Lesezeichen
‹ Alle Einträge
Wo die Dinge ein Ende finden

Sechs Runden mit der schönen Mascha

 

Zuerst war es eine Ratte, dann kam Django hinzu: Ulrich Ladurner betrachtet Hamburg aus ungewöhnlichen Perspektiven, mal erfindet er mehr, mal weniger, aber immer lässt er sich von grob unterschätzter Wirklichkeit inspirieren. Seine neuen Hamburger Geschichten spielen immer dort, wo die Dinge ein Ende finden, in Francos Traum, bei der einsamen Frau Kruse oder dem ewig fluchenden Helmut Schausten. Hier lesen wir die Geschichte vom schüchternen Matthias.

Matthias Mührer hätte nie erwartet, eine so schöne Frau wie Mascha kennenlernen zu können. Er war in Sachen Frauen nicht sehr selbstbewusst. Das hatte seine Gründe. Matthias Mührer sah weder gut aus noch war er besonders charmant, er hatte wenig Sinn für Humor und besonders klug war er auch nicht. Zu allem Unglück plagte ihn eine Schüchternheit, die sich gerne in Form einer Zungenlähmung äußerte. Sobald er einer Frau auch nur nahe kam, brachte er kein Wort mehr hervor. Frauen betrachtete er daher lieber aus der Distanz und litt dabei wie ein Hund.

eislaufbahn
Eislaufbahn in den Wallanlagen © Ulrich Ladurner

Es war ihm also völlig unerklärlich, dass an diesem Sonntagnachmittag eine Frau neben ihm auftauchte und in lässigem Ton sagte: „Hallo, ich bin Mascha!“

Er antwortete zunächst nicht und fragte sich im Stillen, ob denn eine Verwechselung vorläge. Die Eislaufbahn in den Wallanlagen war voller Menschen, da konnte es durchaus sein, dass sie jemand anderen meinte. Ja, es war sogar ganz sicher so. Mascha nämlich war von erschütternder Schönheit. Selbst der großzügigste Gott hätte sie Matthias Mührer nicht überlassen wollen. Doch die Frau blieb vor ihm stehen und die Kufen ihrer Schlittschuhe knirschten im Eis: „Hallo, ich bin Mascha!“ Sie lächelte ihn an. Ihr Gesicht leuchtete.

„Sie meinen mich?“, sagte Mührer schließlich.
„Ja, aber sicher, Dich! Verrätst du mir Deinen Namen?“
Matthias Mührer spürte wie sich seine übliche Zungenlähmung breit machte, doch gelang es ihm, sie zurückzudrängen.
„Matthias!“, brachte er mit größter Mühe hervor, „Matthias Mührer!“
„Matthias Mührer“, wiederholte Mascha. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie das „R“ rollte als wär’s ein schwerer Stein. Sie muss aus dem Osten kommen, dachte er noch, aber da nahm sie schon seine Hand und sagte: „Komm wir fahren eine Runde zusammen!“. Sie zog ihn weg.

Mit wenigen Schritten hatte sie Fahrt aufgenommen und sie steuerte ihn, der sich aufs Schlittschuhlaufen leidlich verstand, an den vielen Menschen vorbei. Geräuschlos ging es dahin. „Russin“, dachte Matthias angesichts Maschas Eislaufkunst.

Doch eigentlich war es ihm längst egal, woher sie kam. Ihre Hand fühlte sich weich und warm an. Aus den Augenwinkeln sah er wie aus ihrem Mund Atemwölkchen in den kalten Himmel stiegen. Ihre Wangen schimmerten rot.

„Warum ausgerechnet ich?“, dachte er, doch der Gedanke verflog im Nu.

Nach drei Runden mit Mascha dachte er gar nichts mehr. Ein unbekanntes Gefühl stieg in ihm hoch, alles erschien ihm leicht und einfach. Mascha und Matthias liefen nicht übers Eis, sie schwebten.

Nach sechs Runden löste sich Mascha plötzlich von ihm. Sie blickte ihn noch an und rief ihm entgegen: „Auf bald, Matthias“, dann verschwand sie in der Menge.

Matthias war so verblüfft, dass er nicht einmal abbremste. Er ließ die Schlittschuhe laufen und sie trugen in weg von Mascha. Er sah sie nie wieder.

Das alles ist sehr lange her. Matthias Mührer hat es bis heute mit den Frauen nicht so und die Frauen nicht mit ihm. Die Sache mit Mascha dauerte nur ein paar Runden auf der Eislaufbahn, aber mit Mascha erschien ihm alles möglich.