Die U–Bahn-Linie U2 von Niendorf Nord nach Mümmelmannsberg verläuft unterirdisch durch Hamburg. Hier scheint nur künstliches Licht, der Nachbar ersetzt die Heizung.
Rote Nägel tippen auf dem Display, raue Hände reiben einander, es ist kalt geworden in Hamburg. Blicke treffen sich und trennen sich genau so schnell wieder. Jeder möchte schnellstmöglich von A nach B, zwischen N und M: Niendorf und Mümmelmannsberg. Die Mitfahrenden sind und bleiben Fremde. In dem fahrenden Kasten sind Menschen auf einmal eingesperrt, freiwillig natürlich. Die U2 und U4 nutzen täglich rund 260.000 Fahrgäste in Hamburg.
Im Tunnel
In der roten U2 sitzt man mal auf grau karierten Polstern, mal auf dunkelroten mit blau-gelben Karos. Keiner will wissen, wer da vor einem saß und was derjenige dort gemacht hat. Wer aus dem Fenster schaut, sieht schwarz: Während in Hamburg die meisten U-Bahnen auch über der Erde fahren, schlängelt sich die Bahnlinie U2 von Niendorf Nord bis Mümmelmannsberg fast nur unterhalb von Hamburg hindurch. 22 der 25 Stationen liegen im Tunnel. Touristen sieht man deshalb kaum.
Seinen Sitznachbarn kann man sich nicht aussuchen
Nächste Station: Niendorf Markt. Den Sitznachbarn kann man sich nicht aussuchen. Weil er in Fahrtrichtung sitzen möchte, quetscht sich der beleibte Herr neben mich. Als Frau fühle ich mich sofort bedrängt. Und außerdem zahle ich genau so viel für meinen Sitzplatz! Er rutscht ein wenig zur Seite. Nächster Halt: Hagenbecks Tierpark. Da steigt der Herr schon wieder aus. Der nächste Mann steigt ein und lächelt kurz – oder war es nur ein Nervenzucken? Man hört das Knacken der Karotte neben einem, das zu laut und zu gesund klingt. Ohrstöpsel lassen das Gerede des Paares gegenüber in Jogginghosen verstummen.
Schwarzfahren
An der Osterstraße ändert sich das Publikum, urbane Großstädter quetschen sich zwischen die Berufspendler vom Stadtrand. Am Schlump steigen die Studenten in bunten Hosen und mit Jutebeutel aus, am Jungfernstieg steigt ein Mann mit Umhängetasche ein. Ob er ein Kontrolleur ist? In Hamburg fahren täglich fünf Prozent der 1,2 Millionen Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein. Der Mann links neben der Türe fährt definitiv nicht schwarz. Aus seinem Lederwams holt er Tagestickets heraus und zählt sie durch: Achtmal hält schließlich besser. Ohne Kontrolle fährt die Bahn weiter.
Am Hauptbahnhof und Berliner Tor herrscht reger Wechsel. Am Berliner Tor steigt eine Dame mit blonder Perücke ein, an der Leine zieht sie einen ihr verblüffend ähnlich aussehenden Yorkshire-Terrier. Nächster Halt: Horner Rennbahn. Zwei Frauen mit schwarzen Kopftüchern setzen sich. Es geht weiter über Billstedt. Da leeren sich die Bahnwaggons. Es ist ruhig. Den Stadttrubel und die Hektik hat man hinter sich gelassen, die bunten Hosen und Taschen sind verschwunden.
Nach genau 44 Minuten erreicht die U-Bahn die Trabantenstadt Mümmelmannsberg. Die letzten Fahrgäste verlassen langsam die Bahn, ein Mann bleibt sitzen. Er ist eingeschlafen.