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FC St. Pauli

Uns Deniz

 

Kann es noch schlimmer kommen für den FC St. Pauli? Das Eigentor gegen die Würzburger Kickers war der Tiefpunkt der Saison. Für ein bisschen gute Laune sorgt allein Deniz Naki.

Tapferkeit ist eine wichtige Tugend, wenn der Fußballhimmel den ersten Nassschnee der Saison herabfallen lässt. Wenn Väterchen Frost einen am Tabellenende mit eisigem Griff umklammert. Und wenn sogar die deprimierendsten Fußballersprüche nicht mehr ausreichen, um die momentane Situation zu umschreiben: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“, haben wir hier in dieser Kolumne vor wenigen Wochen geschrieben.

Im Vergleich zu heute waren es damals annähernd erfreuliche Zeiten. Mittlerweile wirken Andi Brehmes fäkale Weisheiten beschönigend. Um darzustellen, wie es dem FC St. Pauli geht und was am Montagabend in Würzburg passiert ist, bräuchten wir eine Steigerung. Jürgen Wegmann kann da auch nicht helfen mit seinem legendären „Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu“. Nicht einmal der talentierte Mr. Matthäus bringt uns mit seinem Intellekt weiter. Sein Ratschlag verpufft: „Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.“

Die Lage ist maximal ernst. Trotzdem gibt es sie noch, die Tapferkeit. Sie zeichnet unsere mitgereisten Fans aus. Ausgerechnet auf der Auswärtsfahrt, die sie nach Würzburg führte, intonierten sie ein neues Lied: „Oh St. Pauli, wir folgen dir egal wohin! In Tausend Stadien dieser Welt sind wir dabei…“

Fußball 2. Bundesliga 34. Spieltag: FC St. Pauli - SC Paderborn 07 am Sonntag (06.05.2012) im Stadion am Millerntor in Hamburg. Der Hamburger Deniz Naki verabschiedet sich nach dem Spiel von seinen Fans. Foto: Malte Christians dpa/lno (Achtung Sperrfrist! Die DFL erlaubt die Weiterverwertung der Bilder im IPTV, Mobilfunk und durch sonstige neue Technologien erst zwei Stunden nach Spielende. Die Publikation und Weiterverwertung im Internet ist während des Spiels auf insgesamt fünfzehn Bilder pro Spiel begrenzt.) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Deniz Naki 2012 bei seinem Abschied von den St. Pauli-Fans (c) dpa

Das mag ein schönes Versprechen sein, wenn man an Begegnungen mit Fluminense, Valencia, Celtic Glasgow oder (immerhin) mit dem BVB denkt. Heißt die gegnerische Mannschaft jedoch Würzburger Kickers, verwandelt sich jegliche Vorfreude in Frust. Würzburg ist gefühlt wie Bielefeld. Oder Sandhausen. Oder Heidenheim. Noch trauriger wird es, wenn man sich vorstellt, welche Stadien und Städtchen in der nächsten Saison auf uns warten könnten, sollte es mit St. Pauli so weitergehen, wie es uns am Montagabend geschah.

Die Schlüsselszene ereignete sich in der 84. Minute. Koglin und Hedenstad trennten den Würzburger Soriano im Strafraum in einer gemeinsamen Aktion vom Ball: Koglin „klärte“ mittels Befreiungsschlag, der Ball prallte gegen Teamkollege Hedenstad und flog dann schnurgerade neben Himmelmann in die eigenen Maschen.

In dieser schweren Schicksalsstunde, so könnte man es positiv vermelden, schafft der FC St. Pauli Einmaliges. Ihm gelingt nicht nur ein Eigentor, er schafft es sogar, das Assist zum Eigentor auf dem eigenen Konto zu verbuchen.

Versuchen wir es trotzdem weiter mit Tapferkeit! Lassen wir uns von unseren tapferen Auswärtsfans inspirieren! Suchen wir nach einem Lichtblick!

Einen finden wir. Er heißt Cenk Şahin und war der auffälligste Akteur in unseren Reihen. Er biss, kratzte, motzte und brillierte ab und an mit gespielter Melodramatik, sodass es eine wahre (wenn auch kleine) Freude war. Denn damit erinnerte St. Paulis aktueller Türke an einen früheren, an eine hitzköpfige Vereinslegende: Deniz Naki, Rückennummer 23. Und die Erinnerung an Deniz Naki – macht nicht wenigstens sie ein bisschen froh?

Ein bisschen. Denn von Deniz Naki, aktuell Spieler beim türkischen Zweitligisten Amed SK, gibt es tatsächlich Positives zu vermelden. Die türkische Staatsanwaltschaft, die ihn der Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK bezichtigt und ihn fünf Jahre ins Gefängnis hatte stecken wollen, teilte heute mit, dass das Verfahren eingestellt werde.

Doch es ist wie verhext. Auch diese Nachricht macht nur bedingt Freude. Erstens wurde die Verfahrenseinstellung mit Verweis auf die Meinungsfreiheit begründet – und mit der ist es in Erdoğans Türkei nicht weit her. Zweitens ist die Erinnerung an Deniz Naki eng verknüpft mit der Erinnerung an dessen Lieblingsgegner. Der heißt Hansa Rostock.

So scheint es heute völlig egal zu sein, wo man hinschaut. Man kann sich am Fernseher Montagsspiele ansehen. Man kann Nachrichtenseiten im Internet lesen. In diesen schweren Zeiten, in denen der Nassschnee vom Fußballhimmel tropft, in denen Väterchen Frost uns am Tabellenende fest umklammert, da steckt in allem im Kern dasselbe: Die Vorahnung auf die dritte Liga.