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FC St. Pauli

Unheimliche St. Pauli-Euphorie

 

Der St. Pauli-Blogger Erik Hauth freut sich über den neuen Trainer Thomas Meggle. Wenn er an das nächste Spiel denkt, ist ihm trotzdem noch unwohl.

Euphorie sei eine Form der Angst, das hat mein früherer Chef und väterlicher Freund Salvatore früher einmal zu mir gesagt. Damals, als wir nachts zukunftsdurstig im Büro saßen, mitten in der Fieberphase der New Economy. An diesen Satz muss ich im Moment wieder denken, wenn ich mich mit meinem Verein befasse: Den FC St. Pauli durchströmt seit fast einer Woche ein kribbelndes Hochgefühl. Seit nach drei gescheiterten Trainern Thomas Meggle zum neuen Chefcoach ernannt wurde. Ein St. Pauli-Urgestein und ausgezeichneter Trainerlehrgangsabsolvent – es scheint perfekt zu passen. Und trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl.

Ich kenne keinen, der die Berufung Meggles für einen Fehler hielte. Vielleicht empfindet der eine oder andere sie als zu früh oder aus der Not geboren. Aber selbst das ist kein wirkliches Argument: Auch die überlebensgroße Legende Holger „Stani“ Stanislawski war unerfahren als er St. Pauli-Trainer wurde. Und der Verein stand damals sogar im unteren Drittel der Regionalliga – und nicht wie jetzt auf dem 14. Platz der 2. Bundesliga.

In der Tat: Thomas Meggle besitzt alles, was man braucht, um die Profimannschaft des FC St. Pauli erfolgreich zu trainieren. Er stammt, wie damals Stani, aus einem besonders talentierten Jahrgang der DFB-Trainerschule. Und anders als Stani, konnte er schon während seiner aktiven Laufbahn die feinen Fäden lesen und bedienen, die ein Fußballspiel durchziehen. Meggle war ein kreativer Mittelfeldspieler, der wusste, wo die Brechstange steckte, wenn er sie denn mal brauchte. Vor allem aber konnte er schon immer gut mit anderen Fußballern umgehen: Er war es, der Kiezlegenden wie Fabian Boll und selbst Holger Stanislawski Spielverständnis beibrachte.

Thomas Meggle spricht als Muttersprache Fussballstpaulianisch. Das hat er schon bei der U23 des FC St. Pauli gezeigt: Er hat ihr nach dem Spaß am Spielen auch den Spaß am Gewinnen beigebracht. Schon beim ersten Testspiel hat er angedeutet, dass ihm das nun auch bei den Profis gelingen könnte. Seine Mannschaft errang ein 2:2-Unentschieden gegen Bayer Leverkusen, den aktuellen Tabellenführer der Ersten Bundesliga. Ein Ergebnis, das man nicht überbewerten sollte, aber: Allein durch seine Anwesenheit wirkte es, als platze auf dem Spielfeld ein Knoten.

Vor dem ersten Pflichtspiel unter Meggle scheint die St.-Pauli-Welt also wieder in Ordnung. 1860 München kann kommen. Unter diese Vorfreude mischt sich bei mir allerdings eben auch diese nervöse Note: Was ist, wenn es unter Meggle so weiter geht wie bisher? Ist die letzte Patrone verschossen, wenn er es nicht schafft, die Mannschaft aufzuwecken?

Gestern traf ich Salvatore bei seinem Lieblingsitaliener in Ottensen. Wir haben bei einem guten Espresso über unsere euphorische Zeit von damals geredet. Wir haben viel gelacht und waren auch ein bisschen wehmütig. Als wir uns gegen Mitternacht trennten, habe ich beschlossen, dass ich die Meggle-Euphorie einfach nur genießen muss – egal, ob sich dahinter nun eine Angst verbirgt oder nicht. Es kann viel zu schnell vorbei sein.