SPD und Grüne haben sich auf eine vorsichtige Modernisierung der Stadt verständigt. Gute Idee – aber am Ende kommt es ohnehin anders.
Schon das Wort führt in die Irre: Koalitionsvertrag, das klingt nach Verbindlichkeit, nach fest umrissenen und einklagbaren wechselseitigen Verpflichtungen. Zwei Parteien, SPD und Grüne, stecken ihre besten Leute sechs Wochen lang in eine Klausur, und am Ende kommt ein Fünfjahresplan für die Zeit bis 2020 heraus. Wer an Koalitionsverträge und Fünfjahrespläne glaubt, der könnte sagen: Jetzt muss der Plan bloß noch umgesetzt werden.
In Wirklichkeit ist der Koalitionsvertrag, den SPD und Grüne jetzt abgeschlossen haben, eher eine Momentaufnahme ihrer Absichten als ein Vertrag. Die aufgeregte Debatte um Details dieser Verhandlungen wird schon in wenigen Wochen niemand mehr verstehen. Natürlich werden sich die Regierungsparteien in den kommenden Jahren auf dieses Papier berufen, wenn es ihnen nützt. Die einzige Instanz, an die sie sich wenden können, sind aber die Wähler, die in fünf Jahren ihr Urteil über die nächste Regierung fällen werden. An die Koalitionsverhandlungen wird sich dann kaum jemand erinnern, und die Frage, wer die Paragrafen dieses Vertrags wie ausgelegt hat, wird im Wahlkampf eine winzige Nebenrolle spielen, wenn überhaupt.
Natürlich ist es richtig, Pläne zu machen. Und wenn man für einen Moment außer Acht lässt, dass es ohnehin anders kommt, spricht viel für den Plan, auf den SPD und Grüne sich gerade geeinigt haben. In einem Bundesland, dessen Bürger im Großen und Ganzen zufrieden damit sind, wie es ist, haben sie sich auf eine einzige echte Neuerung verständigt: auf eine überfällige Modernisierung des Straßenverkehrs, für die es nach aktuellen Umfragen unter den Bürgern eine deutliche Mehrheit gibt. Immer mehr Menschen sind es leid, in Städten zu leben, die in erster Linie für Autofahrer geplant und ihren Wünschen angepasst werden. Sie wollen weniger Straßenlärm und mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer. Sie wollen öffentliche Verkehrsmittel, die schnell und bequem sind und nicht daherkommen wie eine widerwillig beschlossene Sozialleistung für gescheiterte Existenzen.
Die Regierung, die gerade entsteht, könnte Hamburg zu einer Stadt machen, die den Wünschen ihrer Bürger auch in dieser Hinsicht besser entspricht, als sie es heute tut.
Wie bitte, das sei zu anspruchslos? Natürlich kann man sich ein grüneres Hamburg vorstellen: Straßenbahnen und lautlose elektrische Busse im Minutentakt, selbstverständlich kostenlos. Saubere Kraftwerke, heizungslose Häuser, Parkanlagen auf Gründächern – all das könnte man planen, wenn die Hamburger es wollten. Sie wollen es aber nicht. Zwölf Prozent haben die Grünen gewählt, das entspricht der Aufforderung, eine vorsichtige Korrektur des alten Kurses durchzusetzen, mehr nicht. Man könnte sich auch eine gerechtere Stadt vorstellen. Eine Stadt, in der nicht der Wohnort die Bildungschancen bestimmt, die keine Obdachlosigkeit duldet, in der Kinder nicht hungrig zur Schule gehen und ein Job reicht, eine Familie zu ernähren. Ob eine solche Stadt möglich ist, weiß niemand. Sicher ist aber, dass die meisten Hamburger solche Wünsche nicht teilen oder unrealistisch finden.
Die Konflikte der kommenden Jahre dürften wenig mit enttäuschten Wünschen Grüner oder Linker zu tun haben und nichts mit den Debatten der vergangenen Wochen.
Da sind, zum Beispiel, die Olympischen Spiele. Weder für Sozialdemokraten noch für die Grünen ergibt sich aus ihrer Geschichte oder Programmatik eine eindeutige Haltung zu einer Olympiabewerbung. Unterdessen hat der Erfolg im Wettkampf mit Berlin aber längst ein Maß an Begeisterung ausgelöst, das eine rationale Abwägung nahezu unmöglich macht. Teile der Wirtschaft können bei Olympischen Spielen nur gewinnen, und in der wichtigsten Oppositionspartei, der CDU, sind schon jetzt alle Dämme gebrochen. Ja, selbstverständlich sollen die Kosten einer Olympiabewerbung seriös ermittelt werden – aber das Ergebnis steht schon fest: Wir machen es auf jeden Fall. Diese Art der politisch motivierten Kostenbetrachtung hat Hamburg das Desaster der Elbphilharmonie eingetragen, und die Opposition hat wenig daraus gelernt.
Wer Olympische Spiele ausrichten will, muss sich auf Verhandlungen mit einem zu maßlosen Forderungen neigenden Olympischen Komitee einstellen. Verhandeln aber kann nur, wer auch die Wahl hat, abzulehnen. Es wird der Regierung schwerfallen, im Sog der Olympiaeuphorie noch eine vernünftige Abwägung von Chancen und Risiken durchzusetzen.
Auch das Fahrradprogramm der neuen Regierung eignet sich für einen Dauerkonflikt. CDU, Bild und Protestbürgertum haben sich im Streit um die Busbeschleunigung als schlagkräftiges Bündnis erwiesen und einen vorläufigen Friedensschluss erzwungen, zu dem die alte Regierung von sich aus kaum bereit gewesen wäre. Es wäre erstaunlich, wenn demnächst nicht auch eine Anti-Radweg-Kampagne begänne.
Dann sind da die Flüchtlinge, die Hamburg noch willkommen heißt, hie und da aber inzwischen eher verhalten. Da ist die Wirtschaft, die im Zuge einer Euro- oder irgendeiner anderen Krise auch mal wieder anfangen könnte, rote Zahlen und Arbeitslose zu produzieren.
„Ja, mach nur einen Plan!“, spottete Brecht. „Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht.“