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Bryan Ferry

Wie eighties war das denn?

 

Der Brite Bryan Ferry pflegt mit 71 nicht gerade einen Underground-Lifestyle. Und trotzdem: Die Art-Rock-Ikone begeistert das Hamburger Publikum. Wie macht er das nur?

Auch mit 71 beflügelt er noch die Fantasie. Denkt man an Bryan Ferry, kommen einem Partys in den Sinn, an deren Ende man mit geöffneter Fliege da sitzt, das Flair exquisit und sexy, es gibt noch Champagner. Ein unverschämt gut aussehender Mann mit grauen Schläfen. Nicht nur weibliche Zuschauer geraten nach seinem Auftritt im Hamburger Mehr!Theater ins Schwärmen. Englischer Arbeitersohn, der Vater entsorgte Pferdeäpfel in der Kohlenmine – ja, und was weiter? Herkunft egal, das ist der Beweis. Dieser Mann hat es einfach.

Hampeln wie Mick Jagger, das muss nicht sein. Die Moves sind lässig; die Knie leicht eingeknickt, rechte Hand am Mikroständer, die linke mit geschlossener Faust keck in die Hüfte gestützt. Als einzige Extravaganz genehmigt er sich ein neues Sakko in der Konzertmitte, während die Band das Avalon-Instrumental Tara blumig fließen lässt.

Nach dem Jackettwechsel folgt Take A Chance on Me, die ersten Reihen werden unruhig. Bei Remake/Re-Model, erstes Stück der ersten Roxy-Music-LP von 1972, erheben sie sich begeistert. Oh je, die Karten waren teuer, gibt es Protest der zahlreich erschienenen gut situierten Hanseaten? Bitte wieder hinsetzen, andere wollen schließlich auch was sehen? Nichts dergleichen, im Nu stehen Tausende, das gesamte, riesenhafte Parkett im Mehr!Theater schaltet richtigerweise um von gepflegtem Hifi-Genuss im Wohnzimmer zu Rockkonzert. Dank der hochklappenden Sessel ist genügend Platz zum Tanzen. Etwas mitleidig geht der Blick nach hinten zum voll besetzten Rang. Er ragt steil auf, es gibt keinen rechten Grund zum Aufstehen. Unten: Johlen, Klatschen, Mitsingen.

Aber Bryan Ferry und seine neun Musiker machen es dem Publikum auch sehr leicht. Schon in der ersten Hälfte beeindrucken die superpräzisen Versionen nicht gerade einfach zu spielender Artrock-Frühwerke wie Ladytron, Out Of The Blue und Bitter-Sweet. In Stronger Through The Years von Manifesto (1979) türmt sich kontrollierter Bombast bis unter die Hallendecke, inklusive elektrischer Violine und Saxofon.

Eine Sopransaxofon spielende junge Frau mit Bobfrisur und Modelfigur in scherenschnitthafter Reliefansicht auf einem Podest vor rosa ausgeleuchtetem Bühnenhintergrund – das hatte man ja schon länger nicht mehr gesehen. Neudeutsch gesagt: Wie eighties ist das denn? Doch selten haben diese für Rockmusik nicht gerade unproblematischen Soloinstrumente, obwohl omnipräsent während der gesamten knapp zwei Stunden, so wenig genervt wie hier. Marina Moore und Jorja Chalmers sind allerdings auch selten begabt. Saxofonistin Chalmers gibt nebenbei am Synthesizer noch den Brian Eno, der einst zusammen mit Ferry Teil seiner Band Roxy Music war.

Interessant ist der Kreis, den der schwarze Backgroundsänger Fonzi Thornton schließt. Vor seiner Solokarriere in den Achtzigern war er Sänger der Discoband Chic. Deren Mastermind Nile Rogers nannte Roxy Music stets als Haupteinfluss für seine Band. Bezeichnenderweise spielte Chics Superdrummer Tony Thompson häufig Rockrhythmen, keinen 4-to-the-floor-Discobeat. Fonzi Thornton und die zweite Sängerin Bobbie Gordon verbreiten bestens gelaunt Eddie-Murphy-MTV-Videoathmosphäre, sehr lustig.

Während der dänische Leadgitarrist Jacob Quistgaard seinem Ruf als Alleskönner gerecht wird, spielt Chris Spedding hauptsächlich Rhythmusgitarre. Der legendäre Ferry-Sideman und Session-Veteran (Solohit: Motor Bikin’, 1976), noch ein Jahr älter als der Sänger, gibt mit gebeugter Haltung, grauer Tolle und schwarzem Trenchcoat das Bild eines verirrten Taxifahrers ab. Sein erstes Solo im elften Song der Setliste, Neil Youngs Like A Hurricane, wird mit großem Hallo begrüßt.

Ferry äußerte schon immer Hemmungen, seine eigenen Texte zu singen. Als Interpret hat er diese Probleme nicht. Bob Dylans A Hard Rains Gonna Fall fehlt, aber bei John Lennons Jealous Guy und dem schmissigen Rhythm-&-Blues-Standard Let’s Stick Together wird auch live deutlich, wie souverän er sie zu eigenen Liedern umgeformt hat. Zu den Höhepunkten der makellosen Show gehört die mit Feuer vorgetragene Rockversion von Dylans Simple Twist of Fate. Wirklich beeindruckend; so würde es der Meister nicht mehr hinkriegen.

Ja zur Fuchsjagd, Playboy-Models als Roxy-Music-Cover, Bekenntnis zum konservativen Premier David Cameron, dazu ein Kunststudium in den Sixties und die Selbstinszenierung als Art-Rock-Ikone: Ferry pflegt nicht gerade einen abgerissenenen Underground-Lifestyle. Er schätzt die inspirierende Athmosphäre generationenüberfgreifender Partys, und genau so wirkt auch diese leicht aus der Zeit gefallene Show alter Schule im Mehr!Theater, die mit Roxy Musics Editions Of You endet. Viele im Publikum winken, und auch die drei hübschen jungen Frauen auf der Bühne winken zurück.

In diesem angenehm klischeebehafteten Zusammenhang wäre eigentlich mal ein Remake von To All The Girls I’ve Loved Before fällig, dem 1984er-Duett-Welthit von Julio Iglesias und Willie Nelson. David Bowie als naheliegender Partner ist nicht mehr, nun könnte es Bob Dylan richten. Oder Mick Jagger, zur Not.