Hamburgs größter Sender hat bei Votings geschummelt. Leidtragende: Zuschauer und Rhododendren.
Im Landkreis Ammerland, im saftigen Sumpfland zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven, liegt Deutschlands größter Rhododendronpark. Er hat eine Schaugartenanlage, einen Waldlehrpfad, eine Baumschule und jedes Frühjahr einen „Skulpturengarten im Blütenmeer“, dessen aufsehenerregendstes Exponat ein dreieinhalb Meter großer Fächer aus Mooreiche ist.
Der Rhododendronpark Ammerland gehört, unbenommen, zu den Naturschönheiten des Nordens. Das sieht auch der NDR so und gab ihn im vergangenen Jahr bei einem Online-Voting über „Die schönsten Gärten und Parks des Nordens“ zur Abstimmung frei. Der Rhododendronpark Ammerland wurde Zehnter mit 3,5 Prozent. Gefolgt von Hamburgs Blütenstolz Planten un Blomen mit 3,3 Prozent.
Der NDR hatte ein Ranking. Er hatte nur ein Problem: Es gab zu wenige Bilder von im Sonnenuntergang schimmernden Rhododendronblüten im Ammerland. Die Redakteure reagierten rasch, kickten das Ammerland aus den Top 10 und wechselten Planten un Blomen ein. Dessen Rosenmeere hatten sie, aus allen Perspektiven prächtig fotografiert, im Archiv.
Jetzt hat der NDR ein viel größeres Problem: Der Sender, der bei seiner eigenen Quote so penibel auf jede Nachkommastelle schaut, ist nun auch dafür bekannt, es mit den Nachkommastellen bei Abstimmungsergebnissen seiner Rundfunkgebührenzahler nicht so genau zu nehmen.
Der Mensch braucht Listen, das denken zumindest viele Medien. In der Unübersichtlichkeit des modernen Patchwork-Alltags sorgen Rankings für ebenjene Übersichtlichkeit, die Medien gerne ihren Nutzern versprechen. Der NDR liefert die Top 10 der besten Badeplätze Schleswig-Holsteins, die Top-15-Schlager-Hitparade, er stellt Die bedeutendsten Norddeutschen zur Wahl und lässt in seinem massenkompatiblen Radioformat NDR 2 die männlichen Hörer darüber abstimmen, ob Bärte „richtig stark“ oder „ein absolutes No-go“ sind.
Der Nutzer soll teilnehmen am Mediengeschehen, das wollen die Zukunftsgurus, die von aktiven Konsumenten schwärmen. Der Nutzer mag Rankings, das zeigen die Quoten. Es ist leicht, Listen zu erstellen und zu verwalten. Und es ist genauso leicht, sie zu manipulieren, das zeigt der NDR.
Lutz Marmor, Intendant des Senders, hat die Mogelei zerknirscht der Öffentlichkeit gestanden. Er weiß, dass das Voting-Gate schlecht für das Image des Senders ist. Wenn er ehrlich ist, sollte er aber auch wissen, dass es für die Qualität des Senders eine gute, wenn nicht gar heilsame Wirkung haben könnte. In seiner Pressemitteilung kündigte Marmor an, dass Online-Votings künftig „restriktiver eingesetzt“ werden. Wunderbar! Wie schön wäre eine neue Fernseh- und Radiowelt mit weniger nervtötenden „3, 2, 1“-Countdowns.
Der NDR hat ein Prinzip demontiert, das er mit anderen öffentlichen und privaten Sendern groß gemacht hat. Er hat ein System diskreditiert, bei dem jeder klar denkende Mensch schon vorher sicher war, dass es nicht funktioniert.
Damit hat er, ganz unfreiwillig, einen Dienst am aufgeklärten Zuschauer geleistet. Denn der weiß nun sicher: Wenn der Rhododendronpark Ammerland, sein liebster Ausflugsort, beim nächsten Mal nicht in den Top 10 erscheint, muss er sich nicht über die ignorante Menschheit ärgern, die dieses Fleckchen Erde verschmäht, sondern über Redakteure, die es nicht hinkriegen, einen Strauch perfekt ins Licht zu setzen.