Durch ritualisiertes Jammern mehr Ressourcen zu ertrotzen hilft keinem. Lieber sollte man diskutieren, wo gespart werden kann und wo nicht.
Zwei Straftäter werden aus der Untersuchungshaft entlassen, weil das Revisionsverfahren nicht schnell genug voranschreitet. Die Opposition beklagt die Überlastung der Justiz, die Justizbehörde stellt elf neue Richter ein. Ist nun alles wieder gut?
Eher nicht. Wenn alle Probleme so zu lösen wären, dann müsste Hamburg schleunigst neue Polizisten einstellen (eine Million Überstunden), neue Lehrer (die Flüchtlingskinder), es müsste den Hochschuletat aufstocken (zu wenig Exzellenz) und die Kitas besser ausstatten (Erzieherstreik). Hamburg betreibt aber eine alles in allem erfolgreiche Sparpolitik. Was die meisten gewöhnlich gut finden – bis irgendein Zufall sie darauf stößt, dass all die Einsparungen möglicherweise auch Konsequenzen haben.
Glaubt denn wirklich irgendjemand, man könnte sämtliche staatlichen Institutionen jahrelang unter Sparstress setzen, ohne dass es wenigstens hier und da Folgen für ihre Leistungsfähigkeit hätte?
Der Fall der beiden vorübergehend aus der Haft entlassenen Totschläger taugt schlecht zur Begründung von Neueinstellungen. Der vorsitzende Richter war während des Verfahrens gestorben, die Protokolle der Hauptverhandlung wurden zu langsam bearbeitet. Wenn selbst so ungewöhnliche Umstände nur ausnahmsweise so schwere Konsequenzen haben wie in diesem Fall – der letzte vergleichbare Vorgang liegt fünf Jahre zurück –, dann liegt, wenn überhaupt, ein anderer Schluss nahe: Dass es nämlich in der Strafjustiz noch Reserven gäbe.
Nun gibt es ernster zu nehmende Hinweise auf eine erhebliche Arbeitsbelastung in Staatsanwaltschaften und Gerichten. Gegen die neuen Richterstellen ist darum überhaupt nicht viel zu sagen. Ärgerlich aber ist die Kurzschlüssigkeit der Debatte. Wir Bürger, die wir von der Regierung eine Fortsetzung ihrer Sparpolitik erwarten, sollten die Konsequenzen dieser Politik endlich zur Kenntnis nehmen.
Dass es enger und anstrengender wird, in Schulen, in der Justiz, in der Verwaltung: Das ist das eine. Das andere sind die neuen Umgangsformen in den neuen Verteilungskämpfen. Der »Brandbrief« zum Beispiel, also ein Lamento in der Lokalpresse, sei es von Schulleitern oder Justizangehörigen, ist einfach eine Waffe im Kampf um Geld und Personal, selbst schuld, wer darauf verzichtet. Konferenz vorbereiten, Mitarbeitergespräch führen, Brandbrief schreiben, alles Routine. Wenn es nicht so wäre, müsste man sich wundern.
Kann man das anders sehen? Selbstverständlich. Man kann die Welt mit den Augen des Linken betrachten, für den es keine Knappheit gibt, nur eine durch Steuersenkungen bewusst herbeigeführte öffentliche Armut, der ein übermäßiger privater Reichtum gegenüberstehe. Das ist wahrscheinlich keine mehrheitsfähige Sicht der Dinge, sie ist aber wenigstens halbwegs widerspruchsfrei. Anders als die Rhetorik der Opposition von rechts, die jederzeit viel mehr einsparen würde, als die Regierung es tut. Nur nicht bei der Polizei, der Justiz, den Schulen, Hochschulen, Kitas, beim Hafen, beim Straßenbau und bei der Sauberkeit in den Grünanlagen.
Das Dumme an dieser Art der öffentlichen Auseinandersetzung ist, dass sie von den richtigen Fragen ablenkt. Es ist ja nicht jede Sparmaßnahme gut, nur weil sie Geld spart. Es könnte öffentliche Aufgaben geben, deren reibungslose Erfüllung vielen wichtiger ist als eine erfolgreiche Sanierung des Landeshaushalts. In letzter Instanz sind wir Bürger es, die für das Land mehrheitlich eine Politik des Sparens und Sanierens beschlossen haben. Es ist an uns, festzustellen, wann und wo sie uns zu weit geht. Und dafür brauchen wir Fakten, nicht nur Brandbriefrhetorik.
Sie sei nicht länger bereit, sich an »Zahlen und objektivierbaren Bewertungskriterien« messen zu lassen, schimpfte vor Kurzem eine Richterin in einer Lokalzeitung. Genau darum geht es aber. Alles andere ist Propaganda im Verteilungskampf.