Lesezeichen
‹ Alle Einträge
Protest

Die Wutbürgerchen und die Urbanität

 

Ich lebe in Winterhude und tue dies sehr gern. Uns geht es hier so gut, dass die Bürger für den Erhalt von Bushaltestellen an den jetzigen Standorten demonstrieren. Wenn man derzeit über den Mühlenkamp spaziert,  fallen einem sofort Plakate auf, die eindringliche Warnungen formulieren, die an das klassische „Das Ende ist nah“-Plakat erinnern. Das drohende Ende, das über den Mühlenkamp kommen wird, wird verkörpert vom Busbeschleunigungsprogramm des Hamburger Senats in der speziellen Form der Umsetzung für den Mühlenkamp. 300 aufgebrachte Bürger demonstrierten an einem schönen Samstag und die CDU frohlockt, dass sie endlich DAS Thema gefunden hat, um auch mal wieder eine Schlagzeile zu landen. 

Ich glaube, dass auch den Wutbürgern am Mühlenkamp irgendwann klar werden wird, dass es nicht sinnvoll ist, wenn die Autoschlangen zu den Stoßzeiten den Mühlenkamp verstopfen. Dadurch wird die Attraktivität der Straße überhaupt nicht gesteigert und Ladenbesitzer profitieren davon nicht im Geringsten. Mich erinnert diese Auseinandersetzung an die Debatte um die Einspurigkeit des Grindelhofs vor über zehn Jahren. Das war eine mit aller Schärfe geführte Debatte um ein paar hundert Meter Straße, doch nach dem Umbau arrangierten sich alle schnell mit der Situation.

muehlenkamp_neu
Der umkämpfte Mühlenkamp in Winterhude | © dpa

 

Im Kern kann man allerdings an der Diskussion um das Busbeschleunigungsprogramm am Mühlenkamp sehr gut sehen, wie unterschiedlich die Einstellungen zur Urbanität sind. Für mich bedeutet Urbanität immer auch Veränderung. „Hamburg ist auch nicht das, was es mal war!“ sagte neulich eine ältere Dame im Bus zu ihrer Begleiterin. „Ja, ist das nicht herrlich?“, hätte ich fast entgegnet. Aber meine hanseatische Zurückhaltung schlug voll durch.

Nicht alle finden Veränderungen gut, aber sie sind unausweichlich für eine wachsende Stadt wie Hamburg. Bei Verkehrsprojekten sorgen Baustellen nie für Freude. Aber sie zu ertragen, gehört zum Leben in der Großstadt dazu wie das Krähen des Hahns im Dorf. Überhaupt, wenn man nicht gewillt ist, Veränderungen zu akzeptieren, die auch vor der eigenen Haustür passieren, dann tut man sich vermutlich sehr schwer mit dem Konzept Urbanität – und hat mehr Freude am Konzept Dorf. Das heißt nicht, dass man das Busbeschleunigungsprogramm des Senats nicht kritisieren darf. Aber veränderte Abbiegespuren und verlegte Bushaltestellen bedeuten nicht das Ende der Welt.

Meine Prognose: Im Frühjahr stellen alle fest, dass der Verkehr besser fließt und im Sommer 2015 hat man sich daran gewöhnt und die CDU wird feststellen, dass sich mit dem Auflösen der Staus auf dem Mühlenkamp auch ihr Thema verflüchtigt hat.