits wieder.

Im nordirischen Newcastle bat man vor wenigen Tagen zu Konzert samt Dinner, die Eintrittspreise im gediegenen Slieve Donard Resort & Spa beliefen sich auf 225 bis 300 englische Pfund. Tafeln zu Rockmusik, das war sicher nach Morrisons Geschmack, schließlich hat er den Ruf, drei warme Mahlzeiten am Tag einzunehmen. Und es dürfte ihm auch gefallen haben, dass beim Essen wenig Zeit zum Mitklatschen oder gar -singen blieb, das schätzt der Meister nämlich gar nicht.

Der Them-Hit Gloria wird im Stadtpark kurzerhand halbiert, die Show endet stattdessen mit Sonny Boy Williamsons lang ausgespieltem Blues Help Me, bekannt von Morrisons Live-Meisterwerk It’s Too Late To Stop Now (1974). In großen Teilen allerdings ohne den Sänger, der sich bei laufender Nummer und ohne Zugabe zurückzieht.

Die großartige Backgroundsängerin Dana Masters, Jazz- und Soulkünstlerin aus South Carolina, übernimmt zuvor den Konterpart im Duett-Hit Whenever God Shines His Light von 1989, damals mit dem ebenfalls gläubigen Cliff Richard. Weltlichere Weihen widerfuhren Morrison jüngst im Juni, als ihn die Queen zum Ritter schlug. Das hat sich Sir Van Morrison bei dem ganzen Ärger (keiner versteht ihn/Rockzirkus nervt/ Presserummel wegen angeblich unehelicher Kinder/Tee zu heiß) wirklich verdient.