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Bob Dylan

Immer noch der coole Hund

 

Bob Dylan überzeugt in der Alsterdorfer Sporthalle auch ohne Gitarre. Breitbeinig hinterm Mikroständer singt er ungewöhnlich sauber Songs von sich und Frank Sinatra.

Man hat sich Mühe gegeben, dem Anlass eine gewisse Würde zu verleihen: Bob Dylan und seine Band sind in der Stadt. Der Innenraum der Alsterdorfer Sporthalle ist bestuhlt, die gesamte Bühne dunkelbraun abgehängt. Alte Filmscheinwerfer an der Rückwand sowie auf der ganzen Bühne verteilte kleine, orangegelb glimmende „Gaslampen“ sollen eine schummrig-kostbare Atmosphäre mit historischer Anmutung schaffen. Die Handflächen zum Fernglas geformt, den Rest des Betonklotzes ausblendend, gelingt es ansatzweise.

Die sechs Musiker tragen Anzug, Dylan zusätzlich einen hellen Pflanzerhut. Sieht alles sehr gut, sieht richtig aus. Und es ist immer schön zu beobachten, welchen kleinen Bühnentrick er sich ausgedacht hat – Bob Dylan versteht sich auch mit 74 noch als Performer. Das kann man unterschiedlich gestalten, etwa extrovertiert wie David Lee Roth; Dylan aber ist Minimalist. Zuletzt streckte er ein Bein unter seiner im Stehen gespielten Farfisa-Orgel aus, die Stiefelette keck auf der Absatzspitze in die Höhe gereckt. Diesmal stellt er sich breitbeinig hinter den geraden Mikrofonständer und lässt einen gewissen Abstand. Zum Gesangseinsatz umfasst er den Ständer und kippt ihn leicht, bis das Mikrofon den Mund erreicht, um ihn in den Pausen wieder in die Ausgangsstellung zu entlassen. Ein cooler Hund, wie bekannt.

Die Sache mit dem straight stand ohne Knick funktioniert, weil Bob Dylan nicht nur noch bei wenigen Songs, sondern überhaupt nicht mehr Gitarre spielt. Arthrose im Handgelenk scheint dieses Kapitel beendet zu haben. Schade, aber kein gigantischer Verlust. Dylans gleichmachendes Geschrummel auf der E-Gitarre kann den Stücken auch gern mal die letzte Finesse nehmen. Und schließlich hat er mit Charlie Sexton, Stu Kimball und Donnie Herron drei brillante Gitarristen in der Band.

Herron spielt dabei eine zentrale Rolle, denn in den Ballroom-Standards von Dylans letztem Studioalbum Shadows In The Night ersetzt er mit der Pedal-Steel-Gitarre die Streicher. Er ist ein Meister auf diesem kompliziert, zusätzlich mit Kniehebeln zu spielenden Instrument. Seine weichen, Jazz-beeinflussten Septakkorde durchfluten die große Alsterdorfer Sporthalle und sind die Grundlage für Bob Dylans weit über der Musik gemischten, zwar brüchigen, aber für seine Verhältnisse ungewohnt sicher und sauber intonierten Gesang. Der respektvolle Umgang mit den Frank-Sinatra-Klassikern, vorsichtig ins Western-Swing-Genre übersetzt, scheint dies zu bewirken. Bisher musste er immer eigene Geschichte zerlegen, um noch einen Antrieb zu finden, ein weiteres Mal aufzutreten. Mit sehr unterschiedlichem Ergebnis.

Auf die erste Zugabe hätte er, so gesehen, verzichten können: Ein zunächst nicht einzuordnender, freundlich hüpfender Midtempo-Boogie mit einer irreführenden Unisono-Figur der Gitarristen entpuppt sich mit der Zeile „How many roads must a man walk down“ als Blowin’ In The Wind. Nicht, dass man es dringend gewollt hätte, aber: mitsingen unmöglich. Schon Dylan selbst hat seine liebe Mühe, einen sinnvollen Wortrhythmus zu finden, und quetscht die Verse stattdessen in irgendwelche Lücken. Das abschließende Love Sick (von Time Out Of Mind, 1997) frönt dem Bluesrock vergangener Tourneen und wirkt diesmal deplatziert.

Wer nicht vorbereitet und wegen Songs wie Like a Rolling Stone und All Along The Watchtower gekommen ist, wird ohnehin enttäuscht. Tangled Up In Blue (vom Album Blood On The Tracks, 1975) vor der Pause, funky und im vollmundigen Nashville-Sound der 1970er Jahre gespielt, erfüllt noch am ehesten die Erwartungen an einen Greatest Hit. Auch die soeben veröffentlichte CD-Box, mit zahllosen Versionen bekannter Mittsechziger-Stücke versehen und weltweit gefeiert, wird nicht erwähnt. She Belongs To Me, als zweiter Song im Set gespielt – Dylan stößt dabei kernig in die Mundharmonika –, muss als Hinweis reichen.

Mit Stück Nummer vier, Irving Berlins What’ll I Do von 1923, beginnt das eigentliche Konzert. Die von Dylans eigenen Kompositionen nicht unbedingt überforderten Musiker können bei diesen erhaben fließenden, dennoch kurz und bündig gespielten Swing- und Jazzballaden alter Tagen zeigen, was sie noch so drauf haben. Schlagzeuger George Receli benutzt ausschließlich Besen, Tony Garnier zupft durchgehend Kontrabass. Über deren feinen Teppich breiten sich die Gitarristen äußerst unaufgeregt und, im herkömmlichen Sinne, längst nicht immer fehlerfrei aus. Aber was heißt das schon? Wir sind hier ja nicht bei Roger Cicero. Bob Dylan selbst schlendert hin und wieder zum Klavier und setzt gekonnt songdienliche Akzente. Der Gesamtsound, Hut ab bei diesen Verhältnissen, ist fulminant.

Zwischendurch tauchen noch einige Originale der vergangenen Jahre auf. Am besten passt das lang ausgespielte, easy swingende Spirit On The Water vom Album Modern Times (2006) mit seinem melodischen Riff; der frühere Teenager-Star Sexton hebt irgendwann zum selbstvergessenen Solo an. Im Zentrum der Show aber stehen tiefgründige Sinatra-Songs wie Melancholy Mood und Why Try To Change Me Now, auf eine besondere Art wie geschaffen für den Dylan von heute.

Nach dem letzten Stück des zweiten Sets hätte auch Schluss sein können, ja, müssen. Vergänglichkeit der Liebe, Verblassen des Lebens – was sollte nach den letzten Zeilen von Autumn Leaves noch kommen?