Die Stimme pures Gold, das Antlitz makellos, dazu lauter hippe Freunde: Ex-Lemonhead Evan Dando war mal berühmt. Dienstag spielte der 50-Jährige im Hamburger Molotow.
Wie geht es Evan Dando? Das fragen sich auch die gut 100 treuen Anhänger im Molotow – mehr sind es nicht. Anlässlich der Wiederveröffentlichung seiner Solo-LP Baby I’m Bored (2003) wurde eine kurze Europatournee anberaumt. Gleich der erste Auftritt Mitte Mai in London musste verschoben werden. Probleme mit der Flugverbindung, heißt es. Und wer weiß, wie der Vorabend in Berlin verlief.
In Hamburg jedenfalls gibt er zunächst das erwartet müde und leicht bemitleidenswerte Bild ab, Schlabberhemd und Stoffturnschuhe, verklebte lange Haare und erloschener Blick. Aber, und das ist die gute Nachricht, mit der Kraft und dem spürbar ungebrochenen Willen, aufzutreten und den Menschen das zu geben, weswegen sie zu ihm gekommen sind. Am Ende sind es 41 Lieder.
Murmelnd betritt der 50-jährige Ostküstenamerikaner, aufgewachsen in der upper middle class, die Bühne, schlenzt seine Jacke in die Ecke, stimmt die Westerngitarre und beginnt unvermittelt mit dem Song Frying Pan der Singer-Songwriterin Victoria Williams. Das übliche Auftaktstück Being Around folgt, dann Hard Drive, Confetti, Favorite T und das einst so fröhlich stimmende, mellow rockende Great Big No von 1993. Andere Zeiten – damals stand die Welt offen. Ein langgezogenes, strahlendes „No“ konnte so erhebend sein. Er bringt es auch jetzt, die Stimme ist noch intakt, wenn auch nicht mehr ganz so golden. Aber zwischen ihm und den Liedern scheint eine ironische Distanz zu liegen, Leidenschaft ist nicht zu spüren.
Dando blickt meist trübe an die Decke, wahlweise kurz ins Textbuch, und spult ohne Pause ab. Viele Lieder beendet er mit einem unentschlossen hinausgezögerten Schlussakkord. The Outdoor Type wird lautstark mitgesungen. Ob es ihn freut? Schwer zu sagen. Nach Hannah & Gabi, dem zwanzigsten Stück seines Akustik-Sets, richtet er die ersten direkten – auch freundlichen – Worte ans Publikum: Eine Freude, wieder in Hamburg zu sein, aber er müsse anmerken, es gäbe Sehprobleme. Irgendetwas würde vor seinen Augen flimmern.
Der Hamburger Sänger Jan Gazarra fand ihn einst weggetreten im Sand des Spielbudenplatzes – eine Standardstory. Das Netz wimmelt von Absturzgeschichten, leutselig und schuldbewusst schmunzelt sich Dando jedem noch so fremden Interviewer gegenüber durch Drogenanekdoten aller Art. Jede denkbare Absturzvariante, jede vorstellbare Droge. Life is a gamble, kaputter Fun als Lebensmotor. Jemand wird ihn aufheben, bisher war es immer so.
Der australische Modefotograf Robbie Fimmano porträtierte ihn 2015 für das Magazin GQ Style als Lookalike des früh verstorbenen Beach-Boys-Schlagzeugers Dennis Wilson in dessen letzter Lebensphase. Wilde Langhaarmatte, Vollbart, aufmüpfiger, gleichzeitig leerer, zerstörter Blick. Evan Dando spielt mit diesen coolen, zitatreichen Bildern.
Dass er sich auskennt, wie gut sein Geschmack ist, wo er sich verortet, das wird an den zahlreichen Coverversionen deutlich. Im Molotow schüttelt er aus dem Ärmel: Side Of The Road von Lucinda Williams, I’ll Be Here In The Morning und Fraulein von Townes Van Zandt, How Will I Know von Whitney Houston, Pin Your Heart von Nikki Sudden, Here Comes A Regular von den Replacements, Lonely Planet Boy von den New York Dolls, Different Drum von Mike Nesmith, I Know Where Syd Barrett Lives von den TV Personalities und den lieblichen Countrysong Speed Of The Sound Of Loneliness von Nanci Griffiths.
Mit dem genialen Komponisten und Sänger Harry Nilsson, bekannt durch Everybody’s Talkin’ und Without You, teilt er das Schicksal, die größten Hits seiner Karriere nicht selbst geschrieben zu haben. Das unselige, von Dando stets ungeliebte Simon-&-Garfunkel-Remake Mrs. Robinson von 1992 erschien anlässlich der Video-Neuauflage von Die Reifeprüfung als Single. Nach dem Charterfolg klebte seine Plattenfirma den Song ungefragt ans Ende des Lemonheads-Meisterwerks It’s A Shame About Ray. Der 1993er-Hit Into Your Arms stammt von der australischen Indieband Love Position. Beide Stücke fehlen in Hamburg.
Ein richtiger Ruck geht auch nach dem Glas Whiskey nicht durch den Mann, aber Song Nummer 31 und 32, It’s A Shame About Ray und Alison’s Starting To Happen – das Publikum singt die 25 Jahre alten Lemonheads-Klassiker in Erinnerung schwelgend mit – beenden einvernehmlich das reguläre Set. Dandos Ankündigung: Kurz auf der Reeperbahn eine Zigarette rauchen, dann geht es weiter.
Jetzt ergibt auch das ungenutzte zweite Gesangsmikro einen Sinn. Dandos junge Freundin, die New Yorkerin Marciana Jones, betritt mit halbakustischer E-Gitarre die Bühne. Oft geprobt haben sie nicht, es wird schrummelig-Velvet-Undergroundig, aber immerhin zweistimmig. Bezeichnenderweise gehört der Velvet-Klassiker I’ll Be Your Mirror zum Zugabenblock. Neben Songs von den Jayhawks und den Chart-Countryrockern Florida Georgia Line sind auch zwei eigene Stücke dabei: 2016 erschien die hübsche EP Love Yourself von The Sandwich Police, einem neuen Bandprojekt der beiden.
„Eine Million verkaufte Platten, das reicht doch. Ich wollte immer nur vernünftig von der Musik leben können, reisen, eine Wohnung, und über die nötigen Rücklagen verfügen für bescheuerte und teure Eskapaden“, bekannte er kürzlich. Man möchte gar nicht Küchenpsychologe sein und die Genese seines Grenzgängertums ergründen. Man möchte nur, dass Evan Dando gesund bleiben möge und er noch einmal Zugang fände zu seinem ihm gegebenen außergewöhnlichen Talent. Schon lange ist ein Lemonheads-Album mit dem Alternative-Rockstar Ryan Adams als Produzent angekündigt, wie passend und vielversprechend. Wir wollen und wünschen nur das Beste.