Innere Sicherheit, Olympia, Flüchtlinge: Die Arbeit von Hamburgs Ex-Innensenator Michael Neumann hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Seine Bilanz kann sich sehen lassen.
Was die Hamburger an ihrem Innensenator Michael Neumann gehabt haben, werden sie erst merken, wenn er einige Zeit lang nicht mehr im Amt ist – wenn überhaupt. Im Idealfall ist die Innere Sicherheit, für die er zuständig war, so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen, weshalb ein Innensenator in der Öffentlichkeit am besten überhaupt nicht in Erscheinung tritt und am zweitbesten nur in Zusammenhang mit einer erfolgreichen Kampagne zur Kriminalitätsbekämpfung, etwa einer Offensive gegen Einbrecher.
In den vergangenen fünf Jahren ist Hamburg diesem Ideal recht nahe gekommen, was hier noch weniger selbstverständlich ist als in anderen Großstädten. Für einen Teil der Medien bedarf es nur sehr kleiner Anknüpfungspunkte an die Wirklichkeit, um die Stadt wieder zur »Hauptstadt der Kriminalität« zu erklären. Neumann hat sie ihnen fünf Jahre lang nicht geliefert.
Echte Kriminalstatistik ist ein Genre für Fachleute und Manipulatoren, die Fallzahlen und Aufklärungsbilanzen in Politik oder Kampagnen übersetzen. Gefühlte Sicherheit dagegen lässt sich einfach messen. Wie viele Hamburger halten Kriminalität für ein großes Problem? Vierzehn Prozent waren es, als Neumann sein Amt 2011 von CDU-Innensenator Heino Vahldieck übernahm, fünf Prozent waren es im vergangenen Frühjahr, als die Demoskopen zuletzt fragten. Natürlich ist das eine Zahl von gestern, überholt spätestens seit den Übergriffen in der Silvesternacht. Hier aber geht es um die Bilanz einer Amtszeit, die fünf Jahre lang darin bestand, die hässlichen Seiten der Stadt klein zu halten und vor den Hamburgern nach Möglichkeit zu verbergen. Fünf Prozent Besorgte – das muss man erst mal schaffen.
Doch war Neumann nicht wochenlang in den Medien, als Olympiasenator sowieso, und damals, zu Zeiten der Gefahrengebiete und des Klobürstenprotests? Auch das ist Teil seines Erfolgs. Welche Partei Hamburg regieren darf, das entscheidet sich in der Welt der politisch Bindungslosen, der eher wenig Gebildeten, die vorgestern Schill unterstützten, gestern die CDU, zuletzt die SPD – und morgen vielleicht die AfD. Solange dieses Milieu zufrieden ist, macht es nichts, wenn die linke Szene wütet und ihre Klobürsten schwenkt.
Linksradikale und konservative Hardliner verbindet, dass beide zur Überhöhung der eigenen Bedeutung von Zeit zu Zeit Wasserwerfer und Knüppeleinsätze brauchen. Das letzte größere Ereignis dieser Art liegt nun mehr als zwei Jahre zurück, und der Anlass der Krawalle im Dezember 2013 waren die ungeklärten Besitzverhältnisse im linken Kulturzentrum Rote Flora. Mag der Rückkauf des Gebäudes, das heute von der Lawaetz-Stiftung verwaltet wird, formal in den Zuständigkeitsbereich der Finanzbehörde fallen – in der Sache war es eine Frage der Inneren Sicherheit. So gesehen, war die Befriedung auch ein Erfolg des Innensenators. Seine symbolische Härte hat ihm den Spielraum verschafft, den er für eine pragmatische Befriedungspolitik benötigte.
Wahrscheinlich ist die Innere Sicherheit eines Stadtstaats ein Vollzeitjob. Es zeugt von der Härte gegen die eigenen Leute in der Regierung Scholz, dass Neumann, obwohl nach eigenen Angaben längst amtsmüde, noch zwei weitere Aufgaben bewältigen sollte. Als Verantwortlicher für die Erstaufnahme-Einrichtungen war er einer von zwei Hamburger Flüchtlingssenatoren. Und er war zuständig für die Olympiabewerbung.
Ein faires Urteil über den ersten dieser Bereiche ist nicht leicht. Natürlich ist es ein Missstand, dass Hamburg einer wachsenden Zahl von Menschen – derzeit mehr als 6000 – nicht mehr bieten kann als die Grundvoraussetzungen für ihr physisches Überleben in Lagerhallen und Zelten. Dass diese schnell eskalierende Krise sich besser hätte bewältigen lassen, wäre aber noch zu zeigen. Berlin, das vergleichbare Voraussetzungen hat, ist bundesweit zum Symbol für einen entwürdigenden Umgang mit Flüchtlingen geworden. Die schlechtesten Nachrichten aus Hamburg betrafen die Nutzung ungeheizter Zelte während eines frühen Kälteeinbruchs im Herbst und eine Krätzeepidemie. Wahrscheinlich ist das ein Erfolg, wenn auch keiner, der das Land schmückt.
Und Olympia? Es war ein großes Projekt, und es ist so knapp gescheitert, dass Spekulationen nahe liegen: Was wäre gewesen, wenn? Natürlich haben die Hamburger gegenüber dem Bund hart um die Kosten verhandelt, und natürlich hätte es der Olympiakampagne genützt, wenn sie dabei mehr erreicht hätten. Daraus folgt aber nicht, dass das Vorgehen des Senats falsch war. Die Kosten waren der entscheidende Einwand gegen Olympia – warum hätte mehr Großzügigkeit ausgerechnet in dieser Frage das Sportspektakel populärer machen sollen? Am Ende haben selbst die Olympiagegner Neumann zugestanden, dass die Hamburger Pläne, gemessen an anderen Olympiabewerbungen, gut waren. Was ließe sich Besseres darüber sagen?
Zwei Senatoren, nur zwei, hat Olaf Scholz verloren, seitdem er die Stadt regiert. Dem ersten, Sozialsenator Detlef Scheele, wurde außerhalb des Landes eine glänzende Karriere angeboten. Der zweite scheidet mit einer so guten Bilanz aus, dass sie mehr Aufmerksamkeit verdient hätte – wenn er sie denn hätte haben wollen. Die Ansprüche an den künftigen Innensenator Andy Grote sind also ziemlich hoch.